26. Januar 2019

Darbellay: "Schlechte Walliser Schule? Das ist Mumpitz!"


Christophe Darbellay über das Zustandekommen der Kompromiss-Reform, die Forderung nach einer freien Schulwahl. Und warum die nächsten Reformen bereits aufgegleist werden.
«Den grossen Wurf braucht es nicht», Walliser Bote, 25.1.


Christophe Darbellay, man kann sagen, Sie haben einen Kompromiss gefunden. Man kann aber auch sagen, Sie seien zurückgekrebst. Was sagen Sie?
«Die jetzige Lösung ist ein ausgewogener Kompromiss. Wir haben die Kritik, die während der Vernehmlassung geäussert worden ist, ernst genommen. Wichtig ist, dass der Kern der Reform erhalten bleibt, wonach vor allem auf Stufe des ersten Kindergartens, also 1H, Handlungsbedarf besteht. Zumal wir hier im schweizweiten Vergleich klar unterdotiert sind. Die Lehrpersonen werden nun mehr Zeit haben, sich mit den Kleinsten zu beschäftigen, auch individuell. Und die Kinder haben mehr Zeit für grundlegendes Lernen und die Sozialisation.»

Wo war der Widerstand am grössten, bei den Lehrern an der Basis oder bei den Eltern?
«Die Rückmeldungen waren sehr verschieden. Selbst bei den gut 73 Prozent der Vernehmlassungsteilnehmer, die einen Wechsel des Stundenmodells ja grundsätzlich befürwortet haben, waren die Lösungsvorschläge sehr unterschiedlich. Mit dem getroffenen Entscheid werden wir den meisten aber gerecht.»

Die Lehrer schaft ist gut organisiert. Hatten Sie Angst, dass es Ihnen ähnlich geht wie Ihrem Vorgänger Oskar Freysinger, der sich mit der Basis teils überworfen hat?
«Nein, ich bin nahe an der Basis und stehe mit den Verbänden und ihren Vertretern in einem regelmässigen Austausch. Klar werden auch mit der gefundenen Lösung nie alle einverstanden sein. Darunter sind aber auch einzelne Kreise, die vor ein paar Jahren noch für ein Vollzeitmodell auf Kindergartenstufe plädierten und jetzt, plötzlich, sich gegen eine zusätzliche Lektion pro Tag wehren. Das ist nicht sehr konsequent.»

Dabei haben Sie auch immer argumentiert, der Lehrerberuf auf Kindergartenstufe werde durch die Stundenerhöhung attraktiver.
«Ganz klar. Zum ersten Mal kümmert man sich vertieft mit dem ersten Schulzyklus. Eine Lehrperson im Kindergarten konnte bis anhin 24 bis 27 Lektionen unterrichten. Jetzt sind es 28. Nicht nur für die Kinder, auch für die Lehrer ist es eine Verbesserung.»

Ein 100-Prozent-Pensum ist so aber auch nicht möglich.
«Doch. Mit entsprechender Organisation vor Ort kann die Lehrperson noch zusätzlich vier Lektionen in einer andern Klasse unterrichten und so ein Vollpensum von 32 Lektionen erreichen.»

Auch die Eltern sollen von der Reform profitieren, wonach man sich mit dem neuen Stundenmodell besser organisieren kann.
«Ja, alle Gemeinden haben jetzt die Möglichkeit, Blockzeiten oder kontinuierliche Zeitmodelle einzuführen – was in gewissen Regionen mit langen Wegen auch interessant sein kann. Schliesslich ist es doch praktisch, wenn alle Kinder einer Familie gleichzeitig zur und aus der Schule gehen.»

Schliesslich entscheiden die Gemeinden gemeinsam mit den Schulen, was für sie Sinn macht. Hier wäre eine radikalere Reform, also auch die Erhöhung auf Stufe 2H, doch besser gewesen, damit sich die Gemeinden mehr bewegen müssten. Nehmen Sie das Beispiel Visp, das sich als Wirtschaftsmotor der Region versteht, aber einen uneinheitlichen Stundenplan hat und lückenhafte Tagesstrukturen.
«Der Staat gibt die Rahmenbedingungen vor und steht mit seinen Dienststellen natürlich bereit, um bei den verschiedenen Organisationsmodellen beratend zu unterstützen. Aber entschieden wird vor Ort – das gilt für Visp wie für jede andere Gemeinde auch. Aber es ist auch klar, dass entsprechende Angebote nötig sind, will man ein attraktiver Wohn- und Wirtschaftsstandort sein. Man kann darüber stundenlang gesellschafts-philosophische Debatten führen. Die Realität sieht so aus: Bei rund drei Viertel aller Eltern sind beide berufstätig, von den Alleinerziehenden gar 85 Prozent. Deshalb braucht es auch entsprechende Strukturen, damit jede Familie entscheiden kann, was für sie stimmt.»

Sie haben die Reform bereits 2017, kurz nach Ihrer Wahl, angekündigt. Jetzt wird sie erst auf das Schuljahr 2020/2021 eingeführt. Geduld ist nicht Ihre Stärke. Frustriert Sie dieser langatmige Prozess?
(lacht) «Überhaupt nicht. Auch Geduld kann man lernen. Es gibt Gemeinden, die nun ihre Schülertransporte neu organisieren müssen. Da stehen eventuell Anschaffungen eines Kleinbusses oder Verhandlungen mit PostAuto an, und das braucht noch etwas Zeit. Es macht keinen Unterschied, ob wir nun im kommenden Schuljahr damit beginnen oder eben ein Jahr später. Wir haben auf die Anliegen von Berggemeinden Rücksicht genommen.»

Muss man rückblickend auch feststellen, dass die Zeit nicht reif ist für grundlegende Veränderungen?
«Für eine radikale Reform ist die Akzeptanz nicht vorhanden. Und es braucht den grossen Wurf auch nicht. Wir müssen das hiesige Bildungssystem, das – allgemein betrachtet – im schweizweiten Vergleich sehr gut ist, wo notwendig verbessern. Das machen wir jetzt auf Stufe Kindergarten. Zudem machen wir uns jetzt auch mit allen betroffenen Akteuren schon Gedanken, wie man die Orientierungsschule stärken kann. Hier gibt es vermehrt Rückmeldungen seitens der Wirtschaft, dass die Schulabgänger nicht immer adäquat ausgebildet seien.»

Gibt es hierzu schon konkrete Massnahmen?
«Keine, die spruchreif sind.»

Um das Image der hiesigen Volksschule steht es offenbar nicht so gut. So fordert etwa die Elternlobby Schweiz die freie Schulwahl für alle, sowohl bei den staatlichen Einrichtungen, aber auch bei allen anderen Schulen, die staatlich bewilligt sind. Und sie setzt sich auch ein für den Unterricht zu Hause.
«Das Image der Walliser Schule sei schlecht? Das ist völliger Mumpitz! Im Wallis gibt es so wenige Privatschulen, weil das Niveau der Volksschule auf der obligatorischen Stufe eben sehr hoch ist. PISA und interkantonale Vergleiche lassen grüssen.»

Aber mit WKB-Präsident Pierre-Alain Grichting und Lonza-Chef Jörg Solèr machen sich zwei gewichtige Vertreter der Wirtschaft für die freie Schulwahl stark. Ihr Departement will ja die Bildung und Wirtschaft verbinden, was läuft da schief?
«Ich war am Mittwoch mit allen Gemeindepräsidenten des Bezirks Visp zusammen, wo die freie Schulwahl auch Thema war. Ich habe zwar keine konsultative Abstimmung durchgeführt, aber es wurde deutlich, dass das Anliegen in den Gemeinden null Unterstützung finden würde. Stellen Sie sich vor: Ein Familienvater aus einem Oberwalliser Bergdorf arbeitet in Sitten und nimmt morgens seine drei Kinder gleich mit zur Schule seiner Wahl. Das wäre der Anfang vom Ende der hoch qualitativen Volksschule. Und das Ende des Berggebiets.»

Stimmt es, dass Sie Grichting deswegen in den Senkel stellten?
«Nein. Pierre-Alain ist ein Kollege. Und ein hochintelligenter Mann. Ich rief ihn an und habe ihm die Sache erklärt. Offenbar war er sich nicht ganz bewusst, wofür er da seinen Namen gab. Innerhalb der Elternlobby Schweiz gibt es brillante Verkäufer, die einem Eskimo eine Kühltruhe andrehen könnten. Da muss man aufpassen.»

War der Entscheid im Staatsrat einstimmig?
«Über das Abstimmungsverhalten im Regierungskollegium geben wir grundsätzlich keine Auskunft. Die Kollegialität ist hervorragend. Es soll weiterhin so bleiben.»

Interview: David Biner


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