Keine Frage: Der
Lehrermangel, der uns heute schon auf allen Stufen begegnet, spitzt sich weiter
zu. Das Bevölkerungswachstum geht weiter, während viele Lehrkräfte aus
geburtenstarken Jahrgängen pensioniert werden. Bis ins Jahr 2025 werden in der
Schweiz 100 000 Kinder mehr zur Schule gehen, die 2000 zusätzliche Lehrkräfte
benötigen. Und die werden kaum in der notwendigen Anzahl vorhanden sein. Schon
heute müssen die Kantone auf Notmassnahmen zurückgreifen und Studierende
bereits vor ihrem Abschluss in Klassen einsetzen.
Lasst sie endlich wieder unterrichten! St. Galler Tagblatt, 14.11. von Mario Andreotti
Und was noch bedenklicher
ist: Um die Leerstellen in den Klassenzimmern zu füllen, stellen die Schulen
immer häufiger Personen an, die nicht über die nötige fachliche und
pädagogische Ausbildung verfügen. Gemäss einer aktuellen Studie des Schweizerischen
Schulleiterverbandes ist jede vierte Lehrperson nicht für die Stufe
ausgebildet, auf der sie unterrichtet. Zu all dem kommt erschwerend hinzu, dass
20 Prozent aller ausgebildeten Lehrkräfte innerhalb der ersten fünf Jahre aus
dem Beruf aussteigen.
Zwar sind sich die
Bildungspolitiker der Problematik des quantitativen und qualitativen
Lehrermangels durchaus bewusst. Aber eine Strategie zu deren Bewältigung
scheint so lange zu fehlen, als die Gründe für diesen zunehmenden Lehrermangel
nicht offengelegt werden. Nach Beat Zemp, dem Präsidenten des
Lehrerdachverbandes, liegt die Hauptschuld für den Lehrermangel bei den nicht
mehr zeitgemässen Löhnen. Das mag zu einem guten Teil stimmen. Aber es gibt
noch ganz andere, weit wichtigere Gründe, warum der Lehrerberuf zunehmend an
Attraktivität verliert. Gründe, die nicht so sehr mit dem Lohn, als vielmehr
mit den Arbeitsbedingungen zu tun haben.
Der Lehrerberuf ist im
Begriff, massiv abgewertet zu werden. Bis anhin organisierten und erteilten die
Lehrkräfte den Unterricht und genossen dabei, im Rahmen des Lehrplans,
Methodenfreiheit. Sie leiteten die Geschicke ihrer Klassen und wurden von
administrativem Krimskrams weitgehend verschont, so dass sie sich ihrer
Hauptaufgabe, dem Unterrichten, widmen konnten. Zudem waren sie
gleichberechtigte Mitglieder in einem Schulhausteam, in dem es keinen
behördlich verordneten Schulleiter gab. Im Hinblick auf die Arbeitszeit brachte
man ihnen grosses Vertrauen entgegen, was viele Lehrkräfte zum Anlass nahmen,
zugunsten schulischer Aktivitäten auch Freizeit zu opfern.
Heute haben die Lehrkräfte
nach dem Lehrplan 21 zu unterrichten, ohne den sie keinen Schritt mehr machen
dürfen. Die einst hochgehaltene Methodenfreiheit ist nur noch Theorie. Der
Frontalunterricht, der nachgewiesenermassen die besten Lernergebnisse brachte,
ist verpönt. An seine Stelle tritt «selbstorganisiertes Lernen», bei dem die
Schüler ihren Lernprozess selber steuern sollen und die Lehrperson nur noch als
Coach an der Seitenlinie den Lernprozess begleitet. Dazu gesellt sich eine
gewaltige Bildungsbürokratie: Die Lehrkräfte werden mehr denn je kontrolliert
und evaluiert, mit Lernberichten, Beobachtungsbögen, Protokollen und
Koordinationssitzungen belastet, so dass sie kaum mehr zum Unterrichten kommen,
geschweige denn Zeit für den menschlichen Kontakt mit den Schülern finden.
Trotz ihrer mehrjährigen Hochschulausbildung traut man ihnen nicht mehr zu, den
Unterricht selbstständig zu organisieren. Es braucht dazu noch Lernberater,
Schulentwickler, Evaluatoren, Supervisoren und Instruktoren, die zu kontrollieren
haben, ob die einzelnen Lehrer in ihr Raster passen.
Zu all dem beklagen sich
Lehrkräfte zunehmend über mangelnde Wertschätzung ihrer Arbeit durch die
Schulbehörden und die Politik. Massive Budgetkürzungen zu Lasten der Bildung in
vielen Kantonen, überfüllte Klassen und ständig neue administrative Aufgaben
tragen dazu bei, dass bei den Lehrern das Gefühl fehlender Anerkennung für
ihren anstrengenden Beruf entsteht. Kann es da noch verwundern, dass unter
solchen Bedingungen immer mehr Lehrkräfte die Freude am Beruf verlieren?
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