Eine halbe Stunde lang
verbrachte Silvan damit, seine Legomännchen an der Tischkante aufzureihen und
sie immer wieder zu justieren. Seine Mutter, Caroline Jelfs, merkte bald, dass
ihr Sohn «anders» war. Im Vergleich mit gleichaltrigen Kindern machte er kaum
Fortschritte. Er blickte einem nicht in die Augen, wenn man ihn ansah. Silvans
erste Worte waren nicht etwa «Mama» oder «Papa», sondern «eins», «zwei» und
«drei» und dies erst mit knapp drei Jahren. Ein halbes Jahr später wurde bei
Silvan von einem Neurologen frühkindlicher Autismus diagnostiziert.
Silvans hürdenreicher Allag, Basler Zeitung, 20.12. von Melina Schneider
Im Nachhinein sei es das Wichtigste gewesen, dass bei Silvan der
Autismus so früh entdeckt wurde und er dementsprechend gefördert werden konnte,
sagt seine Mutter. Damit zukünftig alle Menschen mit Autismus möglichst früh
eine Betreuung erhalten und besser in die Gesellschaft integriert werden
können, hat der Bundesrat im Oktober einen Bericht mit Massnahmen diesbezüglich
verabschiedet. Der Fokus liegt dabei neben frühzeitiger Diagnose auf
kontinuierlicher Begleitung.
Hilfe für ihren Sohn fand Caroline Jelfs damals im Autismuszentrum
Aesch, das in diesem Jahr sein zehnjähriges Jubiläum feiert. Es ist eines von
zurzeit sechs anerkannten Autismuszentren in der Schweiz. Hier werden Kinder im
Vorschulalter mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) in einer einjährigen
Intensivbehandlung betreut (siehe Box). Auch Silvan konnte von diesem Angebot
profitieren. Dies unter anderem durch Ergotherapie- und Logopädie-Behandlungen,
wodurch er seinen Körper richtig spüren lernte. Mit Hilfe eines Coaches und
einer speziellen Bildsprache lernte er zu sprechen. Nach der einjährigen
Betreuung wurde die Familie weiter in schwierigen Alltagssituationen von einem
Coach begleitet. «Ich weiss nicht, wo wir jetzt stehen würden, hätte er die
Möglichkeit nicht gehabt, im Autismuszentrum betreut zu werden.» Er würde wohl
nicht mal richtig sprechen können, sagt Silvans Mutter.
Mühe zu kommunizieren
Der Bundesrat hält in seinem Bericht fest, dass Menschen mit ASS
die Möglichkeit haben sollen, eine Schule zu absolvieren und einen Beruf zu
erlernen. Mittlerweile ist Silvan 13 Jahre alt und geht zur Schule. Anfänglich
besuchte er eine Integrationsklasse, in der er zusammen mit Regelkindern
unterrichtet wurde. «Intellektuell hat er immer gut mit seinen Mitschülern aus
der Regelklasse mithalten können, jedoch hat ihm die Kommunikation grosse Mühe
bereitet», sagt Jelfs. Während der ersten Schuljahre sei die Absprache zwischen
Eltern und Lehrperson reibungslos gelaufen. Der Schulwechsel von einer Gemeinde
in eine andere verlief für Silvan jedoch überhaupt nicht gut. Die Lehrpersonen
wollten sich nicht mit den Eltern über Silvan austauschen und immer wieder
wechselten die Heilpädagogen. Silvan fühlte sich nicht mehr verstanden, er
wurde aggressiv.
In Zukunft sollten solche Situationen nicht mehr vorkommen, denn
der Bericht des Bundesrates beinhaltet, dass Menschen mit ASS bei schwierigen
Wechseln wie von einer Schulstufe zur nächsten oder von der Schule in die
Ausbildung und später ins Erwerbsleben möglichst von den gleichen Menschen
unterstützt werden sollen. Dies, damit die Kontinuität gewährleistet ist und
Rückschläge vermieden werden können.
Bei einem Schulausflug an den Vogel Gryff kam ein besonderes
Talent von Silvan zum Vorschein, was jedoch nicht für die damaligen
Lehrpersonen spricht. Als sein Fotoapparat nicht funktionieren wollte, machte
ihn das so wütend, dass er weglief. Die Lehrpersonen gingen jedoch nicht
hinterher. Glücklicherweise fand der damals erst Zehnjährige den Weg vom
Wettsteinplatz nach Hause nach Oberwil aber problemlos, dies dank seines sehr
guten Orientierungssinns. Da es an der alten Schule so nicht weitergehen
konnte, geht er nun in Gempen in der Sonnenhalde zur Schule, wo in kleinen
Klassen vor allem Kinder mit ASS begleitet werden.
Schräge Blicke
«Zwar gibt es ganz viele schöne Momente», sagt Mutter Caroline
Jelfs, aber der Alltag bringe auch immer wieder schwierige Situationen mit
sich. In die Ferien zu gehen sei nicht einfach. «Man kann Silvan beim Warten am
Flughafen nicht einfach mit einem Buch beschäftigen wie andere Kinder», sagt
seine Mutter. Die Krankheit brauche viel Fantasie und Geduld.
Im Tram werden sie schräg angeschaut, wenn Silvan sich mal
verliert. Denn wird sein gewöhnlicher Ablauf gestört, werfe ihn das völlig aus
der Bahn. Es stimmt Caroline Jelfs traurig, wenn sie sieht, wie fremde Menschen
auf ihn reagieren, ohne zu wissen, was Autismus überhaupt bedeutet. Man sieht
einem Kind mit Autismus eben nicht auf den ersten Blick an, dass es speziell
ist, wie dies bei anderen Behinderungen der Fall ist.
Seine Mutter wünscht sich, dass man «die Leute besser über
Autismus aufklärt und mehr Heilpädagogen in Bezug auf ASS ausgebildet werden».
Es sei zu hoffen, dass auch in anderen Regionen der Schweiz solche Zentren
aufgebaut werden, denn die frühkindliche Förderung bilde die Basis der späteren
Entwicklung und könne nicht mehr nachgeholt werden, sagt Jelfs.
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