In der Primarschule wird seit diesem Sommer «Medien und Informatik»
unterrichtet – in Lektionen, die vormals für musische Fächer reserviert waren.
Wir beobachten die Entwicklung mit gemischten Gefühlen: Mal lassen wir uns
begeistern, dann wieder sehen wir in der Informatik ein notwendiges Übel, das
wir am liebsten delegieren würden an die Interessierten. Gründe für Computer im Unterricht gibt es wahrlich genug. Wir leben nun
mal in modernen Zeiten. Trotzdem bleibt auf einer diffusen, emotionalen Ebene
ein Unbehagen. Woher kommt es?
Ist Informatik das neue Basteln? Tages Anzeiger, Mamablog, 18.10. von Andreas Pfister
Digitalisierung entfacht in uns einen Kulturkampf. Wir möchten gern zu
den Coolen gehören. Wir wären gern modern und technikaffin. Doch es gibt auch
jene Instanz in uns, die sich partout nicht beschwatzen lässt. Informatik als
das neue Basteln? Wir sind doch nicht naiv! So ertappen wir uns, wie wir
Informatik beargwöhnen als Symptom. Wohlfeile Wendungen bieten sich an: Schule
im Dienste der Wirtschaft. Zulieferdienst von Humankapital. Es sind Phrasen,
gewiss, aber trotzdem.
Romantisch verklärt
Manchmal spüren wir einen fast körperlichen Widerwillen: gegen die
Ästhetik der Software, gegen Knöpfe und Kabel, gegen die reglosen Körper am
Bildschirm, gegen die platte Legitimierung durch Nützlichkeit. Gegen all das
Überwinden und Motivieren.
Stattdessen erklären wir das Zeichnen und Malen zum Ursprünglichen. Wir
schwärmen von Farbstiften und Ton, vom Kneten und Wühlen, vom Laubsägen. Dabei
haben wir das nie richtig hingekriegt. Und recht besehen war auch der
Sandkasten ein Screen.
Eigentlich wissen wir es: Das Humanistische steckt nicht nur im
Musischen. Die Idealisierung des Strickens und Hämmerns als besonders
menschliche Tätigkeiten ist vor allem eines: romantische Verklärung. Die
Reformpädagogik hat ganze Weltanschauungen daraus gemacht. Handarbeit war kein
Selbstzweck und schon gar keine Gegenwelt, sondern ein Abbild der damaligen
Industrialisierung. Die Kinder sollten vorbereitet werden auf die Arbeitswelt:
die Mädchen mit Kochen, die Buben mit Werken. Auch das Turnen hatte als Vorbereitung
aufs Militär eine klare Funktion.
Im Maschinenraum der Gegenwart
Vielleicht hilft uns die Erinnerung an diese Zweckgebundenheit des
Musischen, Informatik pragmatischer anzugehen. Sie historisch einzuordnen und
zu reflektieren. Sie zu würdigen als Maschinenraum der Gegenwart. Dort ist es
nicht nur schön, dort ist es anstrengend. Dort fliegen Späne, und man macht
sich die Finger schmutzig, sozusagen. Dort begegnen wir dem eigenen Unvermögen.
So sind wir hin- und hergerissen. Und stellen fest: Digitalisierung
fungiert vor allem als Projektionsfläche. Auf sie projizieren wir unsere
Bildungsideale und Lebensentwürfe. Sie kann befreien von Entfremdung und
Monotonie, von Fliessband und Stumpfsinn. Und sie kann genau in diesen
Stumpfsinn hineinführen. Digitalisierung ist ein grosses Versprechen, doch die
Einlösung ist keine Selbstverständlichkeit. Sie wird erarbeitet im Schulalltag
– in der Schule 4.0.
Andreas Pfister ist Kantonsschullehrer
und Bildungsjournalist. Er wohnt mit seiner Familie in Zürich.
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