Christophe Darbellay über das Zustandekommen der Kompromiss-Reform, die
Forderung nach einer freien Schulwahl. Und warum die nächsten Reformen bereits
aufgegleist werden.
«Den grossen Wurf braucht es nicht», Walliser Bote, 25.1.
Christophe
Darbellay, man kann sagen, Sie haben einen Kompromiss gefunden. Man kann aber
auch sagen, Sie seien zurückgekrebst. Was sagen Sie?
«Die
jetzige Lösung ist ein ausgewogener Kompromiss. Wir haben die Kritik, die
während der Vernehmlassung geäussert worden ist, ernst genommen. Wichtig ist,
dass der Kern der Reform erhalten bleibt, wonach vor allem auf Stufe des ersten
Kindergartens, also 1H, Handlungsbedarf besteht. Zumal wir hier im
schweizweiten Vergleich klar unterdotiert sind. Die Lehrpersonen werden nun
mehr Zeit haben, sich mit den Kleinsten zu beschäftigen, auch individuell. Und
die Kinder haben mehr Zeit für grundlegendes Lernen und die Sozialisation.»
Wo war
der Widerstand am grössten, bei den Lehrern an der Basis oder bei den Eltern?
«Die
Rückmeldungen waren sehr verschieden. Selbst bei den gut 73 Prozent der
Vernehmlassungsteilnehmer, die einen Wechsel des Stundenmodells ja
grundsätzlich befürwortet haben, waren die Lösungsvorschläge sehr
unterschiedlich. Mit dem getroffenen Entscheid werden wir den meisten aber
gerecht.»
Die
Lehrer schaft ist gut organisiert. Hatten Sie Angst, dass es Ihnen ähnlich geht
wie Ihrem Vorgänger Oskar Freysinger, der sich mit der Basis teils überworfen
hat?
«Nein,
ich bin nahe an der Basis und stehe mit den Verbänden und ihren Vertretern in
einem regelmässigen Austausch. Klar werden auch mit der gefundenen Lösung nie
alle einverstanden sein. Darunter sind aber auch einzelne Kreise, die vor ein
paar Jahren noch für ein Vollzeitmodell auf Kindergartenstufe plädierten und
jetzt, plötzlich, sich gegen eine zusätzliche Lektion pro Tag wehren. Das ist
nicht sehr konsequent.»
Dabei
haben Sie auch immer argumentiert, der Lehrerberuf auf Kindergartenstufe werde
durch die Stundenerhöhung attraktiver.
«Ganz
klar. Zum ersten Mal kümmert man sich vertieft mit dem ersten Schulzyklus. Eine
Lehrperson im Kindergarten konnte bis anhin 24 bis 27 Lektionen unterrichten.
Jetzt sind es 28. Nicht nur für die Kinder, auch für die Lehrer ist es eine
Verbesserung.»
Ein
100-Prozent-Pensum ist so aber auch nicht möglich.
«Doch.
Mit entsprechender Organisation vor Ort kann die Lehrperson noch zusätzlich
vier Lektionen in einer andern Klasse unterrichten und so ein Vollpensum von 32
Lektionen erreichen.»
Auch die
Eltern sollen von der Reform profitieren, wonach man sich mit dem neuen
Stundenmodell besser organisieren kann.
«Ja, alle
Gemeinden haben jetzt die Möglichkeit, Blockzeiten oder kontinuierliche
Zeitmodelle einzuführen – was in gewissen Regionen mit langen Wegen auch
interessant sein kann. Schliesslich ist es doch praktisch, wenn alle Kinder
einer Familie gleichzeitig zur und aus der Schule gehen.»
Schliesslich
entscheiden die Gemeinden gemeinsam mit den Schulen, was für sie Sinn macht.
Hier wäre eine radikalere Reform, also auch die Erhöhung auf Stufe 2H, doch
besser gewesen, damit sich die Gemeinden mehr bewegen müssten. Nehmen Sie das
Beispiel Visp, das sich als Wirtschaftsmotor der Region versteht, aber einen
uneinheitlichen Stundenplan hat und lückenhafte Tagesstrukturen.
«Der
Staat gibt die Rahmenbedingungen vor und steht mit seinen Dienststellen
natürlich bereit, um bei den verschiedenen Organisationsmodellen beratend zu
unterstützen. Aber entschieden wird vor Ort – das gilt für Visp wie für jede
andere Gemeinde auch. Aber es ist auch klar, dass entsprechende Angebote nötig
sind, will man ein attraktiver Wohn- und Wirtschaftsstandort sein. Man kann
darüber stundenlang gesellschafts-philosophische Debatten führen. Die Realität
sieht so aus: Bei rund drei Viertel aller Eltern sind beide berufstätig, von
den Alleinerziehenden gar 85 Prozent. Deshalb braucht es auch entsprechende
Strukturen, damit jede Familie entscheiden kann, was für sie stimmt.»
Sie haben
die Reform bereits 2017, kurz nach Ihrer Wahl, angekündigt. Jetzt wird sie erst
auf das Schuljahr 2020/2021 eingeführt. Geduld ist nicht Ihre Stärke.
Frustriert Sie dieser langatmige Prozess?
(lacht)
«Überhaupt nicht. Auch Geduld kann man lernen. Es gibt Gemeinden, die nun ihre
Schülertransporte neu organisieren müssen. Da stehen eventuell Anschaffungen
eines Kleinbusses oder Verhandlungen mit PostAuto an, und das braucht noch
etwas Zeit. Es macht keinen Unterschied, ob wir nun im kommenden Schuljahr
damit beginnen oder eben ein Jahr später. Wir haben auf die Anliegen von
Berggemeinden Rücksicht genommen.»
Muss man
rückblickend auch feststellen, dass die Zeit nicht reif ist für grundlegende
Veränderungen?
«Für eine
radikale Reform ist die Akzeptanz nicht vorhanden. Und es braucht den grossen
Wurf auch nicht. Wir müssen das hiesige Bildungssystem, das – allgemein
betrachtet – im schweizweiten Vergleich sehr gut ist, wo notwendig verbessern.
Das machen wir jetzt auf Stufe Kindergarten. Zudem machen wir uns jetzt auch
mit allen betroffenen Akteuren schon Gedanken, wie man die Orientierungsschule
stärken kann. Hier gibt es vermehrt Rückmeldungen seitens der Wirtschaft, dass
die Schulabgänger nicht immer adäquat ausgebildet seien.»
Gibt es
hierzu schon konkrete Massnahmen?
«Keine,
die spruchreif sind.»
Um das
Image der hiesigen Volksschule steht es offenbar nicht so gut. So fordert etwa
die Elternlobby Schweiz die freie Schulwahl für alle, sowohl bei den
staatlichen Einrichtungen, aber auch bei allen anderen Schulen, die staatlich
bewilligt sind. Und sie setzt sich auch ein für den Unterricht zu Hause.
«Das
Image der Walliser Schule sei schlecht? Das ist völliger Mumpitz! Im Wallis
gibt es so wenige Privatschulen, weil das Niveau der Volksschule auf der
obligatorischen Stufe eben sehr hoch ist. PISA und interkantonale Vergleiche
lassen grüssen.»
Aber mit
WKB-Präsident Pierre-Alain Grichting und Lonza-Chef Jörg Solèr machen sich zwei
gewichtige Vertreter der Wirtschaft für die freie Schulwahl stark. Ihr
Departement will ja die Bildung und Wirtschaft verbinden, was läuft da schief?
«Ich war
am Mittwoch mit allen Gemeindepräsidenten des Bezirks Visp zusammen, wo die freie
Schulwahl auch Thema war. Ich habe zwar keine konsultative Abstimmung
durchgeführt, aber es wurde deutlich, dass das Anliegen in den Gemeinden null
Unterstützung finden würde. Stellen Sie sich vor: Ein Familienvater aus einem
Oberwalliser Bergdorf arbeitet in Sitten und nimmt morgens seine drei Kinder
gleich mit zur Schule seiner Wahl. Das wäre der Anfang vom Ende der hoch
qualitativen Volksschule. Und das Ende des Berggebiets.»
Stimmt
es, dass Sie Grichting deswegen in den Senkel stellten?
«Nein.
Pierre-Alain ist ein Kollege. Und ein hochintelligenter Mann. Ich rief ihn an
und habe ihm die Sache erklärt. Offenbar war er sich nicht ganz bewusst, wofür
er da seinen Namen gab. Innerhalb der Elternlobby Schweiz gibt es brillante
Verkäufer, die einem Eskimo eine Kühltruhe andrehen könnten. Da muss man
aufpassen.»
War der
Entscheid im Staatsrat einstimmig?
«Über das
Abstimmungsverhalten im Regierungskollegium geben wir grundsätzlich keine
Auskunft. Die Kollegialität ist hervorragend. Es soll weiterhin so bleiben.»
Interview:
David Biner
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