26. September 2018

Vernichtendes Urteil zu Fremdsprachen-Lehrmittel


Die Baselbieter Bildungs-, Kultur und Sportdirektion (BKSK) hat im vergangenen Jahr Hearings zum Französisch-Lehrmittel Mille feuilles durchgeführt. Die Bewertung des Lehrmittels, das die Schüler in «ein Sprachbad» nehmen will und auf «Kompetenz-Unterricht» aufbaut, ist so verheerend ausgefallen, dass man nicht mehr von Manöverkritik oder Retusche-Aufträgen sprechen darf.
Kaum positive Rückmeldungen. In jeder wichtigen Disziplin weist das Lehrmittel Mille feuilles grosse Defizite aus. Datenquelle Taskforce der Bildungsdirektion

Vernichtende Kritik an Mille feuilles, Basler Zeitung, 26.9. von Daniel Wahl



26 von 31 Kriterien – nahezu alles, was Lehrerinnen und Lehrer von einem Lehrmittel erwarten können, ist negativ bewertet worden; die wichtigsten Kompetenzen, die ein Werkzeug zum Spracherwerb mitbringen sollte – wie Wortschatz, Struktur, Grammatik, Arbeitsanweisung, Vertiefung –, fallen unten durch. Nur in wenigen Aspekten wie Gestaltung und Themenwahl überwiegt das Positive. Das ist das Fazit, das rund hundert Lehrerinnen und Lehrer in den von Bildungsdirektorin Monica Gschwind im Winter 2017 einberufenen Hearings gezogen haben.

Doch wie sich abzeichnet, will die Bildungsdirektorin Mille feuilles nicht einfach absetzen, wie es der Landrat gefordert hat. «Anstelle eines Lehrmittelverbots strebe ich Lehrmittelfreiheit an. In der von mir einberufenen Taskforce, in der alle Interessengruppen vertreten sind, wird mit Hochdruck daran gearbeitet», sagt Regierungsrätin Gschwind.
Was sie unter «Lehrmittelfreiheit» versteht, bleibt vorderhand offen. Aus Kreisen der Taskforce heisst es, Gschwind suche nach Auswegen, um sich nicht gänzlich von Mille feuilles verabschieden zu müssen. Offenbar will man jenen Kräften entsprechen, die weiterhin an der Sprachbad- und Kompetenz-Ideologie festhalten wollen. Millionen wurden in die Weiterbildung der Lehrer investiert.

So kommt der Bildungsdirektion die Publikation der neusten Resultate aus den Hearings ungelegen. Ja, man bestreitet zunächst, über Zahlen zu verfügen. Erst auf Nachhaken sagt Pressesprecherin Monique Juillerat: «Die Tabelle und Protokolle gehören zum Arbeitsmaterial der Fachhearings. Diese sind nicht dazu geeignet, veröffentlicht zu werden.» Es handle sich um eine Erhebung von Verbesserungsvorschlägen, die in Form eines Feedbacks an den Verlag weitergeleitet worden seien.
Sekundarlehrer sind kritischer
Zugegebenermassen ist die der BaZ zugespielte Tabelle – das Resultat der Hearings – detailreich und an dieser Stelle summarisch reduziert, jedoch repräsentativ wiedergegeben. Die Originalgrafik schlüsselt jeden einzelnen Aspekt auf. Es gibt negative und positive Kritikpunkte von Sekundarlehrern, von Primarlehrern und solche von beiden Stufen gemeinsam.

Im Einzelfall sind dank dieser Darstellung interessante Details zu erfahren. Zum Beispiel beurteilen die Primarlehrer – sie arbeiten auf ihrer Stufe mit Mille feuilles – die Vermittlung von Französisch-Kompetenzen weit weniger kritisch (–6) als die Sekundarlehrer (–36), die ihren Unterricht auf der Mille-feuilles-Generation aus der Primarschule aufbauen müssen. Insgesamt kommt man beim Kriterium «Kompetenzen» auf 57 Negativ-Kritikpunkte, bei rund 30 Positiv-Bewertungen. Die Meinungen gehen hier offenbar auseinander. Das dürfte wiederum daran liegen, dass gute Lehrer andere Hilfsmittel beiziehen, um mit ihren Schülern zum Ziel zu gelangen, was rückblickend vermischt und Mille feuilles zugeschrieben wird. Der Effekt wird von Monica Gschwind indirekt bestätigt: «Unsere Lehrkräfte arbeiten sehr professionell. Selbst Defizite bei den Lehrmitteln können sie daher ausgleichen und die Schüler gut unterrichten. Im Fokus steht, dass alle die entsprechenden Ziele des Lehrplans bei den Stufenübertritten erreichen.»

Vernichtend ist die Bewertung für ein Lehrmittel letztlich dort, wo es stark sein müsste: Das Kriterium «Wortschatz» (65 Negativ-Kritikpunkte bei einem Pluspunkt) erhält die schlechteste aller Wertungen. Es fehle ein alltagstauglicher Wortschatz. Er werde nicht gefestigt und könne nicht angewendet werden, finden die Lehrer.

Mies ist das Lehrmittel bei «Strukturierung» (–58, keine Positivnennung); es gilt als überfrachtet (–49 bei zwei Positivnennungen), bietet ungenügende Sprechanlässe (–37) und sackt bei der Grammatik ab (–31). Dies ohne eine Positivnennung. Dann beklagen die Lehrerinnen und Lehrer den grossen Aufwand mit Mille feuilles (–38). Ferner bestätigen sie, was von Beginn weg kritisiert wurde: Das Lehrmittel ist asozial – nur gut für die starken Schüler; die Schwachen kommen unter die Räder.

Mille feuilles ist bereits in anderen Kantonen harsch kritisiert worden. Permanent meldeten sich Eltern, die sich besorgt zeigen, dass mit ihren Sprösslingen experimentiert und kein Fortschritt sichtbar werde. Aufgrund der Kritik und der sich auch wissenschaftlich immer mehr erhärtenden Untauglichkeit des dahinterstehenden Konzepts der Sprachbad-Didaktik sah sich die Bildungsdirektion Ende 2017 veranlasst, flächendeckende Hearings im Fach Französisch durchzuführen. Eingeladen waren sämtliche Sekundarlehrpersonen, die über eineinhalb Jahre Unterrichtserfahrung mit dem Anschluss-Lehrmittel Clin d’oeil verfügten, sowie eine entsprechende Anzahl Primarlehrpersonen, die mit Mille feuilles unterrichten. Insgesamt nahmen über hundert Lehrpersonen teil.

Die Ergebnisse liegen seit Mai vor, wurden aber nicht öffentlich gemacht. Das verwundert nicht.
Wunschbuch der Funktionäre
Es lägen keine auf den aktuellen Lehrplan angepasste Alternativ-Lehrmittel (Französisch ab 3. Klasse) vor, sagt Monique Juillerat. «Deshalb wäre es unverantwortlich, die aktuellen Lehrmittel sofort abzusetzen», ergänzt Gschwind. Eine sofortige Absetzung fordert allerdings heute niemand mehr.

Der Wunsch, an Mille feuilles festzuhalten, wird vor allem von Schulleitern vorgetragen, jenen «Chefs», die ihr Personal von Weiterbildungen fürs Lehrmittel überzeugen mussten. In den Chor der Befürworter stimmen vor allem die dem Bildungsapparat nahe stehenden Funktionäre ein, wie die Leitung der Amtlichen Kantonalkonferenz oder der Primarlehrerkonferenz. So lässt sich deren Co-Präsident Lukas Flüeler zitieren: «Unser Unmut ist sehr gross. Wir wollen nicht schon wieder einen Wechsel der Lehrmittel.» Er verneine nicht, dass einige Primarlehrer Mille feuilles kritisch beurteilen. Die klare Mehrheit wolle aber damit weiterarbeiten.

Die Resultate der Hearings sprechen eine andere Sprache.


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