24. Dezember 2018

Bessere Integration von Autisten


Eine halbe Stunde lang verbrachte Silvan damit, seine Legomännchen an der Tischkante aufzureihen und sie immer wieder zu justieren. Seine Mutter, Caroline Jelfs, merkte bald, dass ihr Sohn «anders» war. Im Vergleich mit gleichaltrigen Kindern machte er kaum Fortschritte. Er blickte einem nicht in die Augen, wenn man ihn ansah. Silvans erste Worte waren nicht etwa «Mama» oder «Papa», sondern «eins», «zwei» und «drei» und dies erst mit knapp drei Jahren. Ein halbes Jahr später wurde bei Silvan von einem Neurologen frühkindlicher Autismus diagnostiziert.
Silvans hürdenreicher Allag, Basler Zeitung, 20.12. von Melina Schneider


Im Nachhinein sei es das Wichtigste gewesen, dass bei Silvan der Autismus so früh entdeckt wurde und er dementsprechend gefördert werden konnte, sagt seine Mutter. Damit zukünftig alle Menschen mit Autismus möglichst früh eine Betreuung erhalten und besser in die Gesellschaft integriert werden können, hat der Bundesrat im Oktober einen Bericht mit Massnahmen diesbezüglich verabschiedet. Der Fokus liegt dabei neben frühzeitiger Diagnose auf kontinuierlicher Begleitung.

Hilfe für ihren Sohn fand Caroline Jelfs damals im Autismuszentrum Aesch, das in diesem Jahr sein zehnjähriges Jubiläum feiert. Es ist eines von zurzeit sechs anerkannten Autismuszentren in der Schweiz. Hier werden Kinder im Vorschulalter mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) in einer einjährigen Intensivbehandlung betreut (siehe Box). Auch Silvan konnte von diesem Angebot profitieren. Dies unter anderem durch Ergotherapie- und Logopädie-Behandlungen, wodurch er seinen Körper richtig spüren lernte. Mit Hilfe eines Coaches und einer speziellen Bildsprache lernte er zu sprechen. Nach der einjährigen Betreuung wurde die Familie weiter in schwierigen Alltagssituationen von einem Coach begleitet. «Ich weiss nicht, wo wir jetzt stehen würden, hätte er die Möglichkeit nicht gehabt, im Autismuszentrum betreut zu werden.» Er würde wohl nicht mal richtig sprechen können, sagt Silvans Mutter.

Mühe zu kommunizieren
Der Bundesrat hält in seinem Bericht fest, dass Menschen mit ASS die Möglichkeit haben sollen, eine Schule zu absolvieren und einen Beruf zu erlernen. Mittlerweile ist Silvan 13 Jahre alt und geht zur Schule. Anfänglich besuchte er eine Integrationsklasse, in der er zusammen mit Regelkindern unterrichtet wurde. «Intellektuell hat er immer gut mit seinen Mitschülern aus der Regelklasse mithalten können, jedoch hat ihm die Kommunikation grosse Mühe bereitet», sagt Jelfs. Während der ersten Schuljahre sei die Absprache zwischen Eltern und Lehrperson reibungslos gelaufen. Der Schulwechsel von einer Gemeinde in eine andere verlief für Silvan jedoch überhaupt nicht gut. Die Lehrpersonen wollten sich nicht mit den Eltern über Silvan austauschen und immer wieder wechselten die Heilpädagogen. Silvan fühlte sich nicht mehr verstanden, er wurde aggressiv.

In Zukunft sollten solche Situationen nicht mehr vorkommen, denn der Bericht des Bundesrates beinhaltet, dass Menschen mit ASS bei schwierigen Wechseln wie von einer Schulstufe zur nächsten oder von der Schule in die Ausbildung und später ins Erwerbsleben möglichst von den gleichen Menschen unterstützt werden sollen. Dies, damit die Kontinuität gewährleistet ist und Rückschläge vermieden werden können.

Bei einem Schulausflug an den Vogel Gryff kam ein besonderes Talent von Silvan zum Vorschein, was jedoch nicht für die damaligen Lehrpersonen spricht. Als sein Fotoapparat nicht funktionieren wollte, machte ihn das so wütend, dass er weglief. Die Lehrpersonen gingen jedoch nicht hinterher. Glücklicherweise fand der damals erst Zehnjährige den Weg vom Wettsteinplatz nach Hause nach Oberwil aber problemlos, dies dank seines sehr guten Orientierungssinns. Da es an der alten Schule so nicht weitergehen konnte, geht er nun in Gempen in der Sonnenhalde zur Schule, wo in kleinen Klassen vor allem Kinder mit ASS begleitet werden.

Schräge Blicke
«Zwar gibt es ganz viele schöne Momente», sagt Mutter Caroline Jelfs, aber der Alltag bringe auch immer wieder schwierige Situationen mit sich. In die Ferien zu gehen sei nicht einfach. «Man kann Silvan beim Warten am Flughafen nicht einfach mit einem Buch beschäftigen wie andere Kinder», sagt seine Mutter. Die Krankheit brauche viel Fantasie und Geduld.

Im Tram werden sie schräg angeschaut, wenn Silvan sich mal verliert. Denn wird sein gewöhnlicher Ablauf gestört, werfe ihn das völlig aus der Bahn. Es stimmt Caroline Jelfs traurig, wenn sie sieht, wie fremde Menschen auf ihn reagieren, ohne zu wissen, was Autismus überhaupt bedeutet. Man sieht einem Kind mit Autismus eben nicht auf den ersten Blick an, dass es speziell ist, wie dies bei anderen Behinderungen der Fall ist.

Seine Mutter wünscht sich, dass man «die Leute besser über Autismus aufklärt und mehr Heilpädagogen in Bezug auf ASS ausgebildet werden». Es sei zu hoffen, dass auch in anderen Regionen der Schweiz solche Zentren aufgebaut werden, denn die frühkindliche Förderung bilde die Basis der späteren Entwicklung und könne nicht mehr nachgeholt werden, sagt Jelfs.


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