Das Modul
«Medien und Informatik» im Lehrplan 21 stellt viele Schulen vor
Herausforderungen. In Wittenbach unterstützt Bettina Wagner künftig 100
Lehrpersonen im Umgang mit der «Riesenwelle».
Die Wellenbrecherin: Sie hilft den Lehrern bei der Informatik, St. Galler Tagblatt, 15.12. von Corinne Allenspach
Wenn Schulratspräsidentin Ruth Keller sagt: «Bettina ist für uns ein
Glücksfall», wird im persönlichen Gespräch rasch klar, was sie meint. Die
30-jährige Bettina Wagner, Primarlehrerin und ab Februar 2019 erste
Medienpädagogin der Primarschule Wittenbach, sprüht nur so vor Energie und ihre
Begeisterung ist regelrecht ansteckend.
Dabei ist ihre Aufgabe keine einfache: Sie muss die 100 Lehrpersonen vom
Kindergarten bis zur 6. Klasse fit machen im Umgang mit Informatik und neuen
Medien im Schulzimmer. Wobei es den Wittenbachern geht wie den meisten Lehrern
im Kanton: Die wenigsten sind «Digital Natives» und sie hatten in ihrer
Ausbildung nie Informatikunterricht. Bettina Wagner weiss denn auch: «Es ist
nicht damit getan, einfach Laptops, iPads und elektronische Wandtafeln ins
Schulzimmer zu stellen. Es braucht jemanden, der den Lehrpersonen zeigt, was
man damit machen kann.»
Im Herzen bleibt
sie Lehrerin
Das sieht auch die Schulratspräsidentin so: «Niemand ist ein solcher
Zehnkämpfer wie Primarlehrer.» Dass diese jetzt auch noch Informatik können
müssen, um das Modul «Medien und Informatik» des neuen Lehrplans 21 umzusetzen,
könne man nicht verlangen. «Man kann den Lehrpersonen nicht immer noch mehr
aufbürden. Man muss ihnen Ressourcen zur Verfügung stellen.»
Bettina Wagner, die derzeit eine 5. Klasse im Schulhaus Steig führt,
wird ab Februar 70 Prozent als Medienpädagogin arbeiten. Zu ihren Aufgaben
gehört es, die Lehrpersonen nicht nur technisch, sondern auch pädagogisch zu
unterstützen. Sie organisiert Workshops, gibt Inputs an Teamsitzungen, stellt
Unterrichtsmaterialien zur Verfügung, geht in die Klassen und ist
Ansprechperson für Informatikfragen. Bereits hat Wagner erste Schulungen
durchgeführt und sie hat gemerkt: «Vor dem Kurs hatten viele Lehrpersonen Angst
vor dem, was auf sie zukommt.» Umso mehr freut sie sich jetzt über das «extrem
positive Echo». Die schönste Rückmeldung habe eine Lehrerin gemacht, die
anfangs grosse Bedenken gehabt habe. «Sie sagte, das sei der beste Kurs
gewesen, den sie je besucht habe.» Bettina Wagner ist froh über so viel
Unterstützung. Das habe sicher auch damit zu tun, dass sie als Primarlehrerin
«aus den eigenen Reihen» komme. «Man spricht die gleiche Sprache, das macht es
einfacher.»
Als sie vor viereinhalb Jahren in Wittenbach angefangen hat, hätte sie
nie gedacht, schon bald als Medienpädagogin zu arbeiten. «Im Herzen bin ich
immer noch Lehrerin, nicht Informatikerin», räumt die Teufnerin ein, die
ursprünglich Detailhandelsfachfrau in einem Reitsportgeschäft gelernt hat. Das
kommt nicht von ungefähr, gilt ihre grosse Leidenschaft doch den Pferden. Die
ganze Familie Wagner ist aktiv im Gespannfahren. Zusammen mit ihrem Vater holte
Tochter Bettina im Vierergespann in den vergangenen 18 Jahren mehrere Titel. In
Kürze wird sie einen mehrfachen Weltmeister mit seinem Vierspänner an ein
Weltcup-Turnier nach London begleiten. Und ab nächstem Jahr wird sie mit ihrem
eigenen Zweispänner an den Start gehen.
Ruth Keller
kritisiert Kanton
In die Arbeitsgruppe Informatik in der Steig rutschte sie mehr zufällig
hinein – weil sie jung ist. Bei einer Weiterbildung zur Medienmentorin war das
Feuer aber definitiv entfacht, später absolvierte Wagner den ganzen
CAS-Lehrgang. «Je mehr ich mich mit der Materie befasst habe, desto mehr habe
ich gemerkt, da kommt eine Riesenwelle auf die Schule zu, die die Lehrpersonen
nicht selber bewältigen können», sagt sie.
Dies betonte vergangene Woche auch der emeritierte HSG-Professor Rolf
Dubs in einem Gastbeitrag im «Tagblatt». Sein klares Bekenntnis dafür,
Weiterbildungen für Lehrpersonen allein genügten nicht, stattdessen müsse jede Schule
neue Stellen schaffen zur Umsetzung des Moduls «Medien und Informatik» hätte
früher kommen müssen, sagt Ruth Keller: «Rolf Dubs spricht mir aus der Seele.»
Der Kanton hingegen gebe nur Empfehlungen ab, schaffe aber keine
Rahmenbedingungen. Die Folge: «Jede Schule muss das Rad neu erfinden und sich
selber organisieren. So gehen viele Ressourcen verloren.» Dabei sei es eine
Tatsache, dass informatiktechnisch bis zu 20 Jahre Unterschied bestehe zwischen
einzelnen Schulen. Die einen seien diesbezüglich noch in der Steinzeit, andere
schon top ausgerüstet. Ruth Keller: «Wo bleibt da die Chancengleichheit für die
Kinder?»
Der pädagogische
Mehrwert zählt
In der Primarschule Wittenbach ist die Steinzeit definitiv vorbei.
Vergangene Woche erhielten alle Lehrpersonen neue Laptops und neue Drucker,
zudem wurden iPads und Laptops für Schüler geliefert und flächendeckendes WLAN
installiert. Elektronische Wandtafeln für jedes Schulzimmer folgen Anfang 2019.
Trotz der modernen Technik will Bettina Wagner ihrem Leitfaden treu bleiben:
«Gute analoge Dinge sollen nicht durch Digitales ersetzt werden.» Vielmehr
gelte es, die Informatik so einzusetzen, dass sie aus pädagogischer Sicht einen
Mehrwert schaffe.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen