20. September 2018

Kampf um Schreibmethoden


Um die Methode „Lesen durch Schreiben“, auch bekannt als „Schreiben nach Gehör“, tobt seit Jahren ein Kulturkampf. Unlängst hatte Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) den Grundschullehrkräften in ihrem Bundesland den Einsatz verboten. Am Wochenende ist eine Studie veröffentlicht worden, die ihr Recht zu geben scheint. Danach führt der klassische „Fibel-Unterricht“ bei Grundschülern zu deutlich besseren Rechtschreibleistungen als Methoden wie „Lesen durch Schreiben“ oder „Rechtschreibwerkstatt“ (News4teachers berichtete). Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, fordert angesichts der Untersuchung ein bundesweites Verbot der Methode – bekommt aber dafür heftigen Widerspruch vom VBE.
"Studie zu "Lesen durch Schreiben" befeuert Debatte zum Verbot der Methode, News4Teachers, 18.9.


Um das Schreibenlernen in der Grundschule tobt ein Kulturkampf. Foto: Shutterstock
Die Länder müssten jetzt ernsthafte und tiefgreifende Konsequenzen aus den Ergebnissen der Studie der Universität Bonn ziehen,  so meint Meidinger gegenüber der „Funke Mediengruppe“. Der ehemalige Philologenverbandsvorsitzende erinnert daran, dass die aktuellen Grundschulstudie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) und auch die internationale Grundschul-Lese-Untersuchung IGLU ein „teilweise dramatisches“ Absinken der Rechtschreibleistungen deutscher Grundschüler festgestellt hätten. Meidinger nennt es „erschreckend, dass sich in Deutschland an vielen Grundschulen in den vergangenen Jahrzehnten eine Rechtschreibmethode etablieren konnte, ohne dass dazu jemals eine seriöse Überprüfung stattgefunden habe. „Kinder wurden damit zu Versuchskaninchen einer übereifrigen Reformpolitik gemacht.“ Jetzt gelte es, „weiteren Schaden von unseren Grundschülern abzuwenden“.

Allerdings ist fraglich, an wie vielen Grundschulen in Deutschland „Lesen durch Schreiben“ überhaupt angewendet wird. Eine Untersuchung des Germanisten Prof. Wolfgang Steinig ergab, dass die Methode lediglich von drei Prozent der Grundschulen praktiziert wird. Gleichwohl hätten Elemente davon  – etwa in Form von Anlauttabellen – Eingang in den Unterricht der meisten Grundschullehrerinnen und -lehrer gefunden. Doch das ist keineswegs eine neue Entwicklung. Wie Anlauttabellen dann für schlechtere Schülerleistungen in jüngster Zeit verantwortlich sein können,  dafür gibt es keine Erklärung.
“Die Arbeit der Grundschullehrer wird diskreditiert”
Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) hält die Übertragung der Untersuchungsergebnisse auf die praktische Arbeit der Grundschulen deshalb auch für unseriös. „Indem Herr Meidinger die Ergebnisse der Studie der Universität Bonn unreflektiert zum Anlass nimmt, die Schreiblernmethode `Lesen durch Schreiben` grundsätzlich zu verdammen, diskreditiert er die Arbeit vieler Grundschullehrkräfte. Viele von ihnen arbeiten erfolgreich mit einem Lese- und Schreiblernkonzept nach dem Spracherfahrungsansatz, das Teile der Methode ‚Lesen durch Schreiben‘ integriert. Den Eindruck zu erwecken, dass die Methode „Lesen durch Schreiben“ vielfach in Reinform unterrichtet werde, widerspricht der Realität“, erklärt Vorsitzender Udo Beckmann. Und der VBE wisse, wovon er spreche: Der Verband vertrete – anders als der Deutsche Lehrerverband, ein Dachverband – tatsächlich zahlreiche Grundschullehrkräfte.
Beckmann betont: „Vielleicht ist es Herrn Meidinger entgangen, dass in den Grundschulen eine große Heterogenität vorherrscht. Kinder aus verschiedenen Nationen und Kulturen lernen wie in keiner anderen Schulstufe und Schulform zusammen. Grundschullehrkräfte differenzieren ihre Unterrichtsinhalte auf der Grundlage der Lernentwicklung und der Fähigkeiten der Kinder, mit denen sie täglich arbeiten. Jedes Kind hat einen eigenen Zugang zum Lernen und demzufolge auch zur Erarbeitung der Rechtschreibung. Ein einseitiges Verbot einer Methode ist keine Lösung und steht im krassen Widerspruch zu der von der Politik immer wieder geforderten Selbstverantwortlichkeit von Schule. Wenn das Schreibenlernen mit der Fibel in der Praxis vollständig überzeugt hätte, hätten sich Grundschullehrkräfte längst flächendeckend dafür entschieden.“

Der VBE vertritt die Ansicht, dass jede einzelne Schule die Entscheidung treffen sollte, auf welche Weise sie den Kindern in den ersten Schuljahren das Lesen und Schreiben vermittelt. Schließlich arbeite jede Schule auf der Grundlage der vorgeschriebenen Lehrpläne – und übernehme dafür Verantwortung, dass die Kinder am Ende der Grundschulzeit über die erforderlichen Kenntnisse im Bereich der Rechtschreibung verfügen.

„Wenn eine gesellschaftliche Diskussion über die Rechtschreibfähigkeiten von Kindern gewünscht ist, muss es ebenfalls eine differenzierte gesellschaftliche Diskussion darüber geben, dass Kinder sich nicht mehr im gleichen Maße konzentrieren können, dass die Aufmerksamkeitsspanne zurückgegangen ist und dass viele Kinder nicht mehr über ausreichend grob- und feinmotorische Fähigkeiten verfügen“, erklärt Beckmann. „Die Realität vereinfachende Pauschalurteile und Forderungen, wie sie von Herrn Meidinger getroffen wurden, helfen hier nicht weiter.“

Auch der Thüringer Lehrerverband (tlv) – ein Landesverband des VBE – weist Meidingers Forderung entschieden zurück. Er sei regelrecht entsetzt darüber, dass ein Verband, der von sich behaupte, für die Schulen zu sprechen, das komplette Verbot einer ganzen Lehrmethode fordere., sagt  tlv-Vorsitzender Rolf Busch. „Es gibt nicht den einen Typ Schüler“, erklärt Busch, „und genau deshalb arbeiten unsere Grundschullehrer mit verschiedenen Methoden, von denen keine allein eingesetzt wird. Eine davon kann Lesen durch Schreiben sein.“ Nur dank dieser Auswahl sei es überhaupt möglich, den Anforderungen der zunehmend heterogenen Klassen gerecht zu werden und die Schüler individuell und bedarfsgerecht zu fördern. „Manche Kinder kommen und können schon lesen. Andere haben noch Schwierigkeiten, beim Sprechen klare Laute zu formulieren. Es gibt Kinder mit Verhaltensdefiziten und solche, die noch kaum Deutsch verstehen.“
Natürlich, so Busch weiter, sei es gut und wichtig, aktuelle Studien auszuwerten und die Ergebnisse für Weiterentwicklungen zu nutzen. „Aber sämtliche Rechtschreibprobleme darauf zurückzuführen, dass Lesen durch Schreiben als eine von mehreren Methoden zum Einsatz kommt, zeugt von wenig Sachkompetenz. Außerdem wird durch derartige Äußerungen das großartige Engagement unserer Grundschullehrer mit Füßen getreten.“
Provokant gefragt: Wie würden wohl Gymnasiallehrer reagieren, wenn ihnen Kollegen aus anderen Schulformen beispielsweise den Frontalunterricht verbieten wollten?


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