22. Oktober 2018

Endlich liefern statt lafern

Reaktion auf den Artikel von Cornelia Eisenach

Stellen Sie sich vor, Ihr Arzt verschreibt Ihnen ein Medikament, das noch nicht umfassend getestet wurde, das aber offensichtliche und gefährliche Nebenwirkungen hat. Genau dies geschieht seit Jahren an unserer Volksschule, wo eine Allianz aus Politik, Schuladministration und Wirtschaft der Volksschule abstruse Konzepte aufzwingt, ohne je nach deren Wirksamkeit zu fragen.
Endlich liefern statt lafern, Urs Kalberer, 22.10. 


Der Artikel beschreibt eine Schule der Zukunft, wie ich sie als Lehrer aus Rücksicht auf die Schüler und ihr Lernen nicht erleben möchte. Die Kinder werden während einem Drittel ihrer Schulzeit vor einen Computer gesetzt und sich selbst überlassen. Damit soll die Freude am Lernen erhalten bleiben. Wir wissen, dass ein wesentlicher Faktor im Lernprozess die Beziehungsebene ist. Wie sollen Kinder lernen, wenn man sie isoliert und jede und jeder in Grossraumbüros das eigene Programm abspult? Die wohlklingenden «Lernlandschaften» mit dem «selbstgesteuerten Lernen» bei denen die heutigen «Lerncoaches» ihren Schülern bloss noch Blätter zum Selbststudium aushändigen, verunmöglichen es, die wichtige Lernbeziehung zu den Kindern herzustellen.  

Das Klassenzimmer als Ort des Lernens hat, entgegen der Prophezeiung im Artikel, deshalb noch lange nicht ausgedient. Das Schulzimmer ist der Ort, wo unterschiedliche Kinder mit ihren Begabungen und ihrem Lernwillen zusammenkommen und angeleitet vom Lehrer sich Wissen aneignen und Schritt für Schritt neue Welten entdecken. Wir wissen aus der Forschung, dass der geleitete Klassenunterricht, im Text als Frontalunterricht diffamiert, bei weitem effizienteres Lernen zulässt, als die verantwortungslosen Experimente des individualisierten Lernens.

Weiter spekuliert die Autorin darüber, welche Berufe wohl in 50 Jahren gefragt sind und welche schulischen Fähigkeiten dazu dienlich sind. Erstens ist es nicht die Aufgabe der Schule, Humankapital für die Wirtschaft bereitzustellen. Und zweitens werden die Kinder auch in Zukunft Lesen, Schreiben und Rechnen können müssen, wenn sie sich im Leben behaupten wollen. Genau diese Fertigkeiten werden aber durch das im Artikel hochgelobte individualisierte Lernen vernachlässigt. Und die Wissenschaft sagt uns auch, wer ganz besonders darunter leidet: Es sind die sozial benachteiligten Kinder. Aber unsere Bildungspolitiker und die Mehrzahl der Schuladministration will das nicht hören und bastelt unbeirrt weiter auf dem eingeschlagenen Weg in Richtung mehr Kosten, mehr Ungleichheit und weniger Wissen und Können.

Schliesslich noch ein Wort zur im Text vorgestellten, preisgekrönten Schule Petermoos in Buchs ZH. Ein Nachhilfeschüler erlebte den Unterricht an der «Vorzeigeschule » als derart chaotisch und unorganisiert, dass die Lehrer oft schreien müssten. Eine «Laisser-faire-Haltung» sei normal; oft würden bei ungenügenden Arbeiten beide Augen zugedrückt. Der Gehörschutz für stilles Arbeiten ist zu einem verbreiteten Unterrichtsobjekt geworden. Die Eltern gehen verständlicherweise angesichts solcher Zustände auf die Barrikaden und verlangen mehr Qualität. Hier wäre es an der Zeit, dass man die Schönfärber in die Pflicht nimmt und endlich Nachweise für die angeblich so effizienten neuen Lernmethoden einfordert.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen