16. Dezember 2018

Fragen zum späteren Schulbeginn für Teenager


Wer selber Kinder im Teenageralter hat, kennt das Problem: Die Jugendlichen kommen am Morgen nicht in die Gänge. Das hat zu einem grossen Teil biologische Gründe. Denn mit Beginn der Pubertät verschiebt sich der lichtabhängige Schlaf-wach-Rhythmus temporär nach hinten. Das heisst, Teenager schlafen abends später ein als Kinder und Erwachsene. Um dennoch genügend Schlaf zu erhalten, müssten Jugendliche morgens länger schlafen. Müssten, denn der Stundenplan in Schule und Lehrbetrieb macht das meist unmöglich.
Deshalb wird seit Jahren darüber diskutiert, die erste Morgenlektion später beginnen zu lassen. Was «später» bedeutet, hat die amerikanische Fachgesellschaft der Kinderärzte schon 2014 in einer Empfehlung präzisiert: nicht vor 8.30 Uhr. Zum Vergleich: An Schweizer Schulen beginnt der Unterricht für viele Jugendliche bereits um 7.30 oder 7.45 Uhr.
Teenager mögen es spät, NZZ, 13.12. von Alan Niederer


Schulbeginn um 55 Minuten verschoben
Wie sich spätere Anfangszeiten auf die Schüler auswirken, haben amerikanische Forscher in Seattle, Washington, nun an zwei Highschools untersucht.1 Die Wissenschafter machten sich zunutze, dass der Schulbeginn in der Stadt im Herbst 2016 um knapp eine Stunde nach hinten verschoben wurde – von 7.50 auf 8.45 Uhr. So konnten Gideon Dunster von der University of Washington in Seattle und seine Forscherkollegen den Schlaf-wach-Zyklus von Highschool-Schülern des zweiten Studienjahres (10. Klasse) vor der Zeitumstellung mit demjenigen danach vergleichen.

Für ihr Unterfangen rüsteten sie 180 Schüler mit smarten Armbändern aus, die alle 15 Sekunden die Aktivität des Trägers sowie das Umgebungslicht massen. Damit standen den Forschern erstmals objektive Daten zur Verfügung. Frühere Untersuchungen zur Auswirkung eines späteren Schulbeginns hatten sich auf die Selbstdeklaration der Probanden verlassen müssen, was naturgemäss fehleranfällig ist. Die Resultate dieser Studien waren zudem so heterogen und qualitativ bescheiden, dass eine 2017 vom Forscherkollektiv Cochrane Collaboration erstellte Metaanalyse von elf publizierten Arbeiten kein klares Fazit über den Nutzen eines späteren Schulbeginns ziehen konnte.

Eine halbe Stunde mehr Schlaf pro Tag
In der «Sleep more»-Studie aus Seattle sind die Verhältnisse laut den verantwortlichen Forschern besser. So hatte die Verschiebung der ersten Morgenstunde signifikante Effekte auf die Schüler. Der wichtigste: Die Jugendlichen schliefen im Durchschnitt 34 Minuten länger als vor der Umstellung. Sie kamen jetzt auf knapp siebeneinhalb Stunden, was laut Fachleuten in diesem Alter immer noch zu wenig ist.

Weitere positive Effekte: Die Schüler waren nach der Umstellung im Unterricht weniger schläfrig und ihre schulischen Leistungen wurden um 4,5 Prozent besser eingestuft. In einer der beiden Highschools verbesserte sich zudem die Pünktlichkeit, und die Absenzen nahmen ab. Das sei deshalb bedeutsam, schreiben die Forscher, weil diese Schule von ökonomisch weniger privilegierten Schülern besucht werde. So könne ein späterer Schulbeginn bei diesen Jugendlichen eine besonders grosse Wirkung entfalten.

Licht am Abend beeinflusst Einschlafzeit
Das wichtigste Studienresultat, die täglich gewonnene halbe Stunde Schlaf, zeigt, dass das spätere Aufstehen am Morgen nicht durch ein späteres Einschlafen kompensiert wird. Das illustriere, wie stark die Einschlafzeit biologisch determiniert sei, so die Forscher. Zudem verringerte sich nach dem Wechsel bei den Schülern der «soziale Jetlag». Das heisst, die Differenz zwischen dem Schlafmittelpunkt in der Woche und dem Schlafmittelpunkt am Wochenende nahm signifikant ab. Der natürliche Schlaf-wach-Zyklus während der Woche war somit weniger stark gestört, so dass die Schüler am Wochenende ein kleineres Schlafmanko zu kompensieren hatten.

Trotz diesen erfreulichen Resultaten stellt sich die Frage, wie lang anhaltend die während vierzehn Tagen nachgewiesenen Verbesserungen sind. Denn der Schlafbeginn am Abend wird auch durch lichtemittierende Geräte wie Smartphones und Computer hinausgezögert. Ein späterer Schulbeginn kann deshalb nur dann die volle Wirkung entfalten, wenn die Schüler auch basale schlafhygienische Regeln befolgen.

Zudem gilt es zu bedenken, dass ein späterer Schulbeginn den Kontakt mit den – früher aufstehenden – Eltern sowie die Organisation der täglichen Lektionen erschweren kann. Deshalb sind bei der Frage nach einem späteren Schulbeginn nicht nur biologische Fakten, sondern auch gesellschaftspolitische Bedürfnisse zu berücksichtigen.
1 Science Advances, Online-Publikation vom 12. Dezember 2018.


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