Schon vor 22 Jahren hat Pia
Amacher gekämpft: Strippen gezogen, diskutiert und referiert. Sich dafür
eingesetzt, dass Kinder in der ganzen Schweiz nicht unter einem für sie
unpassenden Schulsystem leiden müssen, den Schulbesuch verweigern oder
psychische Blessuren davontragen, weil sie alles überfordert.
Erneuter Anlauf für freie Schulwahl für alle, Basler Zeitung, 20.9. von Franziska Laur
Doch die freie Schulwahl für alle wurde abgelehnt. «Die Zeit war
noch nicht reif», sagt Amacher. Gelassen sitzt die 64-Jährige in ihrer Wohnung
am Rhein, das blonde Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, die
Bewegungen flink, die Worte klar und verständlich. «Jetzt ist eine ganz andere
Ausgangslage», sagt sie. Die Staatsschulen seien von der Heterogenität der
Schüler oft überfordert, würden sich in der Hektik von Reformen und
Notmassnahmen verlieren, und viele Eltern seien verzweifelt.
Jetzt nimmt die Präsidentin der Elternlobby Schweiz nochmals einen
Anlauf, um das Stimmvolk doch von der freien Schulwahl zu überzeugen. «Eine
Studie der Uni Freiburg von Margrit Stamm hat gezeigt, dass in der Schweiz
jedes Jahr rund 5000 Jugendliche die Schule abbrechen und jedes fünfte Kind
eine Klasse wiederholt. Das kann man doch nicht so stehen lassen», sagt sie.
Die Forderung der Elternlobby: ein neuer Punkt zu Artikel 19 in der
Bundesverfassung mit dem Inhalt: «Der Zugang zu allen anerkannten
Bildungsstätten ist für alle Kinder gewährleistet und unentgeltlich.»
Schwierige
Situation
Das finden auch die Basler FDP und die Grünliberalen und kämpfen
daher Seite an Seite mit Pia Amacher. «In kaum einer Industrienation haben
Schüler und Eltern so wenig Freiheit in der Wahl der Volksschule wie in der
Schweiz», sagt Nadine Gautschi, FDP-Vizepräsidentin. Mit einer freien Schulwahl
könne die Bildungsvielfalt gefördert werden. «Kinder könnten so nach
Fähigkeiten und Begabungen gefördert werden», sagt sie. «Andauernde unverständliche
Reformen wären nicht länger nötig.» Für sie als Liberale sei die Idee von
Bildungsgutscheinen verlockend. Dies könne in einem ersten Schritt durchaus
auch erst einmal bloss in staatlichen Schulen eingelöst werden. Wenn alle
Eltern nur schon das Schulhaus oder das Schulsystem wählen könnten, wäre viel
gewonnen. Dann würde wohl schnell klar werden, dass es absolut zu keiner
Benachteiligung käme, wie die Sozialdemokraten stets argumentieren.
Heute haben Eltern eine untergeordnete Stellung. Wenn das Kind
gemobbt wird, die Beziehung zum Lehrer gestört ist oder es einfach nicht in die
Staatsschule passt, so können sie eine Versetzung innerhalb der Staatsschule
nur mit Glück und Hartnäckigkeit erreichen. Und die Versetzung in eine
Privatschule nur mit viel Geld.
Denn der Volksschulleiter Dieter Baur sitzt am längeren Hebel:
«Ich entscheide, wohin das Kind in die Schule geht», sagte er einmal zu Pia
Amacher. Eltern können nur Wünsche anbringen. Die Kämpfer für die freie
Schulwahl wollen das ändern. Dafür stürzt sich Amacher mit ihren Mitstreitern
wieder in die Lobbyarbeit. So war sie kürzlich im Grossen Rat zu sehen. Und
dass sie Sympathisanten in fast allen politischen Lagern findet, ist für sie
ein neues Signal. «Sensationell ist auch, dass die FDP Bildungswahl und
Bildungsgutscheine in ihrem Positionspapier hat», sagt sie.
Auch Mitglieder der SVP sind mit an Bord und ebenfalls die
Grünliberalen: «Für mich ist das der einzig richtige Weg: die Privaten
einbinden und somit auch durch den Wettbewerb die Qualität fördern. Und das für
alle anstatt für wenige», sagt GLP-Parteichefin Katja Christ dezidiert.
In
anderen Ländern
Pia Amacher hat viele Erfahrungen mit der freien Schulwahl in
anderen Ländern gesammelt. Dänemark, Schweden, Finnland und die Niederlande
praktizieren die freie Schulwahl. «In Holland wissen die Eltern oft gar nicht,
ob die Schule ihrer Kinder privat oder staatlich ist. Sie suchen sich einfach
für ihr Kind die geeignetste aus.» Die Schweiz liegt bezüglich Wettbewerb unter
Schulen auf dem vorletzten Platz von 32 OECD-Ländern. In der Schweiz verkörpert
die Volksschule eine wesentliche Errungenschaft des modernen Bundesstaates.
Erst die Bundesverfassung von 1874 schrieb obligatorischen, kostenlosen und vor
allem konfessionsneutralen Unterricht in allen Kantonen vor. Dadurch sollte der
kirchliche Einfluss zurückgedrängt werden. Und in den Köpfen der Schweizer sitzt
heute die Vorstellung tief, dass die Grundbildung vom Staat zu erbringen sei.
Vielleicht schwingt dabei auch die Furcht vor einem Boom an Religionsschulen
mit.
Mit einem Anteil von fünf Prozent ist die Bedeutung der Schweizer
Privatschulen denn auch klein, zumindest quantitativ. Allerdings zählen viele
von ihnen zu sehr innovativen Schulen, wie die Avenirsuisse vor zwei Jahren
feststellte. Und sie kommt zum Schluss, dass die freie Schulwahl die Qualität
der Bildung erhöht. Die Gegner befürchten jedoch, dass die Kosten nach der
Einführung der Wahlfreiheit explodieren könnten. Auch hätten bevorzugte Schulen
möglicherweise nicht genügend Infrastruktur. Ausserdem würde sich die Kluft
zwischen Arm und Reich noch mehr vertiefen.
Amacher glaubt jedoch, dass mithilfe der Wahlfreiheit auf viele
sonderpädagogische Massnahmen verzichtet werden könnte. «Unser Einheitsmodell
passt heute nicht mehr.» Heute würden je nach Kanton 50 Prozent der Kinder
sonderpädagogische Massnahmen erhalten. «Die Staatsschule eignet sich nicht für
jedes Kind. Zu viele Kinder benötigen sonderpädagogische Massnahmen und
Medikamente, um ruhig gestellt zu werden», sagt sie. Die Zahlen, wie viele das
sind und wie viele Fördermassnahmen benötigen, wird nicht erfasst.
Idee
stammt von Milton Friedman
Die Idee von Pia Amacher und ihrer Elternlobby klingt einfach. Sie
stammt vom neoliberalen amerikanischen Wirtschaftstheoretiker Milton Friedman
und geht folgendermassen: Statt Schulen direkt zu finanzieren, folgt die
Schülerpauschale dem Kind an die gewählte Schule. Diese Schulen jedoch müssen
staatlich bewilligt und beaufsichtigt sein.
«So werden aus machtlosen Eltern und Schülern finanzkräftige
Kunden. Das zwingt die Schulen, um sie zu werben und ihre Anliegen ernst zu
nehmen», sagt Amacher.
Im Oktober 2019 sind Nationalrats-Wahlen und der Wahlkampf beginnt
schon jetzt langsam. Die Elternlobby Schweiz wird die Kandidierenden bezüglich
der freien Schulwahl prüfen. Das Ziel ist, parlamentarische Vorstösse oder
Volksinitiativen für die freie Bildungswahl in die Wege zu leiten. «Wir können
uns einfach nicht mehr leisten, diese nicht einzuführen. Schliesslich kostet
uns die schlechte Schulbildung von rund 20 Prozent der Schulabgänger jährlich
eine Milliarde Franken.» Jeder Fünfte könne nach Abschluss der Volksschule
immer noch nicht verstehen, was er lese. «Deshalb braucht es verschiedene
Bildungsmodelle für alle.»
So wird man Pia Amacher und ihre Mitstreiter in den kommenden
Wochen und Monaten wieder an Podien, an Info-Ständen und auf der Strasse beim
Unterschriftensammeln sehen.
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