«Wir wollen keine Spielgruppe 4.0!» In saloppem Ton machte der
sankt-gallische Bildungsdirektor Stefan Kölliker klar, wie ernst es ihm ist mit
der digitalen Offensive, die der Kanton St. Gallen vorantreibt. Vor dem
Kantonsparlament vertrat er das 75 Millionen Franken teure Bildungspaket so
überzeugend, dass es ohne Gegenstimme durchgewinkt wurde. Am 10. Februar
muss nun das kantonale Stimmvolk über den Sonderkredit befinden. Risikolos
lässt sich voraussagen, dass es ihn deutlich gutheissen wird; Opposition gibt
es keine.
Bildung wird digitaler - aber die Unterschiede in den Kantonen sind erheblich, NZZ, 27.1. von Jörg Krummenacher
Die Besonderheit der sankt-gallischen Offensive besteht darin, dass sie
sämtliche Bildungsstufen samt Berufsbildung umfasst und die Ausbildung von
Fachkräften ins Zentrum stellt. Sie soll dem Fachkräftemangel entgegenwirken
und letztlich der Wirtschaft zugutekommen.
Unzählige Initiativen
Die sankt-gallische Offensive ist in der Schweiz pionier- und
beispielhaft. Aber auch andere Kantone unternehmen erhebliche Anstrengungen im
IT-Bereich. Diese basieren meist auf den im Lehrplan 21 fixierten Vorgaben zu
«Medien und Informatik» in der Volksschule. So hat der Kanton Tessin im Juni
2018 ein Konzept für 47 Millionen Franken vorgelegt.
Genf konkretisierte im November seine IT-Visionen. Schaffhausen präsentierte im
Dezember die Umsetzung der Informatikstrategie.
Auch im Kanton Zürich laufen viele Projekte. Bis 2021 erwerben 3200
Lehrpersonen die notwendigen IT-Kenntnisse, zudem entsteht ein neues
vierbändiges Lehrmittel, dessen erster Band bereits erhältlich ist. Für die
Mittel- und die Berufsfachschulen hat die Bildungsdirektion ihre Arbeiten an
einer neuen Strategie beinah abgeschlossen. Und an der Universität Zürich läuft
seit 2016 die Digital Society Initiative, an der sich alle sieben Fakultäten
beteiligen.
Gemeinsame Strategie nötig
Allein: Die Unterschiede in der Umsetzung digitaler Bildungskonzepte
sind auf nationaler Ebene enorm. Während einzelne Kantone voranschreiten,
hinken andere hinterher. Es herrscht digitale Disharmonie. Der Dachverband der
Lehrerschaft (LCH) hat einen Forderungskatalog verabschiedet, in
dem er deshalb eine koordinierte Umsetzung digitaler Strategien und eine
Führung durch den Bund und die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren
(EDK) fordert. Die einzelnen Kantone könnten die Digitalisierung in der Schule
nicht allein stemmen, sagt LCH-Präsident Beat Zemp: «Es braucht einen
verbesserten Austausch über die Kantone hinweg, um die Entwicklung in allen
Kantonen, Gemeinden und den einzelnen Schulen voranzubringen.»
Selben Inhalts ist eine Motion, welche die CVP-Fraktion im Nationalrat
im Juni 2018 eingereicht hat und die im Plenum noch nicht behandelt wurde. Sie
verlangt ein Impulsprogramm des Bundes, um die digitalen Anstrengungen zu
bündeln und zu koordinieren.
Uneinigkeit über Tempo
Im Prinzip sind solche Programme bereits installiert und teilweise auch
umgesetzt. 2017 hat der Bundesrat einen Aktionsplan zur Digitalisierung
vorgestellt, der für das laufende und das kommende Jahr Massnahmen umfasst.
Dafür werden nach Auskunft des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und
Innovation (SBFI) 213 Millionen Franken eingesetzt, 150 Millionen davon im
Rahmen des ordentlichen Budgets. Letzten Sommer verabschiedeten die kantonalen
Bildungsdirektoren ihrerseits eine nationale
Digitalisierungsstrategie für das Bildungswesen, die
voraussichtlich im kommenden Juni von der Plenarversammlung konkretisiert
werden soll. Wie die EDK mitteilt, will sie dabei jene Aufgaben übernehmen, die
nach einer nationalen Koordination verlangen. Ein Beispiel für eine solche
Aktivität ist das 2018 lancierte Projekt Fides, das einen einzigen Zugang zu
Online-Diensten für Schüler- und Lehrerschaft sowie Verwaltungspersonal von
Bildungsinstitutionen ermöglichen soll.
Für manche Beteiligte erfolgen die Aktivitäten aber zu langsam. Der
Kanton St. Gallen bezeichnet die Massnahmen des Bundes in seiner Botschaft
zur IT-Bildungsoffensive als «noch wenig konkret». Und St. Gallens
Bildungschef Stefan Kölliker erklärte mit Blick auf die Digitalisierung in der
Berufsbildung: Das Problem bei der Umsetzung des entsprechenden Leitbilds 2030
sei, dass «der Bund selber auch nicht weiss, wie er das herbeiführen kann».
Defensiver Bundesrat
Das Staatssekretariat teilt diese Einschätzung nicht, wie es auf Anfrage
mitteilt. Das kommt auch in der bereits vorliegenden Antwort des Bundesrats zur Motion der CVP zum
Ausdruck, wonach gerade im Bereich der Berufsbildung «bereits auf die Digitalisierung
reagiert» werde. Insgesamt hält der Bundesrat die bereits auf den Weg
gebrachten Massnahmen «als zielführend», notwendig seien «weder ein
Impulsprogramm noch die Schaffung neuer gesetzlicher Grundlagen».
Manchen Kantonen wird diese Haltung des Bundesrats gefallen, da sie
keinen Eingriff in ihre Bildungshoheit bedeutet. «Mit dieser Haltung sind die
Kantone aber erst recht in der Pflicht», wie LCH-Präsident Zemp kommentiert,
«dem Beispiel des Kantons St. Gallen zu folgen und selber zu investieren.»
Der Kanton St. Gallen jedenfalls lobt seine IT-Bildungsoffensive
ungewohnt unbescheiden als «absolut einzigartig in unserer Schweiz». Es gebe
keinen Kanton, der nur ansatzweise mit solch einem Projekt unterwegs sei und
derartige Veränderungen herbeiführen wolle. Im Bereich der Berufsbildung etwa
werde St. Gallen massgebend sein für Reformen in Richtung Berufsbildung
der Zukunft. Dieser Einschätzung widerspricht der Bund nicht. Das zuständige
Staatssekretariat hält fest: Die Stärke des Schweizer Bildungssystems bestehe
ja gerade darin, «dass die Akteure auf jeder Ebene passgenau aktiv werden
können».
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