10. Februar 2019

Masterarbeit beleuchtet Religionsfreiheit im Schulkontext


Die Basler Jus-Studentin Jarrah Peter bietet einen frischen Blick auf den «Fall Therwil» von 2016, der bis heute inhaltlich von keinem Gericht beurteilt wurde. Auch hinterfragt sie Bundesgerichtsentscheide zum Schwimmunterricht und dem Kopftuchverbot.
"Eingriff in Glaubensfreiheit der Schüler ist zulässig" - Masterarbeit behandelt Handschlag-Affäre, Basellandschaftliche Zeitung, 8.2. von Michael Nittnaus


Ein Schlagwort genügt und die Debatte fängt wieder Feuer: Handschlag-Affäre. Schon drei Jahre ist es her, seit sich zwei muslimische Brüder an der Sekundarschule Therwil weigerten, ihrer Lehrerin zur Begrüssung die Hand zu geben. Es folgten: Kompromiss der Schulleitung, Empörung der Öffentlichkeit, Zwang zum Händedruck durch die Regierung, Rechtsstreit mit den Eltern. Doch fertig verarbeitet ist die Sache bis heute nicht.

Das liegt nicht zuletzt daran, da das Kantonsgericht die Beschwerde der Familie im November 2017 aus formellen Gründen zurückwies, weil mittlerweile beide Buben die Sekundarschule abgeschlossen hatten. Es gibt also bis heute kein inhaltliches Urteil eines Gerichtes. Sogar die Baselbieter Bildungsdirektorin Monica Gschwind äusserte damals ihre Enttäuschung ob des Nicht-Entscheids. Da die Familie die Beschwerde nicht ans Bundesgericht weiterzog, bräuchte es einen neuen «Fall Therwil». Doch dieser ist nicht in Sicht.

Was wäre wenn beim Bundesgericht?
Aber was wäre wenn? Was wäre, wenn die Handschlag-Affäre vom Bundesgericht beurteilt würde? Genau diese Frage stellte sich Jarrah Peter. Die 25-Jährige schliesst gerade ihr Masterstudium an der Juristischen Fakultät der Uni Basel ab. Als Thema ihrer Masterarbeit wählte sie «Die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Religionsfreiheit im Schulkontext». Peter analysierte die Bundesgerichtsentscheide der letzten 25 Jahre zum Kopftuchverbot, zur Dispensation vom Schwimmunterricht und zum Kruzifix im Schulzimmer.

Aber sie begnügte sich nicht damit: «Ich wollte auch einen Ausblick bieten, in welche Richtung sich die Rechtsprechung des Bundesgerichts künftig entwickeln dürfte», sagt Peter. Und da kommt die Handschlag-Affäre ins Spiel. Die Masterarbeit kommt zum Schluss: «Es ist anzunehmen, dass das Bundesgericht in der Handschlag-Affäre den Eingriff in die Glaubens- und Gewissensfreiheit der Schüler als zulässig erachten wird.»
Peters Herleitung erstaunt. Denn sie rückt nicht das in der Öffentlichkeit dominierende Thema der Gleichberechtigung von Mann und Frau ins Zentrum: «Das Einfordern des Händedrucks ist kein geeignetes Mittel, die Gleichstellung der Geschlechter zu erwirken», sagt sie. Die innere Haltung der gezwungenen Person ändere sich dadurch nicht. Ausserdem sei die Massnahme unverhältnismässig, da es akzeptierte Begrüssungsalternativen ohne Körperkontakt gebe.

Peter wünscht islamischen Religionsunterricht
Peter glaubt aber, dass sich das Bundesgericht stattdessen auf das Argument der Wahrung der Grundrechte Dritter und des religiösen Friedens abstützen würde. Sie schreibt: «Der Minderheitenschutz reicht insofern nur so weit, als dass die Werte der schweizerischen Gesellschaft nicht verloren gehen und das harmonische gesellschaftliche Zusammenleben nicht gefährdet wird.» Die Verweigerung des Händedrucks könnte als unzulässiger Eingriff in die Rechte der Lehrerin gedeutet werden.

So weit die juristische Analyse von Jarrah Peter. «Persönlich bin ich aber gegen die Handschlags-Pflicht.» Sie sei ein liberal denkender Mensch, als halbe Philippina, halbe Schweizerin multikulturell aufgewachsen. «Und auf den Philippinen habe ich die Diskriminierung der muslimischen Minderheit hautnah miterlebt», erzählt die Christin.
So überrascht es nicht, dass sie auch gegen ein Kopftuchverbot an Schulen ist. Das Bundesgerichtsurteil, das einer Genfer Lehrerin 1997 das Tragen des Kopftuchs verboten hatte, kritisiert sie, da keine Güterabwägung zwischen der persönlichen Freiheit der Lehrerin und der staatlichen Pflicht zur Neutralität gemacht worden sei.
Und beim Schwimmunterricht stellt Peter einen Paradigmenwechsel fest: Stützte das Bundesgericht 1993 noch die Dispens eines muslimischen Mädchens, so verpflichtete es 2008 die Töchter des Baslers Aziz Osmanoglu zur Teilnahme. Dieses Urteil wurde 2017 auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bestätigt. Einen Ansatz für eine stärkere Öffnung der Schulen sieht Peter aber: «Da der Islam die drittgrösste Religionsgemeinschaft der Schweiz ist, erscheint die Einführung eines fakultativen islamischen Religionsunterrichts an den Schulen folgerichtig», schreibt sie in ihrer Arbeit.


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