Megatrends wie Globalisierung und Individualisierung
beschleunigen die Transformation beinahe in allen Lebensbereichen. Die Suche
nach Neuerfindung oder stetiger Anpassung ist eine Konstante geworden. Entwicklungen,
welche die Ökonomisierung des Lernens erreichen möchten und damit den Einsatz
von neuen Medien in Klassenräumen beschleunigen, schlagen sich immer stärker in
der Bildung nieder (Rösler & Würffel, 2018,
S. 1). Doch was sind eigentlich «Neue Medien»? Wie können die
Fremdsprachenlehrenden die neuen Medien in diesem Spannungsfeld nutzenbringend
einsetzen? Welche Lernziele eigenen sich für die neuen Medien?
Neue Medien im Fremdsprachenunterricht – Eine Annäherung, Battal Kalan, 8.1.
Definition (neue)
Medien
Als Medien
werden in der Fremdsprachendidaktik alle Lehr- und Lernmittel, die als
Informationsleiter dienen, verstanden (Storch, 2008, S. 271) . Die oben erwähnten
Entwicklungen haben in den letzten Jahren neue Begriffe hervorgebracht wie zum
Beispiel die Bezeichnungen «Neue Medien», «Digitale Medien», «E-Learning» und
«Webbasiertes Lernen». «Virtuelles Lernen» oder «Web 2.0» sind kaum voneinander
zu unterscheiden (Wicht, 2010, S. 172) und es gibt
zahlreiche Definitionen dafür. Eine aus meiner Sicht zusammenfassende und
valable Definition kommt von Freudenstein, der die neuen Medien als Ergebnis
der technologischen Entwicklung bezeichnet, die in Form von Computer,
Smartphones und Tablets - mit Hilfe von Internet - die Informationsvermittlung
bereitstellen und ein interaktives Lernen fördern (Freudenstein, 2007, S. 395) .
Gemäss diesem Begriff zählen u.a. Internet, Smartphones,
Erklär-Videos, e Mail, WhatsApp oder sonstige Lern-Apps, Tablets, soziale
Netzwerke wie Blogs, Wikis, Twitter, Facebook oder Visualizer, PowerPoint,
Touchscreen-Tafel, Streaming-Kanäle und Quercodes zu den Lernmedien. Mit Cloudlösungen
wie Microsoft Teams oder Dropbox tauschen und teilen BenutzerInnen Informationen
oder bearbeiten gleichzeitig dasselbe Dokument.
Es soll auch erwähnt sein, dass die neuen Medien immer
in der jeweiligen Zeit neu sind. Die zukünftigen neuen Medien werden bestimmt
völlig anders aussehen und anderes können. In diesem Beitrag gehe ich bewusst
nicht auf die Entwicklungen ein, die das menschliche Bewusstsein und die Aufnahmefähigkeit
erweitern. Doch es werden zukünftig neue Medien auftauchen, die wir heute so
gar nicht kennen. Ihre erweiterte Fähigkeit, grosse Datenmengen in kurzer Zeit
aufzunehmen, zu analysieren und nützlich zur Verfügung zu stellen könnten somit
interessant fürs Lernen, speziell für das Fremdsprachenlernen sein. Wenn dies
der Technik und der Wissenschaft gelingt, so könnte man z.B. je nach Gebrauch
die Sprachspeicherbausteine austauschen und somit fremde Sprachen durch ein
Medium entweder ables-, hör- und nachsprechbar oder gar über ein unter der Haut
implantiertes Medium stärker nachempfindbar machen. Solche Entwicklungen werden
einen disruptiven Einfluss auf die heute gängigen Lernformen haben.
Rolle der neuen Medien
im Fremdsprachenunterricht
Die Einsatzmöglichkeiten der neuen Medien sind
heutzutage vielfältig. Als Einstieg in ein Thema können zum Beispiel Bilder,
Videos oder Tonaufnahmen eingesetzt werden.
YouTube, Smartphone oder Onlinekurse im Internet fördern das selbständige
Lernen. Die Lernprodukte können einfach gespeichert und miteinander getauscht
werden. E-Mail, Chats oder social-media können im Unterricht, unterwegs, am
Arbeitsplatz oder zu Hause eingesetzt werden, um produktive und rezeptive
Fertigkeiten zu fördern.
Darüber hinaus bereiten die neuen Medien die
Sprachlernenden auf die Anforderungen der Gesellschaft und Wirtschaft vor. Denn
die eingangs erwähnten Entwicklungen verlangen von Individuen u.a. ständiges,
reflektives und flexibles Lernen, Problemlösungsfähigkeit, Teamfähigkeit und Medienkompetenz.
Die neuen Medien unterstützen diese Anforderungen. Durch das ortsunabhängige und zeitflexible Lernen mit
neuen Medien wird die Flexibilitätsfähigkeit antrainiert und das Gelernte kann
zeitnah und unmittelbar umgesetzt werden. Das Internet ermöglicht es, dass Lehrende
und Lernende ortsunabhängig miteinander kommunizieren können und gemeinsam an
Aufgaben arbeiten. «Oder es werden Ergebnisse aus dem Klassenzimmer direkt und
ohne grossen Aufwand präsentiert und bei Bedarf nach aussen transportiert (Würffel, 2018) .» Zudem ermöglichen
die neuen Medien ein individualisiertes
Lernen. Die Lernenden können die Lerninhalte und das Lerntempo mitbestimmen
und sie auf eigene Bedürfnisse und Niveaus anpassen. Somit werden mitunter
unterschiedliche Lerntypen angesprochen und unterschiedliche Kanäle wie Lesen,
Hören, Sehen einbezogen (Wicht, 2010, S. 174) . Nicht zuletzt wird
damit die Lernautonomie gefördert.
Im besten Fall können neue Medien
(Onlinemöglichkeiten) zur Chancengleichheit beitragen, da Informationen nun
über das Internet für mehr Menschen an unterschiedlichen Orten, in
unterschiedlichsten Situationen zugänglich sind. Somit wäre eine
autodidaktische Weiterbildung auch in abgelegenen oder armen Gegenden möglich.
Diese Möglichkeit bedingt aber ein Minimum an technischen Ressourcen wie
Internet, Computer oder Smartphone.
Trotz dieser Rollenerfüllung zeigen die wenigen
empirischen Befunde, dass der Einsatz neuer Medien gegenüber traditionellem
Unterricht zu keinem signifikant besseren Sprachlernerfolg beiträgt (Freudenstein,
2007, S. 398) .
Damit die neuen Medien ihre Rolle erfüllen und deren Potential ausgeschöpft
werden kann, müssen aus meiner Sicht folgende Rahmenbedingungen gegeben sein: Sprachinstitutionen müssen die
technischen, personellen und finanziellen Ressourcen bereitstellen und eine
innovative Kultur vorleben. Die Sprachinstitutionen müssen sich stetig
weiterentwickeln und Wissensmanagement im Bereich des Sprachunterrichtes aktiv
mitgestalten. Die Lehrenden müssen offen
gegenüber Innovationen sein und sich ständig weiterbilden und die neuen Medien
im Unterricht einsetzen. Die Lernenden
müssen Raum und Möglichkeit haben, entsprechend ihren Bedürfnissen und
Fähigkeiten die neuen Medien einzusetzen. D.h. der Zugang zu den Medien muss
garantiert sein. Gemäss Da Rin, (2018) können
«die Lernwirksamkeit multimedialer Lernangebote ihre Wirkungen nur dann
entfalten, wenn sie im Rahmen geeigneter lern- und lehrtheoretischer
Überlegungen verwendet werden und dabei auch die Lernvoraussetzungen von der
Zielgruppe und die Lerninhalte sorgfältig berücksichtigt werden.» Solange diese
Rahmenbedingungen fehlen, werden die neuen Medien keinen signifikanten Beitrag
an den Lernerfolg beitragen.
Welche Lernziele mit
neuen Medien
Wie oben beschrieben, ermöglichen die neuen Medien
Lernenden, ihre Lernziele, Lerninhalte und ihr Lerntempo selbst- oder
mitzubestimmen. Doch nicht alles lässt sich mit den neuen Medien unterrichten.
Haptische und motorische Fähigkeiten und soziale Kompetenzen lassen sich
schlecht mit den neuen Medien vermitteln. Die Grundlagen der Empathie- und
Konfliktfähigkeit können durchaus mit neuen Medien vermittelt werden – doch die
Fähigkeit an sich kann nur im Austausch mit Menschen vermittelt/erfahrbar
gemacht werden (Wicht, 2010, S. 176) .
Mit neuen Medien können Lernziele, die die kognitiven
Fähigkeiten ansprechen, gemäss der Taxonomie von Bloom am besten vermittelt werden. Wie im untenstehenden Abbild
aufgezeigt, lassen sich die Lernziele in den unteren zwei Taxonomien sehr gut
durch neue Medien vermittelt. Je höher die Taxonomiestufe, desto geringer ist
der Anteil, der durch neue Medien abgedeckt werden kann, weil «die folgenden 4
Stufen einen höheren Differenzierungs- und Vernetzungsgrad aufweisen und
deshalb vermehrt die Kommunikation zu physisch anwesenden Mitlernenden
voraussetzen» (Wicht, 2010, S. 176) . In diesen Stufen ist
das sogenannte «Blended Learning», eine Kombination von virtuellem Lernen und
Präsenzlernen, sinnvoll (Rösler, 2007, S. 45ff).
Nachteile und mögliche
Gefahren
Selbstverständlich gibt es auch Gefahren durch die
neuen Medien. Diese Aspekte treten dann verstärkt auf, wenn man für den
Unterricht rein auf die neuen Medien als Kommunikations- und Vermittlungsmedium
setzt.
Gefühle, Geruch, Mimik und Gestik können durch neue
Medien nicht vermittelt werden. Doch diese Aspekte sind mindestens so wichtig
wie das reine Sprachenlernen. Gruppendynamische Effekte fehlen ohne die soziale
Präsenz von unterschiedlichen Charakteren in einem Raum und somit oft auch
soziale Interaktionen und Kontakte. Auch die Präsenz der Teilnehmenden ist schwieriger
zu fassen, wenn alle in ihre Geräte schauen. Präsenz kann nur durch aktives
Mitwirken festgestellt werden. Doch ein gelungenes Lernen beansprucht auch
passive Präsenzzeit, weil man vielleicht gerade nachdenkt oder etwas
aufschreibt.
Die Abhängigkeit der Beteiligten von der Technik ist
erhöht und man muss ständig neue Technologien evaluieren und in sie investieren.
Somit nimmt der Ökonomisierungsgrad der Bildung rasant zu. Es werden viele
Ressourcen (Zeit und Geld) in die neuen Medien gesteckt, die wiederum in
anderen Bereichen fehlen. Lehrpersonen müssen sich ständig updaten und werden
durch die neuen Medien zu Coaches «degradiert».
Neue Medien eigenen sich schlecht für komplexe Themen.
Zudem setzen sie ein Grundwissen und Fertigkeiten voraus, die von
Lernungewohnten nicht erfüllt werden können. Weiter sind das Überangebot und die
Flut an Informationen zum Teil irreführend. Es wird schwieriger, adäquate und
richtige Quellen in nützlicher Zeit zu finden.
Fazit
Die aktuellen Trends bringen neue Formen des Lernens
hervor. Die zukünftigen Trends werden wiederum noch neuere Formen des Lernens
hervorbringen, dessen wir uns heute gar nicht bewusst sind. Es ist wichtig,
sich mit der Thematik «Neue Medien» auseinanderzusetzen und die neuen
Entwicklungen aufgrund vom didaktischen Nutzen kritisch zu hinterfragen. Damit
die erwähnten positiven Effekte auftreten, müssen die Institutionen die
Rahmenbedingungen setzen und die Lehrenden offen für die Veränderungen sein. Die
Medien sollen die Lernziele taxonomiegerecht unterstützen und auch mit den
neuen Medien muss der Unterricht seriös vorbereitet sein. Im besten Fall sollten
die Lernenden an der Unterrichtsentwicklung und -vermittlung durch die neuen
Medien miteinbezogenen werden. Somit wird die Motivation gesteigert und die Lernautonomie
gefördert. Die neuen Medien bieten auch die Möglichkeit, dass manchmal jüngere
Lernende besser über etwas Bescheid wissen als die Lehrperson und es somit zu
einem gegenseitigen Lernen voneinander kommen kann. Das stärkt mitunter eine gute
Diskussionskultur, was nicht nur dem Sprachenlernen guttut, sondern auch der
Gesellschaft allgemein. Damit die negativen Aspekte gemindert werden, ist eine
behutsame Integration der neuen Medien zu verfolgen. Womöglich soll das «Blended
Learning» bevorzugt werden. Lernen war und ist eine Beziehungsgestaltung. Damit
das so bleiben kann, müssen die neuen Medien Enabler sein und nicht Ökonomisierer.
Literaturverzeichnis
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https://www.scook.de/widget/scook/weiterwissen/ratgeber/medienkompetenz/776
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Angesichts des rasanten Fortschritts ist die wichtige Quelle zur Effizienz des digitalen Lernens "Trotz dieser Rollenerfüllung zeigen die wenigen empirischen Befunde, dass der Einsatz neuer Medien gegenüber traditionellem Unterricht zu keinem signifikant besseren Sprachlernerfolg beiträgt (Freudenstein, 2007, S. 398)" alt. Die Thematik der digitalen Medien zeigt sich besonders beim Fremdsprachenlernen exemplarisch - der Fokus ist also gut gewählt. Der Text unterscheidet vielleicht zu wenig, was im Rahmen der Volksschule möglich ist und was eher auf Stufe Sek II oder auf Tertiärstufe anwendbar ist. Insgesamt sind jedoch Vor- und Nachteile angemessen berücksichtigt. Sehr einverstanden bin ich mit dem Fazit, wonach nicht die Ökonomie das letzte Wort haben soll, sondern die pädagogische Vernunft.
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