7. Februar 2019

Schulschwänzer, bestraft nicht die Schule!


Da diese Kolumne mir vermutlich viel Kritik einbringen wird, muss ich hier eine Vorerklärung abgeben. Ich besitze keinen Führerschein, fahre meine acht Kilometer nach Orpund meistens mit dem Velo, haben einen erheblichen Teil meines Lebens im Kampf gegen eine umweltbelastende Autobahn gewidmet, engagiere mich für den Vogelschutz und lebe in einem Minergie-Haus.
Wissenschaft ist immer der letzte Stand des Irrtums, Biel-Bienne, 6.2. von Alain Pichard

Wer, wenn nicht ich, müsste den Bieler und Seeländer Schülerinnen und Schülern, die vor zwei Wochen den Unterricht «für das Klima» schwänzten nicht gratulieren und sich in den Chor der Claqueure einreihen? Und von denen gab es bekanntlich viele: Die meisten Politiker, Lehrer, Eltern und Journalisten waren entzückt über diese Aktion. Aber es scheint irgendwie zu meinem Wesen zu gehören, dass ich immer misstrauisch werde, wenn politischen Aktionen ein derart paternalistisch, wohlwollender Wärmeschwall entgegenweht.
Von Streik mag ich ehrlich gesagt nicht reden. Das verbietet mir der Respekt vor historischen Schulstreiks wie beispielsweise in Südafrika. Die Bieler «Streikenden» haben nicht viel zu befürchten, nicht mal eine Ermahnung wegen Schulschwänzens. Streik war nie so einfach. Einer der vielen Sätze, die im Vorfeld dieser Demonstration geäussert wurden, bleibt mir in Erinnerung:  «Wir durchlöchern die Erde auf der Suche nach Metallen für Handys und Co., verheizen klimaschädliche Kohle und schmeißen tonnenweise Plastikmüll ins Meer.»(BUND-Jugendorganisation).

Abgesehen von der reichlich überplakativen Alarmistik enthält dieser Satz ein auffälliges Personalpronomen. Es ist von «wir» die Rede! Und dieses «Wir» offenbart eine bemerkenswerte Einsicht.

Ich sehe ja die Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums immer am Morgen in die Schule laufen, breit verteilt über den Unteren Quai, so dass ich als Velofahrer kaum an ihnen vorbeikomme. Sie sind meistens gut gelaunt und noch besser gekleidet, kommen aus geheizten Wohnungen und nicht wenige hören Musik aus Ihren Smartphones.
Die deutsche Journalistin Kathrin Spoerr formulierte es in der WELT (25.1.19) folgendermassen: «Der Feind, den sie bekämpfen, ist nicht der Staat. Ihr Feind sind die Trends und Moden, die Shopping-Verabredungen, die One-Day-Outfits, die Geburtstagslisten, die Weihnachtswünsche. Ihr Feind sind sie selbst. Ich, du, er, sie, es. Wir.»

Ein weiterer kluger Satz kam aus dem Munde des Bieler Gymnasialdirektors Leonhard Cadetg. Er mahnte die «Streikenden»: Bestraft nicht die Schule! Da spricht nicht nur der Lehrer, sondern auch der ausgebildete Naturwissenschaftler. Vor allem der Mathematik- und Physikunterricht würde es den Gymnasiastinnen und Gymnasiasten erlauben, sich etwas von den Experten unabhängiger zu machen, welche in der Lage sind, Kerneisbohrungen zu interpretieren. Und ein solider Geschichtsunterricht könnte auch erkennen lassen, wo ernsthafte Diskussionen angebracht sind und wann Hysterie durch aufgeregtes Nachplappern beginnt. Und er würde auch helfen, die Aussage des grünen Europaabgeordneten Cramer einzuordnen, der am Holocaust-Gedenktag (28.1.19) meinte: «Es gibt Holocaust-Leugner und es gibt Klimaleugner.»

 Als Gymnasiast habe ich sowohl die Horrorszenarien des Club of Rome aus den 60er-Jahren wie auch das Waldsterben mitdramatisiert. Seitdem ist mir als Lehrer naturwissenschaftlicher Fächer bewusst: Wissenschaft ist immer der letzte Stand des Irrtums. Immerhin notierte ich auch von Seiten der «Schulschwänzer» einen vernünftigen Satz: «Viele von uns können dieses Jahr wählen!». Das ist immerhin ein Versprechen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen