Die Basler Jus-Studentin Jarrah Peter bietet einen
frischen Blick auf den «Fall Therwil» von 2016, der bis heute inhaltlich von
keinem Gericht beurteilt wurde. Auch hinterfragt sie Bundesgerichtsentscheide
zum Schwimmunterricht und dem Kopftuchverbot.
"Eingriff in Glaubensfreiheit der Schüler ist zulässig" - Masterarbeit behandelt Handschlag-Affäre, Basellandschaftliche Zeitung, 8.2. von Michael Nittnaus
Ein Schlagwort genügt und die Debatte fängt wieder
Feuer: Handschlag-Affäre. Schon drei Jahre ist es her, seit sich zwei
muslimische Brüder an der Sekundarschule Therwil weigerten, ihrer Lehrerin zur
Begrüssung die Hand zu geben. Es folgten: Kompromiss der Schulleitung, Empörung
der Öffentlichkeit, Zwang zum Händedruck durch die Regierung, Rechtsstreit mit
den Eltern. Doch fertig verarbeitet ist die Sache bis heute nicht.
Das liegt nicht zuletzt daran, da das
Kantonsgericht die Beschwerde der Familie im November 2017 aus formellen
Gründen zurückwies, weil mittlerweile beide Buben die Sekundarschule
abgeschlossen hatten. Es gibt also bis heute kein inhaltliches Urteil eines
Gerichtes. Sogar die Baselbieter Bildungsdirektorin Monica Gschwind äusserte
damals ihre Enttäuschung ob des Nicht-Entscheids. Da die Familie die Beschwerde
nicht ans Bundesgericht weiterzog, bräuchte es einen neuen «Fall Therwil». Doch
dieser ist nicht in Sicht.
Was wäre wenn beim Bundesgericht?
Aber was wäre wenn? Was wäre, wenn die Handschlag-Affäre
vom Bundesgericht beurteilt würde? Genau diese Frage stellte sich Jarrah Peter.
Die 25-Jährige schliesst gerade ihr Masterstudium an der Juristischen Fakultät
der Uni Basel ab. Als Thema ihrer Masterarbeit wählte sie «Die
bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Religionsfreiheit im Schulkontext». Peter
analysierte die Bundesgerichtsentscheide der letzten 25 Jahre zum
Kopftuchverbot, zur Dispensation vom Schwimmunterricht und zum Kruzifix im
Schulzimmer.
Aber sie begnügte sich nicht damit: «Ich wollte
auch einen Ausblick bieten, in welche Richtung sich die Rechtsprechung des
Bundesgerichts künftig entwickeln dürfte», sagt Peter. Und da kommt die
Handschlag-Affäre ins Spiel. Die Masterarbeit kommt zum Schluss: «Es ist
anzunehmen, dass das Bundesgericht in der Handschlag-Affäre den Eingriff in die
Glaubens- und Gewissensfreiheit der Schüler als zulässig erachten wird.»
Peters Herleitung erstaunt. Denn sie rückt nicht
das in der Öffentlichkeit dominierende Thema der Gleichberechtigung von Mann
und Frau ins Zentrum: «Das Einfordern des Händedrucks ist kein geeignetes
Mittel, die Gleichstellung der Geschlechter zu erwirken», sagt sie. Die innere
Haltung der gezwungenen Person ändere sich dadurch nicht. Ausserdem sei die
Massnahme unverhältnismässig, da es akzeptierte Begrüssungsalternativen ohne
Körperkontakt gebe.
Peter wünscht islamischen Religionsunterricht
Peter glaubt aber, dass sich das Bundesgericht
stattdessen auf das Argument der Wahrung der Grundrechte Dritter und des
religiösen Friedens abstützen würde. Sie schreibt: «Der Minderheitenschutz
reicht insofern nur so weit, als dass die Werte der schweizerischen
Gesellschaft nicht verloren gehen und das harmonische gesellschaftliche
Zusammenleben nicht gefährdet wird.» Die Verweigerung des Händedrucks könnte
als unzulässiger Eingriff in die Rechte der Lehrerin gedeutet werden.
So weit die juristische Analyse von Jarrah Peter.
«Persönlich bin ich aber gegen die Handschlags-Pflicht.» Sie sei ein liberal
denkender Mensch, als halbe Philippina, halbe Schweizerin multikulturell
aufgewachsen. «Und auf den Philippinen habe ich die Diskriminierung der
muslimischen Minderheit hautnah miterlebt», erzählt die Christin.
So überrascht es nicht, dass sie auch gegen ein Kopftuchverbot an Schulen ist. Das Bundesgerichtsurteil, das einer Genfer Lehrerin 1997 das Tragen des Kopftuchs verboten hatte, kritisiert sie, da keine Güterabwägung zwischen der persönlichen Freiheit der Lehrerin und der staatlichen Pflicht zur Neutralität gemacht worden sei.
So überrascht es nicht, dass sie auch gegen ein Kopftuchverbot an Schulen ist. Das Bundesgerichtsurteil, das einer Genfer Lehrerin 1997 das Tragen des Kopftuchs verboten hatte, kritisiert sie, da keine Güterabwägung zwischen der persönlichen Freiheit der Lehrerin und der staatlichen Pflicht zur Neutralität gemacht worden sei.
Und beim Schwimmunterricht stellt Peter einen
Paradigmenwechsel fest: Stützte das Bundesgericht 1993 noch die Dispens eines
muslimischen Mädchens, so verpflichtete es 2008 die Töchter des Baslers Aziz
Osmanoglu zur Teilnahme. Dieses Urteil wurde 2017 auch vom Europäischen Gerichtshof
für Menschenrechte bestätigt. Einen Ansatz für eine stärkere Öffnung der
Schulen sieht Peter aber: «Da der Islam die drittgrösste Religionsgemeinschaft
der Schweiz ist, erscheint die Einführung eines fakultativen islamischen
Religionsunterrichts an den Schulen folgerichtig», schreibt sie in ihrer
Arbeit.
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