Die Baselbieter Bildungs-,
Kultur und Sportdirektion (BKSK) hat im vergangenen Jahr Hearings zum
Französisch-Lehrmittel Mille feuilles durchgeführt. Die Bewertung des
Lehrmittels, das die Schüler in «ein Sprachbad» nehmen will und auf
«Kompetenz-Unterricht» aufbaut, ist so verheerend ausgefallen, dass man nicht
mehr von Manöverkritik oder Retusche-Aufträgen sprechen darf.
Kaum positive Rückmeldungen. In jeder wichtigen Disziplin weist das Lehrmittel Mille feuilles grosse Defizite aus. Datenquelle Taskforce der Bildungsdirektion
Vernichtende Kritik an Mille feuilles, Basler Zeitung, 26.9. von Daniel Wahl
26 von 31 Kriterien – nahezu alles, was Lehrerinnen und Lehrer von
einem Lehrmittel erwarten können, ist negativ bewertet worden; die wichtigsten
Kompetenzen, die ein Werkzeug zum Spracherwerb mitbringen sollte – wie
Wortschatz, Struktur, Grammatik, Arbeitsanweisung, Vertiefung –, fallen unten
durch. Nur in wenigen Aspekten wie Gestaltung und Themenwahl überwiegt das
Positive. Das ist das Fazit, das rund hundert Lehrerinnen und Lehrer in den von
Bildungsdirektorin Monica Gschwind im Winter 2017 einberufenen Hearings gezogen
haben.
Doch wie sich abzeichnet, will die Bildungsdirektorin Mille
feuilles nicht einfach absetzen, wie es der Landrat gefordert hat. «Anstelle
eines Lehrmittelverbots strebe ich Lehrmittelfreiheit an. In der von mir
einberufenen Taskforce, in der alle Interessengruppen vertreten sind, wird mit
Hochdruck daran gearbeitet», sagt Regierungsrätin Gschwind.
Was sie unter «Lehrmittelfreiheit» versteht, bleibt vorderhand
offen. Aus Kreisen der Taskforce heisst es, Gschwind suche nach Auswegen, um
sich nicht gänzlich von Mille feuilles verabschieden zu müssen. Offenbar will
man jenen Kräften entsprechen, die weiterhin an der Sprachbad- und
Kompetenz-Ideologie festhalten wollen. Millionen wurden in die Weiterbildung
der Lehrer investiert.
So kommt der Bildungsdirektion die Publikation der neusten
Resultate aus den Hearings ungelegen. Ja, man bestreitet zunächst, über Zahlen
zu verfügen. Erst auf Nachhaken sagt Pressesprecherin Monique Juillerat: «Die
Tabelle und Protokolle gehören zum Arbeitsmaterial der Fachhearings. Diese sind
nicht dazu geeignet, veröffentlicht zu werden.» Es handle sich um eine Erhebung
von Verbesserungsvorschlägen, die in Form eines Feedbacks an den Verlag
weitergeleitet worden seien.
Sekundarlehrer
sind kritischer
Zugegebenermassen ist die der BaZ zugespielte Tabelle – das
Resultat der Hearings – detailreich und an dieser Stelle summarisch reduziert,
jedoch repräsentativ wiedergegeben. Die Originalgrafik schlüsselt jeden
einzelnen Aspekt auf. Es gibt negative und positive Kritikpunkte von Sekundarlehrern,
von Primarlehrern und solche von beiden Stufen gemeinsam.
Im Einzelfall sind dank dieser Darstellung interessante Details zu
erfahren. Zum Beispiel beurteilen die Primarlehrer – sie arbeiten auf ihrer
Stufe mit Mille feuilles – die Vermittlung von Französisch-Kompetenzen weit
weniger kritisch (–6) als die Sekundarlehrer (–36), die ihren Unterricht auf
der Mille-feuilles-Generation aus der Primarschule aufbauen müssen. Insgesamt
kommt man beim Kriterium «Kompetenzen» auf 57 Negativ-Kritikpunkte, bei rund 30
Positiv-Bewertungen. Die Meinungen gehen hier offenbar auseinander. Das dürfte
wiederum daran liegen, dass gute Lehrer andere Hilfsmittel beiziehen, um mit
ihren Schülern zum Ziel zu gelangen, was rückblickend vermischt und Mille
feuilles zugeschrieben wird. Der Effekt wird von Monica Gschwind indirekt
bestätigt: «Unsere Lehrkräfte arbeiten sehr professionell. Selbst Defizite bei
den Lehrmitteln können sie daher ausgleichen und die Schüler gut unterrichten.
Im Fokus steht, dass alle die entsprechenden Ziele des Lehrplans bei den
Stufenübertritten erreichen.»
Vernichtend ist die Bewertung für ein Lehrmittel letztlich dort,
wo es stark sein müsste: Das Kriterium «Wortschatz» (65 Negativ-Kritikpunkte
bei einem Pluspunkt) erhält die schlechteste aller Wertungen. Es fehle ein
alltagstauglicher Wortschatz. Er werde nicht gefestigt und könne nicht
angewendet werden, finden die Lehrer.
Mies ist das Lehrmittel bei «Strukturierung» (–58, keine
Positivnennung); es gilt als überfrachtet (–49 bei zwei Positivnennungen),
bietet ungenügende Sprechanlässe (–37) und sackt bei der Grammatik ab (–31).
Dies ohne eine Positivnennung. Dann beklagen die Lehrerinnen und Lehrer den
grossen Aufwand mit Mille feuilles (–38). Ferner bestätigen sie, was von Beginn
weg kritisiert wurde: Das Lehrmittel ist asozial – nur gut für die starken
Schüler; die Schwachen kommen unter die Räder.
Mille feuilles ist bereits in anderen Kantonen harsch kritisiert
worden. Permanent meldeten sich Eltern, die sich besorgt zeigen, dass mit ihren
Sprösslingen experimentiert und kein Fortschritt sichtbar werde. Aufgrund der
Kritik und der sich auch wissenschaftlich immer mehr erhärtenden Untauglichkeit
des dahinterstehenden Konzepts der Sprachbad-Didaktik sah sich die
Bildungsdirektion Ende 2017 veranlasst, flächendeckende Hearings im Fach
Französisch durchzuführen. Eingeladen waren sämtliche Sekundarlehrpersonen, die
über eineinhalb Jahre Unterrichtserfahrung mit dem Anschluss-Lehrmittel Clin
d’oeil verfügten, sowie eine entsprechende Anzahl Primarlehrpersonen, die mit
Mille feuilles unterrichten. Insgesamt nahmen über hundert Lehrpersonen teil.
Die Ergebnisse liegen seit Mai vor, wurden aber nicht öffentlich
gemacht. Das verwundert nicht.
Wunschbuch
der Funktionäre
Es lägen keine auf den aktuellen Lehrplan angepasste
Alternativ-Lehrmittel (Französisch ab 3. Klasse) vor, sagt Monique Juillerat.
«Deshalb wäre es unverantwortlich, die aktuellen Lehrmittel sofort abzusetzen»,
ergänzt Gschwind. Eine sofortige Absetzung fordert allerdings heute niemand
mehr.
Der Wunsch, an Mille feuilles festzuhalten, wird vor allem von
Schulleitern vorgetragen, jenen «Chefs», die ihr Personal von Weiterbildungen
fürs Lehrmittel überzeugen mussten. In den Chor der Befürworter stimmen vor
allem die dem Bildungsapparat nahe stehenden Funktionäre ein, wie die Leitung
der Amtlichen Kantonalkonferenz oder der Primarlehrerkonferenz. So lässt sich
deren Co-Präsident Lukas Flüeler zitieren: «Unser Unmut ist sehr gross. Wir
wollen nicht schon wieder einen Wechsel der Lehrmittel.» Er verneine nicht,
dass einige Primarlehrer Mille feuilles kritisch beurteilen. Die klare Mehrheit
wolle aber damit weiterarbeiten.
Die Resultate der Hearings sprechen eine andere Sprache.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen