27. November 2018

In die Schule gehen, um etwas zu lernen


Finden Sie in diesem Text einen Druckfehler? Dann ist die Chance gross, dass Sie Lehrer oder Lehrerin sind. Nichts liebt die Lehrerschaft mehr, als zu korrigieren, möchte man meinen, jedenfalls in der Zeitung. Kommt die Diskussion auf die BaZ, landet sie unweigerlich via diverse politische Themen bei den sich häufenden Druckfehlern und den eingesparten Korrektoren und Korrektorinnen.
Vom Lernen und Korrigieren, Basler Zeitung, 27.11. von Andreas Schwander


Nun lernt man ja aus Fehlern. Allerdings funktioniert das nur dann, wenn man realisiert, dass es welche sind. Und weil das nicht von selber geht, muss einen jemand darauf aufmerksam machen. Deshalb danken wir allen, die hier einen Druckfehler finden und ihn uns mitteilen, Lehrer und Lehrerinnen eingeschlossen. So müsste es sein – wie in der Schule.

Allerdings ist es genau so in der Schule eben nicht mehr. Mit Lehrplan 21 und allen möglichen Pädagogik- und Selbstständigkeitsübungen sind die Kinder nun so weit, dass sie ihre Aufgaben selber korrigieren müssen. Sie machen die Hausaufgaben und bekommen später ein Korrekturblatt und müssen damit überprüfen, ob sie es kapiert haben. Die meisten kapieren gar nichts, allein schon deshalb, weil die Lehrperson gesagt hat, sie erkläre es nur einmal, deshalb müsse man gut zuhören. Und es gibt ja niemand gerne zu, dass man es nicht verstanden und nicht gut zugehört hat. Deshalb streichen und malen die Kinder irgendetwas an, kopieren darauf das Ganze vom Lösungsblatt auf ihr eigenes, leicht anders aussehendes Blatt und malen und radieren, bis beides gleich aussieht, egal ob Mathe oder Grammatik. Und dann stimmts. Aber verstanden haben sie nichts. Das wäre ja gar nicht so schlimm, wenn jemand merken würde, dass sie nichts verstanden haben. Aber das merkt eben niemand, und wenn, dann erst an der Prüfung.

So kann es nicht laufen. Die Kinder gehen in die Schule, um lernen zu lernen, und dann, um etwas zu lernen. In Osteuropa heisst es: «Die Wiederholung ist die Mutter des Lernens», wobei sich in slawischen Sprachen die Wörter «Wiederholung» und «Lernen» reimen. Die Benediktiner sagen: «In allem, was man nicht mindestens einmal pro Woche macht, ist man sein Leben lang Lehrling.» Auch in dieser Weisheit liegt die Wiederholung. Doch um zu lernen, muss man es einmal verstehen und dann wiederholen, wiederholen, wiederholen. Das geschmähte Französisch-Lehrmittel Mille Feuilles, mit dem Kinder weder Wörter lernen noch die grundlegenden Prinzipien der Sprache kapieren, ist da nur die Spitze des Lern-Problems. Auch in andern Fächern sollen Kinder selbstständig arbeiten, ohne es vorher gelernt zu haben. Sobald sie dann aber erwachsen sind, brauchen sie in der Firma «Führung». Offenbar traut man im Berufsleben den Erwachsenen jene Fähigkeiten nicht zu, welche Kinder in der Schule einfach so können müssten. Verkehrte Welt.

Das kann nicht klappen. Wie sollen Kinder eine Selbstdisziplin an den Tag legen, die selbst Erwachsenen fehlt? Eine vernünftige Anleitung zur Selbstständigkeit besteht deshalb nicht darin, Kinder ihre Aufgaben selber korrigieren zu lassen. Erst muss jemand sicherstellen, dass sie es verstanden haben. Selbstständig wird nur, wer selbstsicher ist. Das heisst: erklären, erklären, erklären und dann: korrigieren, korrigieren, korrigieren.

Korrigieren ist die Kernkompetenz eines jeden Lehrers und einer jeden Lehrerin. Aber bitte korrigiert zuerst die Arbeiten der Schülerinnen und Schüler und erst dann die Basler Zeitung, Lehrplan 21 hin oder her.

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