Lukas Bärfuss (47), Schweizer Schriftsteller und wichtigster
Intellektueller seiner Generation, geht hart ins Gericht mit dem Lehrplan 21.
Die jüngste Schulreform halte nirgends verbindlich fest, was ein Lehrer mit
seinen Schülern zu lesen habe. Es müssten nicht einmal mehr Bücher sein, ärgert
er sich im SonntagsBlick. Dabei brauche die Gesellschaft für ihren
Zusammenhalt einen minimalen Fundus an Erfahrungen und Erlebnissen.
Was zählt sind die Lehrer, nicht die Bücher, Blick, 14.1. von Andrea Willimann
Bärfuss vergisst «die Menschen hinter dem Lehrplan»
Damit provoziert der Berner viele Lehrpersonen sowie die
Bildungsdirektoren der 21 Deutschschweizer Kantone (deshalb heisst es Lehrplan
21), die bis 2020 die Schulreform umsetzen. Deren «Vater», der Schaffhauser
Regierungsrat und ehemalige Schulrektor Christian Amsler (55), kontert denn
auch scharf: «Bärfuss ist viel zu stark auf den Lehrplan konzentriert. Er nimmt
die Menschen dahinter zu wenig in den Fokus. Die Schlüsselpersonen guter
Bildung sind die Lehrer!»
Diese entschieden heute, welche Werke gelesen werden und keine
staatlichen Listen. Sie bekämen durch ihre eigene Ausbildung an den
Gymnasien, an den Pädagogischen Hochschulen und Universitäten nach wie vor
einen sehr guten Grundstock mit.
«Ich habe grösstes Vertrauen in die Lehrpersonen», so der FDP-Politiker.
Er ist überzeugt, dass der gemeinsame Wissens- und Erfahrungsschatz nicht
verloren geht. «Aber man darf sich ruhig Gedanken über dessen grosse Bedeutung
machen. Daher finde ich die Debatte, die Lukas Bärfuss jetzt angeregt hat,
wichtig.»
Amsler findet Lektüreliste «sehr gefährlich»
Allerdings müsse die Diskussion, so Amsler weiter, breit und unabhängig
von eigenen Interessen geführt werden. «Ich fände es sehr gefährlich, einen
Katalog mit literarischen Werken zu erstellen, der quasi das Pièce de
Résistance von diesem Land wäre.» Wie in der Staatspolitischen Bildung, in der
Musik oder in anderen Fächern sei die Vielfalt an Wissen und Werken heute enorm
gross und die Diskussion breit, was Allgemeingut sein soll.
«Bärfuss hat als Schriftsteller die Literatur im Blick. Aber wir können
auch lange darüber streiten, ob wir Lieder aus verschiedenen Landesteilen und
Ländern lernen und welche», sagt Amsler.
Schüler sollen nicht nur einfach wiederkäuen
Der frühere Präsident der Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz
von 2013 bis 2016 und des Steuerungsausschusses des Lehrplans 21 ist überzeugt:
Seine Reform hat den besseren Ansatz! «Wir legen das Gewicht auf die
Kompetenzen», wirbt Amsler. Der Dreiklang «Wissen, Können und Wollen»
bringe die Schüler am weitesten.
«Früher wurde in den Lehrplänen einfach Pflichtstoff aufgelistet. Später
kamen die Lernziele dazu.» Heute halte der Lehrplan zum Deutsch fest, dass sich
die Schüler mit Literatur auseinandersetzen und sich so Wissen aneignen, das
sie nicht nur einfach wiedergeben, sondern auch anwenden und weiterverwenden
können.
Auch Amsler kritisiert, dass so viele wegschauen
Absolut einig ist sich Amsler mit Theaterautor Bärfuss, dass die
Diskussion über den Lehrplan 21 zu kurz kam und vor allem in den Regionen und
unter Ideologen über die Bühne ging. «Für diese Kritik würde ich ihm gerne auf
die Schulter klopfen!»
Und so fordert der FDP-Bundesratskandidat vom letzten Jahr mit Blick auf
die nationalen Wahlen im Herbst: «Es braucht unbedingt mehr Bildungspolitiker
in Bern.»
Bund soll bei der Bildung mehr mitreden
Unter der Bundeshauskuppel seien falsche Hemmungen im Spiel, wenn die Räte
immer darauf hinwiesen, Bildung sei Sache der Kantone. «Die Hoheit der Kantone
ist wichtig. Aber ich wünsche mir, dass man – in engem Schulterschuss mit den
Kantonen – vom Bund her vermehrt schaut, was für unser Land in der Bildung für
die Zukunft unserer Jugend eigentlich wichtig ist.»
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