Bürgerliche Politiker führen in mehreren Kantonen eine orchestrierte
Aktion gegen «linke Schulbücher». Auch die St. Galler Freisinnigen sind
auf den Zug aufgesprungen und kritisieren in einem Vorstoss, dass zwei
Lehrmittel für Geschichte und politische Bildung mit «politischen Parolen und
Lobhudeleien» durchsetzt seien. Sie wollen von der St. Galler Regierung wissen,
wie die Schülerinnen und Schüler vor «politischer Instrumentalisierung»
geschützt werden. Nicht zum ersten Mal geht es um die Frage, ob die Volksschule
weltanschaulich tatsächlich ausgewogen ist.
Schüler sind keine Zielgruppe, St. Galler Tagblatt, 7.10. von Michael Genova
Mit ihren Vorstössen tragen die Politiker ihren politischen Kampf in die
Schule hinein. Sie werden darüber streiten, welche Sätze umgeschrieben
werden müssen, wo ein gegensätzlicher Standpunkt vergessen wurde, wo eine
wissenschaftliche Untersuchung das Gegenteil beweist. Die Vorstellung eines
absolut neutralen Lehrmittels ist jedoch eine Illusion. Letztlich müssen Eltern
und Politiker ohnehin darauf vertrauen, dass Lehrerinnen und Lehrer mehrere
Argumente in eine Diskussion einbringen, damit Jugendliche sich eine eigene
Meinung bilden können. Das ist das eigentliche Ziel der politischen Bildung.
Der Aufschrei erinnert aber auch daran, dass subtile
Beeinflussungsversuche in der Volksschule stetig zunehmen. Politische
Interessengruppen und Firmen wollen ihre Wertvorstellungen und Marken möglichst
früh in den Köpfen der jungen Menschen verankern. Deshalb versuchen sie ihre
Produkte in den Schulen zu platzieren oder entwickeln kostenlose
Lehrmaterialien. Mittlerweile gibt es darauf spezialisierte Schulplattformen.
Gerade das Sponsoring von Lehrmitteln treibt sonderbare Blüten. So
bietet die Rimuss- und Weinkellerei Rahm AG Lernmaterial zur Weinkultur an.
Dazu gibt es ein kostenloses Degustations-Set. Und auch die FDP will mit einem
Staatskunde-Kit den Schülern die Schweizer Politik erklären. Als ob es nicht
genügend hochwertige Inhalte zum Thema Weinbau oder zum politische System der
Schweiz gäbe! Aber darum geht es ja gar nicht. Die Schülerinnen und Schüler
sollen in erster Linie den Absender des Lernmaterials möglichst positiv in
Erinnerung behalten.
Diese Logik der Marketingleute und politischen Lobbyisten hat an
der Volksschule nichts zu suchen. Parteien, Verbände und
Nichtregierungsorganisationen sollten sich in Zurückhaltung üben. So hätten die
Lehrerinnen und Lehrer mehr Zeit für ihre eigentliche Arbeit und müssten sich
nicht ständig gegen Vereinnahmungsversuche wehren. Und Firmen sollten sich
darauf besinnen, was Sponsoring einmal war. Zurückhaltendes Mäzenatentum, frei
nach dem Motto: Tue Gutes – und freue dich im Stillen.
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