«Ich könnte mir gut vorstellen, mehr zu arbeiten», sagt die Architektin.
Wir sitzen in einer gemütlichen Runde zusammen. Sie arbeitet sechzig Prozent.
«Aber», sagt sie dann, «diese Probezeit hat mich wieder um Jahre
zurückgeworfen. Es geht jetzt einfach noch nicht. Ich kann mein Pensum nicht
aufstocken.» Ich ertappe mich, wie ich mit lautem Zischen ausschnaufe. Diese
Probezeit! Bei mir ist es die Zweite, die jetzt gerade hinter uns liegt. Und
ich sage ihr nicht: «Es geht so weiter. Auch nach der Probezeit.»
Wie das Gymi-Kind Mamas Karriere bremst, Tages Anzeiger, Mamablog, 20.2. von Julia Hofstetter
Das Gymnasium ist ein Familienprojekt. Nach der ersten Probezeit habe
ich mir geschworen: Meine zweite Tochter geht nicht ans Gymnasium. Das soll
kein weiteres Kind von mir durchstehen müssen. Und ich auch nicht. Definitionen
um Definitionen auswendig lernen. Sowieso auswendig lernen ohne Ende. Und jetzt
ist es doch wieder passiert, vier Jahre später, in der sechsten Klasse, die
Noten stimmten und plötzlich steckten sich die Freundinnen gegenseitig an,
wollten alle dahin. Ans Gymnasium. Da nützt es dann nichts, immer wieder zu
fragen: «Du weisst, was das heisst? Hast du denn auch tatsächlich Spass am
Lernen? Willst du das wirklich?»
Verloren in der Lernmaschinerie
Und ja: Es ist ja auch vieles schön am Gymnasium. Die Vielfalt der
Fächer, die neue Freiheit, über Mittag irgendwo mit den Freundinnen in der
Stadt zu sein. Aber es ist enorm erschöpfend und laugt auch die Eltern aus. Es
geht in den allermeisten Fällen nicht ohne Eltern. Nicht einmal deswegen, weil
sie inhaltlich viel erklären müssten. Ihre Aufgabe ist es, da zu sein, in
diesen endlosen Stunden des Lernens. Es hört ja nie auf. Die Lernzeit dauert
bis am Abend spät und beginnt am Morgen vor der ersten Lektion wieder. Übers
Wochenende, in den Ferien. Probezeit- und sowieso Gymnasiumseltern müssen aufmuntern
und trösten, Wörtchen abfragen, Zusammenhänge erklären, Durchhaltesnacks
zubereiten, loben, mahnen, anspornen und Zuversicht ausstrahlen. Wenn zum
Beispiel die ganze Klasse in einer Prüfung einen Notendurchschnitt von einer 3
hat.
Perihel und Aphel, finite und infinite Verbformen, im Kopf ein dauernder
Wirbel aus Fremdwörtern. Und manchmal müssen wir Eltern auch da sein, um die
Kinder zwischendurch wieder rauszureissen, aus dieser Lernmaschinerie. Es sind
doch noch Kinder! Dass sie nicht immer im Zimmer sitzen und lernen und danach
erschöpft nur noch an ihren Smartphones chatten oder Serien anschauen mögen.
Manchmal habe ich die Lernziele für eine Prüfung durchgelesen. Zum Beispiel in
der Biologie. Ich bin ja Biologin und bilde mir ein, etwas von diesem Fach zu
verstehen. Und es dreht sich mir im Kopf, im Bauch ein Knopf. Unendlich die
Anzahl an Fachausdrücken, unendlich die vielen Themen, die in eine einzige
Prüfung hineingepresst werden. Und das gilt für alle Fächer. Die Menge an Stoff
ist gewaltig. Und natürlich frage ich mich, was davon langfristig hängenbleibt.
Die Probezeit der Kinder in Mamas
Lebenslauf?
Und jetzt an diesem Tisch, mit der Architektin und den anderen Eltern
macht sich kurzfristig eine resignierte Stimmung breit. Wir hängen unseren
Gedanken nach. Alle mit einer guten Ausbildung, ursprünglich mit dem Anspruch,
im Berufsleben etwas aus sich zu machen, und irgendwie alle etwas erschöpft.
Elternsein und berufstätig sein ist halt immer noch eine hohe Kunst. Und
im beruflichen Lebenslauf muss man diesen Balanceakt um Himmels willen gut
verstecken. «Probezeit meiner Kinder» hat da keinen Platz.
Wenn das Kind oder die Mutter überfordert ist, warum dann im Gymnasium bleiben? 30 Prozent der Kinder gehören nicht dorthin. https://schuleschweiz.blogspot.com/2019/02/stern-30-prozent-gehoren-nichts-ins.html
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