Der Zwischenfall ist noch in
bester Erinnerung: Ich war schon nicht mehr als Heilpädagoge in einer eigenen
Klasse beschäftigt, sondern als mobiles Einsatzkommando. Ein Saisonarbeiter auf
Abruf. Vor mir ein Stapel Aufsatzhefte zum Korrigieren. Zeitformen, logischer
Aufbau, Gliederung mit Einleitung, Hauptteil, Schluss. Spannungsbogen, Fantasie
etc. Das Übliche. Als ich dann aber auch noch die Rechtschreibfehler anstrich,
kassierte ich einen Zusammenschiss der Deutschlehrerin, die mich unverblümt als
pädagogischen Hinterwäldler beschimpfte. Tatort: eine 6. Klasse der
Primarschule, damals noch Orientierungsschule genannt.
Foirwer retete eine oile aus dem Stal, Basler Zeitung, 4.10. von Roland Stark
Offenbar
liess sich die Kollegin von der an sich löblichen Grundhaltung leiten, die Lust
am kreativen Text, Spass und Freude seien für die Schülerinnen und Schüler
wichtiger als Orthografie und Grammatik. Die Methode «Lesen durch Schreiben»
stammt ursprünglich vom Schweizer Reformpädagogen Jürgen Reichen. Gearbeitet
wird mit einer Anlauttabelle. Dabei ist der Anlaut mit einem Bild verbunden:
mit B eine Banane, S mit Suppe oder A mit Affe. Die Kinder schreiben nach
Gehör, ohne Rücksicht auf die lästige Rechtschreibung.
In
einem Aufsatz über seinen Berufswunsch darf das Kind also unbeschwert von
Regeln und ohne störendes Meckern von Eltern oder Lehrern schreiben: «Schpäta
möchte ich ainmal ain übasätuza für die fereinten nazionen werdn.»
Zwar
wird «Schreiben nach Gehör» in den Schweizer Schulen kaum noch in lupenreiner
Form angewendet. Die Vernachlässigung eines regelmässigen und systematischen
Rechtschreibeunterrichts zieht sich wie ein roter Faden durch den
Sprachunterricht. Die Weisheit «Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans
nimmermehr» ist in Vergessenheit geraten oder im «Sprachbad» abgesoffen.
Orthografie ist wie Lesen eine Kernkompetenz und sollte in den ersten
Schuljahren geübt werden. «Ohne Fleiss kein Preis» heisst denn auch eine andere
missachtete Weisheit.
Entsprechend
häufen sich die Klagen der Anschlussschulen, dass sie die Defizite aus der
Grundschule ausbügeln müssten und auch die Universitäten bemerken eine
wachsende Rechtschreibeschwäche ihrer Studienanfänger.
Munition
für die Gegner der «Reichen-Methode» liefert nun eine Studie von Bonner
Bildungsforschern. Die Wissenschaftler untersuchten die Rechtschreibeleistungen
von mehr als 3000 Grundschülern in Nordrhein-Westfalen. Danach machten jene
Schüler, die mit «Lesen durch Schreiben» gelernt hatten, am Ende der vierten
Klasse 55 Prozent mehr Fehler als Kinder, denen das Schreiben mit der
klassischen Fibel beigebracht wurde. Die Studie ergab auch keine Anhaltspunkte
für die gängige Behauptung, der «Laisser-faire-Unterricht» würde die Kinder
stärker motivieren. Im Gegenteil: Haben sich die Kinder die falsch
geschriebenen Wörter einmal eingeprägt, ist es für viele eine Qual, sich an die
korrekte Schreibweise zu gewöhnen.
Unter
der Überschrift «Das grosse Desinteresse» schreibt Die Zeit, leicht resigniert, dass
der Fall exemplarisch ein Problem verdeutliche, «das viele Forscher beklagen:
Die Wissenschaft spielt in der Bildungspolitik kaum eine Rolle. Ihre
Erkenntnisse werden selten umgesetzt oder gleich ganz ignoriert.» (27.10.2018).
Noch wichtiger als Frühenglisch oder Frühfranzösisch wäre danach wohl
Frühdeutsch.
Di
hofnung schtirbt zulezt. Auch bei Schuhlrevormen.
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