Das
Akademische liegt im Trend. Kaum ein anderer Begriff erfreut sich einer solch
grossen Verbreitung in der öffentlichen Debatte. Ein Blick in die
Tageszeitungen verrät beispielsweise, dass 42 Prozent der Erwerbstätigen in der
Schweiz über einen Hochschulabschluss verfügen (CH Media) oder dass die Schweiz
«ein Volk von Akademikern» sei («Blick»). Nach Meinung von alt Bundesrat
Blocher sind die in den Städten dominierenden Hochschulabsolventen schuld am
Scheitern der SVP-SelbstbestimmungsInitiative. Hinsichtlich der
Bundesratswahlen stellt Peter V. Kunz, Kolumnist der CH Media und
Wirtschaftsrechtler, fest, dass bei einer Wahl von Karin Keller-Sutter die
Mehrheit des Bundesrates «erstmals aus Nichtakademikern» besteht. Das alles ist
Grund genug, sich grundsätzlich mit dem Begriff des Akademischen
auseinanderzusetzen.
Zu viele "Gschtudierti", Basellandschaftliche Zeitung, 18.12. von Georg Berger
Akademiker
oder Akademikerinnen sind Absolventen einer Hochschule und gehören zur
Gemeinschaft der Wissenschafter. In der Schweiz gibt es zwei Hochschultypen:
Fachhochschulen und universitäre Hochschulen (Uni/ETH). Diese bilden die
Tertiärstufe A. Ihre Lehre basiert auf angewandter oder grundlegender
Forschung. Die erfolgreichen Absolventen erhalten einen akademischen
Titel: Bachelor, Master oder das Doktorat. 2015 wurden 57 104 solche Abschlüsse
verteilt, was einem Anteil von 28 Prozent entsprach.
Daneben
gibt es den berufsbezogenen Bildungsweg, die sogenannte Tertiärstufe B. Hier
handelt es sich um arbeitsmarktorientierte Qualifikationen, welche im Rahmen
der Höheren Berufsbildung absolviert werden. Das können eidgenössische
Prüfungen oder Diplome von Höheren Fachschulen in allen erdenklichen Berufen
der Schweiz sein. Diese Ausweise werden vom Arbeitsmarkt enorm geschätzt.
Absolvierende von
Höheren Fachschulen der Pflege brauchen beispielsweise nur eine minimale
Einführungszeit von zwei, drei Monaten in neuen Betrieben, wohingegen
Absolvierende der Pflege an Fachhochschulen, welche besonders in der
Westschweiz stark verbreitet sind, erfahrungsgemäss bis zu einem Jahr
Einführungszeit benötigen. Lehrgänge der Höheren Berufsbildung richten sich
konsequent am Arbeitsmarkt aus. Der Arbeitsplatz ist, wie in der Grundbildung
auch, gleichzeitig Lern- und Reflexionsort. 2015 betrug ihr Bildungsanteil 14
Prozent bzw. 27 942 Diplome.
Im
Bildungsbericht der Schweiz 2018 werden die Tertiärabschlüsse gemäss der
Internationalen Standardklassifikation des Bildungswesens (International
Standard Classification of Education ISCED) dargestellt. Diese wurde Anfang der
1970er-Jahre von der Unesco entwickelt. Ziel war es, einen einheitlichen Rahmen
zur Klassifikation der länderspezifischen Bildungssysteme zu erstellen, um die
Vergleichbarkeit zu verbessern. Als Konsequenz davon werden statistisch alle
Tertiärabschlüsse gemeinsam und ohne Unterscheidung ausgewiesen. Etwas
vereinfacht ausgedrückt, entsprechen die ISCED-Stufen 6 dem Bachelor oder der
Berufsprüfung, die Stufe 7 dem Master oder der Höheren Fachschule und die Stufe
8 dem Doktorat oder der Höheren Fachprüfung. Durch diese erzwungene
Vergleichbarkeit verwässert sich leider die Aussagekraft der Bildungsstatistik.
Zwar liegt der Anteil der Bildungsabschlüsse auf Tertiärstufe bei 42 Prozent
aller Erwerbstätigen, aber nur zwei Drittel davon sind akademische Abschlüsse.
Eine
Unterscheidung in akademische und nichtakademische Bildungsabschlüsse ist in
vielerlei Hinsicht notwendig und nützlich. Laut Schweizerischer
Arbeitskräfteerhebung SAKE liegt das Arbeitslosenrisiko der Höheren
Berufsbildung am tiefsten und ist nur halb so gross wie bei Universitäten.
Neben der fachlichen Qualifikation steigen die Erwartungen der Unternehmen an
die Soft Skills bei ihren Mitarbeitenden. Laut einer ETH-Studie lassen sich
Eigenschaften wie Belastbarkeit, Durchsetzungsfähigkeit, Freundlichkeit und
Vertrauenswürdigkeit am besten am Lernort Arbeitsplatz entwickeln. Der Lernort
Schule
punktet
dafür bei analytischem Denken, Lernfreude und Organisationsfähigkeit. Diese
Beispiele zeigen, dass es sinnvoll ist, Ausbildungsprofile zu unterscheiden und
ihre Stärken und Schwächen zu analysieren. Dies hilft beispielsweise der
Politik, die Bildung sinnvoll zu steuern.
In der
Bundesverfassung steht wörtlich, dass Bund und Kantone sich «bei der Erfüllung
ihrer Aufgaben dafür einsetzen, dass allgemein bildende und berufsbezogene
Bildungswege eine gleichwertige gesellschaftliche Anerkennung finden». Wenn nun
landauf, landab von einer Akademisierung der Gesellschaft gesprochen wird, ist
das höchst problematisch und läuft den Bestrebungen unserer Verfassung
diametral entgegen. Eine gleichwertige gesellschaftliche Anerkennung kann nur
erfolgen, wenn wir Akademisches von Nichtakademischem unterscheiden können und
beides schätzen lernen.
Der Autor ist Direktor des Berufsbildungszentrums BBZ Olten und Präsident des Table Ronde der Berufsbildenden Schulen der Schweiz.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen