Seit vielen Jahren debattieren Eltern und Experten darüber, welche
Folgen es hat, dass im Kindergarten und auf der Primarstufe fast
ausschliesslich Frauen unterrichten. Schadet es unseren Knaben, wenn sie keine
Männer als Vorbilder haben? So lautet kurz zusammengefasst die Frage. Heiss
diskutiert wird über die Feminisierung von Berufen auch im Zusammenhang mit dem
Ärztemangel. Junge Ärztinnen wollen nicht mehr rund um die Uhr für die
Patienten erreichbar sein wie der klassische ältere Hausarzt. Viele
Medizinerinnen arbeiten Teilzeit, was Lücken in der Gesundheitsversorgung
verursacht.
Wie heikel das Thema Verweiblichung ist, musste 2014 Gottfried Locher,
der Präsident des Evangelischen Kirchenbundes, erfahren. Gegenüber der
«Weltwoche» beklagte er die «Feminisierung» der Kirche. Diese Tendenz
könnte dazu führen, dass die Männer nicht mehr in die Kirche kämen. Locher
löste mit dieser Aussage einen Sturm der Entrüstung aus und musste sich
öffentlich entschuldigen.
Immer mehr Mädchen werden Malerin und erleben die Nachteile eines typischen Frauenberufs, NZZ, 25.2. von Erich Aschwanden
Frauen auf der Leiter
Lehrerin, Ärztin, Pfarrerin – das sind die klassischen Berufe, die
zunehmend zu Frauendomänen werden. Doch auch bei Bauberufen und im Handwerk
verändert sich einiges. Wer seine Wohnung neu hat streichen lassen, hat sich
vielleicht darüber gewundert, dass nicht ein stämmiger Handwerker klingelt.
Vielmehr werden diese Arbeiten von jungen Frauen erledigt, die mit Pinsel und
Leiter anrücken.
Frauenanteil nimmt zu
Dabei handelt es sich keineswegs um Ausnahmen. 2017 traten 270 weibliche
und 326 männliche Lernende zur Lehrabschlussprüfung an. Der Frauenanteil lag
damit bei rund 47 Prozent und steigt weiter leicht an. Überdurchschnittlich
vertreten sind die Frauen vor allem in der Zentralschweiz, Schaffhausen, Zürich
und Bern. Dieser Trend ist nicht neu, sondern hält seit fast 30 Jahren an. Noch
zu Beginn der 1980er Jahre lag der Frauenanteil in der Deutschschweiz bei den
Lehrverhältnissen unter 10 Prozent, bis 2006 stieg er auf fast 60 Prozent.
«Von Vertretern anderer auf dem Bau tätiger Branchen wurden wir schon
oft nach unserem Erfolgsrezept gefragt», sagt Petra Braun, Bereichsleiterin
Marketing und Nachwuchsförderung beim Schweizerischen Maler- und
Gipserunternehmer-Verband (SMGV). Es gebe jedoch keine schlüssige Erklärung für
diese Entwicklung. «Die Frauen haben schlicht und einfach den Malerberuf für
sich entdeckt.» Als möglicher Grund für den Boom wird ins Feld geführt, dass
weniger Muskelkraft nötig ist als für andere Berufe auf dem Bau. «Eine Rolle
spielt wahrscheinlich auch, dass es sich um einen kreativen Beruf handelt, der
jungen Frauen Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet», vermutet Braun.
Mit dieser schon fast sagenhaften Entwicklung bilden die Malerinnen die
absolute Ausnahme. In anderen Männerdomänen fassen die Frauen viel zaghafter
Fuss. 2016 lag der Frauenanteil im Baugewerbe bei den Lernenden bei knapp 8
Prozent. Das zeigt sich auch an den Swiss Skills, den Berufsmeisterschaften.
Dort holen weibliche Lernende in Berufen wie Bodenplattenleger, Velomechaniker
oder Gebäudetechnikplaner/Heizung inzwischen regelmässig Medaillen.
Beim Verband der Schreinermeister und Möbelfabrikanten ist man etwas
neidisch auf den Erfolg der Maler, wie Kommunikationsleiter Patrik Ettlin
eingesteht. Allerdings zieht auch der Schreinerberuf kontinuierlich immer mehr
Frauen an. Lag der Anteil der weiblichen Lernenden im Jahr 2011 noch bei 11
Prozent, stieg er 2017 auf 18 Prozent. Fast jeder fünfte neu ausgebildete
Schreiner ist also eine Schreinerin. «Mit dieser Quote sind wir nicht
zufrieden. Wir wollen noch mehr junge Frauen für diesen faszinierenden Beruf
begeistern», erklärt Ettlin. Wenn es gelinge, mehr Frauen zu gewinnen, könne
damit der Fachkräftemangel gelindert werden.
Ausstieg wegen Familie
Viele Branchenverbände werben deshalb gezielt um junge Frauen. So wird
der nationale Zukunftstag genutzt, um Mädchen Einblicke in Berufe zu bieten, an
die sie bei der Berufswahl nicht in erster Linie denken. Über Youtube und
soziale Netzwerke werden künftige Handwerkerinnen umworben. Die
Schreinermeister planen weitere Aktivitäten in Richtung «Leuchtturm: Frauen im
Beruf» oder «Quereinstieg: ideal für Frauen», um die Durchmischung zu
verbessern.
Eigentlich ist es erfreulich, dass nicht nur akademische, sondern auch
handwerkliche und technische Berufe für Frauen attraktiver werden. Doch die
Maler- und Gipserbetriebe sehen sich dadurch mit neuen Herausforderungen
konfrontiert: Fast die Hälfte der weiblichen Fachkräfte steigen nämlich wieder
aus, bevor sie 35 Jahre alt werden und eine Familie gründen wollen. Männer
bleiben deutlich länger im Beruf. Einer der Gründe ist, dass viele Malerinnen
gern Teilzeit arbeiten würden. Doch dieses Arbeitszeitmodell ist auf dem Bau
ganz allgemein wenig verbreitet.
Mit dem Programm «Teilzeitbau», das vom Maler- und
Gipserverband sowie den Gewerkschaften getragen wird, soll dies nun geändert
werden. Die Möglichkeit von Teilzeitarbeit für Männer und Frauen soll die
Branchen attraktiver machen, die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben
unterstützen und zum Erhalt von Fachkräften beitragen. Zurzeit wird im Rahmen
einer Umfrage das Bedürfnis nach Teilzeitarbeit bei Frauen und Männern
abgeklärt. Erhoben werden auch die Bedürfnisse der Unternehmen. Anschliessend
starten Projekte in verschiedenen Firmen. Mittel- bis längerfristig sollen
Teilzeitarbeitsmodelle auch in anderen Baubranchen etabliert werden.
Ansehen der Berufe sinkt
Malerin ist also schleichend zu einem Frauenberuf geworden, und ein Ende
dieser Entwicklung ist nicht absehbar. Das hat Folgen. Die starke Präsenz von
Frauen habe alle von der Feminisierung betroffenen Berufe verändert, stellt
Regula Stämpfli fest. Die Politologin ist Autorin des Buches «Frauen ohne
Maske». Darin werden 201 Frauen porträtiert, die in sogenannten Männerberufen
tätig sind. «Je mehr Frauen in einem Beruf tätig sind, umso geringer werden das
Ansehen und der Lohn», sagt sie. Die Feminisierung der Arbeitswelt sei nur
scheinbar gelungen.
«Eigentlich müsste man klären, warum sich die Männer immer mehr aus
gewissen Domänen zurückziehen», erklärt Stämpfli. Dies sei beim Lehrer- und
Pfarrerberuf sehr explizit der Fall. Die spannende Frage laute, was zuerst
gewesen sei: «Ist das Image eines Berufes schlechter geworden, weil er häufiger
von Frauen ergriffen wird? Oder sind diese Berufe für Männer nicht mehr
attraktiv, und die Lücken werden durch Frauen gefüllt?», fragt Stämpfli.
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