25. Februar 2019

Lehrerin, Ärztin, Pfarrerin - moderne Frauenberufe


Seit vielen Jahren debattieren Eltern und Experten darüber, welche Folgen es hat, dass im Kindergarten und auf der Primarstufe fast ausschliesslich Frauen unterrichten. Schadet es unseren Knaben, wenn sie keine Männer als Vorbilder haben? So lautet kurz zusammengefasst die Frage. Heiss diskutiert wird über die Feminisierung von Berufen auch im Zusammenhang mit dem Ärztemangel. Junge Ärztinnen wollen nicht mehr rund um die Uhr für die Patienten erreichbar sein wie der klassische ältere Hausarzt. Viele Medizinerinnen arbeiten Teilzeit, was Lücken in der Gesundheitsversorgung verursacht.
Wie heikel das Thema Verweiblichung ist, musste 2014 Gottfried Locher, der Präsident des Evangelischen Kirchenbundes, erfahren. Gegenüber der «Weltwoche» beklagte er die «Feminisierung» der Kirche. Diese Tendenz könnte dazu führen, dass die Männer nicht mehr in die Kirche kämen. Locher löste mit dieser Aussage einen Sturm der Entrüstung aus und musste sich öffentlich entschuldigen.

Immer mehr Mädchen werden Malerin und erleben die Nachteile eines typischen Frauenberufs, NZZ, 25.2. von Erich Aschwanden

Frauen auf der Leiter
Lehrerin, Ärztin, Pfarrerin – das sind die klassischen Berufe, die zunehmend zu Frauendomänen werden. Doch auch bei Bauberufen und im Handwerk verändert sich einiges. Wer seine Wohnung neu hat streichen lassen, hat sich vielleicht darüber gewundert, dass nicht ein stämmiger Handwerker klingelt. Vielmehr werden diese Arbeiten von jungen Frauen erledigt, die mit Pinsel und Leiter anrücken.
Frauenanteil nimmt zu
Dabei handelt es sich keineswegs um Ausnahmen. 2017 traten 270 weibliche und 326 männliche Lernende zur Lehrabschlussprüfung an. Der Frauenanteil lag damit bei rund 47 Prozent und steigt weiter leicht an. Überdurchschnittlich vertreten sind die Frauen vor allem in der Zentralschweiz, Schaffhausen, Zürich und Bern. Dieser Trend ist nicht neu, sondern hält seit fast 30 Jahren an. Noch zu Beginn der 1980er Jahre lag der Frauenanteil in der Deutschschweiz bei den Lehrverhältnissen unter 10 Prozent, bis 2006 stieg er auf fast 60 Prozent.

«Von Vertretern anderer auf dem Bau tätiger Branchen wurden wir schon oft nach unserem Erfolgsrezept gefragt», sagt Petra Braun, Bereichsleiterin Marketing und Nachwuchsförderung beim Schweizerischen Maler- und Gipserunternehmer-Verband (SMGV). Es gebe jedoch keine schlüssige Erklärung für diese Entwicklung. «Die Frauen haben schlicht und einfach den Malerberuf für sich entdeckt.» Als möglicher Grund für den Boom wird ins Feld geführt, dass weniger Muskelkraft nötig ist als für andere Berufe auf dem Bau. «Eine Rolle spielt wahrscheinlich auch, dass es sich um einen kreativen Beruf handelt, der jungen Frauen Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet», vermutet Braun.
Mit dieser schon fast sagenhaften Entwicklung bilden die Malerinnen die absolute Ausnahme. In anderen Männerdomänen fassen die Frauen viel zaghafter Fuss. 2016 lag der Frauenanteil im Baugewerbe bei den Lernenden bei knapp 8 Prozent. Das zeigt sich auch an den Swiss Skills, den Berufsmeisterschaften. Dort holen weibliche Lernende in Berufen wie Bodenplattenleger, Velomechaniker oder Gebäudetechnikplaner/Heizung inzwischen regelmässig Medaillen.

Beim Verband der Schreinermeister und Möbelfabrikanten ist man etwas neidisch auf den Erfolg der Maler, wie Kommunikationsleiter Patrik Ettlin eingesteht. Allerdings zieht auch der Schreinerberuf kontinuierlich immer mehr Frauen an. Lag der Anteil der weiblichen Lernenden im Jahr 2011 noch bei 11 Prozent, stieg er 2017 auf 18 Prozent. Fast jeder fünfte neu ausgebildete Schreiner ist also eine Schreinerin. «Mit dieser Quote sind wir nicht zufrieden. Wir wollen noch mehr junge Frauen für diesen faszinierenden Beruf begeistern», erklärt Ettlin. Wenn es gelinge, mehr Frauen zu gewinnen, könne damit der Fachkräftemangel gelindert werden.

Ausstieg wegen Familie
Viele Branchenverbände werben deshalb gezielt um junge Frauen. So wird der nationale Zukunftstag genutzt, um Mädchen Einblicke in Berufe zu bieten, an die sie bei der Berufswahl nicht in erster Linie denken. Über Youtube und soziale Netzwerke werden künftige Handwerkerinnen umworben. Die Schreinermeister planen weitere Aktivitäten in Richtung «Leuchtturm: Frauen im Beruf» oder «Quereinstieg: ideal für Frauen», um die Durchmischung zu verbessern.

Eigentlich ist es erfreulich, dass nicht nur akademische, sondern auch handwerkliche und technische Berufe für Frauen attraktiver werden. Doch die Maler- und Gipserbetriebe sehen sich dadurch mit neuen Herausforderungen konfrontiert: Fast die Hälfte der weiblichen Fachkräfte steigen nämlich wieder aus, bevor sie 35 Jahre alt werden und eine Familie gründen wollen. Männer bleiben deutlich länger im Beruf. Einer der Gründe ist, dass viele Malerinnen gern Teilzeit arbeiten würden. Doch dieses Arbeitszeitmodell ist auf dem Bau ganz allgemein wenig verbreitet.

Mit dem Programm «Teilzeitbau», das vom Maler- und Gipserverband sowie den Gewerkschaften getragen wird, soll dies nun geändert werden. Die Möglichkeit von Teilzeitarbeit für Männer und Frauen soll die Branchen attraktiver machen, die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben unterstützen und zum Erhalt von Fachkräften beitragen. Zurzeit wird im Rahmen einer Umfrage das Bedürfnis nach Teilzeitarbeit bei Frauen und Männern abgeklärt. Erhoben werden auch die Bedürfnisse der Unternehmen. Anschliessend starten Projekte in verschiedenen Firmen. Mittel- bis längerfristig sollen Teilzeitarbeitsmodelle auch in anderen Baubranchen etabliert werden.

Ansehen der Berufe sinkt
Malerin ist also schleichend zu einem Frauenberuf geworden, und ein Ende dieser Entwicklung ist nicht absehbar. Das hat Folgen. Die starke Präsenz von Frauen habe alle von der Feminisierung betroffenen Berufe verändert, stellt Regula Stämpfli fest. Die Politologin ist Autorin des Buches «Frauen ohne Maske». Darin werden 201 Frauen porträtiert, die in sogenannten Männerberufen tätig sind. «Je mehr Frauen in einem Beruf tätig sind, umso geringer werden das Ansehen und der Lohn», sagt sie. Die Feminisierung der Arbeitswelt sei nur scheinbar gelungen.

«Eigentlich müsste man klären, warum sich die Männer immer mehr aus gewissen Domänen zurückziehen», erklärt Stämpfli. Dies sei beim Lehrer- und Pfarrerberuf sehr explizit der Fall. Die spannende Frage laute, was zuerst gewesen sei: «Ist das Image eines Berufes schlechter geworden, weil er häufiger von Frauen ergriffen wird? Oder sind diese Berufe für Männer nicht mehr attraktiv, und die Lücken werden durch Frauen gefüllt?», fragt Stämpfli.


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