Wer selber Kinder im Teenageralter hat, kennt das Problem: Die
Jugendlichen kommen am Morgen nicht in die Gänge. Das hat zu einem grossen Teil
biologische Gründe. Denn mit Beginn der Pubertät verschiebt sich der
lichtabhängige Schlaf-wach-Rhythmus temporär nach hinten. Das heisst, Teenager
schlafen abends später ein als Kinder und Erwachsene. Um dennoch genügend
Schlaf zu erhalten, müssten Jugendliche morgens länger schlafen. Müssten, denn
der Stundenplan in Schule und Lehrbetrieb macht das meist unmöglich.
Deshalb wird seit Jahren darüber diskutiert, die erste Morgenlektion
später beginnen zu lassen. Was «später» bedeutet, hat die amerikanische
Fachgesellschaft der Kinderärzte schon 2014 in einer Empfehlung präzisiert:
nicht vor 8.30 Uhr. Zum Vergleich: An Schweizer Schulen beginnt der Unterricht
für viele Jugendliche bereits um 7.30 oder 7.45 Uhr.
Teenager mögen es spät, NZZ, 13.12. von Alan Niederer
Schulbeginn um 55
Minuten verschoben
Wie sich spätere Anfangszeiten auf die Schüler auswirken, haben amerikanische Forscher in Seattle, Washington, nun
an zwei Highschools untersucht.1 Die Wissenschafter
machten sich zunutze, dass der Schulbeginn in der Stadt im Herbst 2016 um knapp
eine Stunde nach hinten verschoben wurde – von 7.50 auf 8.45 Uhr. So konnten
Gideon Dunster von der University of Washington in Seattle und seine Forscherkollegen
den Schlaf-wach-Zyklus von Highschool-Schülern des zweiten Studienjahres
(10. Klasse) vor der Zeitumstellung mit demjenigen danach vergleichen.
Für ihr Unterfangen rüsteten sie 180 Schüler mit smarten Armbändern aus,
die alle 15 Sekunden die Aktivität des Trägers sowie das Umgebungslicht massen.
Damit standen den Forschern erstmals objektive Daten zur Verfügung. Frühere
Untersuchungen zur Auswirkung eines späteren Schulbeginns hatten sich auf die
Selbstdeklaration der Probanden verlassen müssen, was naturgemäss
fehleranfällig ist. Die Resultate dieser Studien waren zudem so heterogen und
qualitativ bescheiden, dass eine
2017 vom Forscherkollektiv Cochrane Collaboration erstellte Metaanalyse von elf
publizierten Arbeiten kein klares Fazit über den Nutzen eines
späteren Schulbeginns ziehen konnte.
Eine halbe Stunde
mehr Schlaf pro Tag
In der «Sleep more»-Studie aus Seattle sind die Verhältnisse laut den
verantwortlichen Forschern besser. So hatte die Verschiebung der ersten
Morgenstunde signifikante Effekte auf die Schüler. Der wichtigste: Die
Jugendlichen schliefen im Durchschnitt 34 Minuten länger als vor der
Umstellung. Sie kamen jetzt auf knapp siebeneinhalb Stunden, was laut
Fachleuten in diesem Alter immer noch zu wenig ist.
Weitere positive Effekte: Die Schüler waren nach der Umstellung im
Unterricht weniger schläfrig und ihre schulischen Leistungen wurden um 4,5
Prozent besser eingestuft. In einer der beiden Highschools verbesserte sich zudem
die Pünktlichkeit, und die Absenzen nahmen ab. Das sei deshalb bedeutsam,
schreiben die Forscher, weil diese Schule von ökonomisch weniger privilegierten
Schülern besucht werde. So könne ein späterer Schulbeginn bei diesen
Jugendlichen eine besonders grosse Wirkung entfalten.
Licht am Abend
beeinflusst Einschlafzeit
Das wichtigste Studienresultat, die täglich gewonnene halbe Stunde
Schlaf, zeigt, dass das spätere Aufstehen am Morgen nicht durch ein späteres
Einschlafen kompensiert wird. Das illustriere, wie stark die Einschlafzeit
biologisch determiniert sei, so die Forscher. Zudem verringerte sich nach dem
Wechsel bei den Schülern der «soziale Jetlag». Das heisst, die Differenz
zwischen dem Schlafmittelpunkt in der Woche und dem Schlafmittelpunkt am Wochenende
nahm signifikant ab. Der natürliche Schlaf-wach-Zyklus während der Woche war
somit weniger stark gestört, so dass die Schüler am Wochenende ein kleineres
Schlafmanko zu kompensieren hatten.
Trotz diesen erfreulichen Resultaten stellt sich die Frage, wie lang
anhaltend die während vierzehn Tagen nachgewiesenen Verbesserungen sind. Denn
der Schlafbeginn am Abend wird auch durch lichtemittierende Geräte wie
Smartphones und Computer hinausgezögert. Ein späterer Schulbeginn kann deshalb
nur dann die volle Wirkung entfalten, wenn die Schüler auch basale
schlafhygienische Regeln befolgen.
Zudem gilt es zu bedenken, dass ein späterer Schulbeginn den Kontakt mit
den – früher aufstehenden – Eltern sowie die Organisation der täglichen
Lektionen erschweren kann. Deshalb sind bei der Frage nach einem späteren
Schulbeginn nicht nur biologische Fakten, sondern auch gesellschaftspolitische
Bedürfnisse zu berücksichtigen.
1 Science Advances, Online-Publikation vom 12. Dezember 2018.
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