Um die Methode „Lesen durch Schreiben“, auch bekannt als „Schreiben nach
Gehör“, tobt seit Jahren ein Kulturkampf. Unlängst hatte Baden-Württembergs
Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) den Grundschullehrkräften in ihrem
Bundesland den Einsatz verboten. Am Wochenende ist eine Studie veröffentlicht
worden, die ihr Recht zu geben scheint. Danach führt der klassische
„Fibel-Unterricht“ bei Grundschülern zu deutlich besseren
Rechtschreibleistungen als Methoden wie „Lesen durch Schreiben“ oder
„Rechtschreibwerkstatt“ (News4teachers berichtete). Heinz-Peter Meidinger, Präsident
des Deutschen Lehrerverbands, fordert angesichts der Untersuchung ein
bundesweites Verbot der Methode – bekommt aber dafür heftigen Widerspruch vom
VBE.
"Studie zu "Lesen durch Schreiben" befeuert Debatte zum Verbot der Methode, News4Teachers, 18.9.
Um das Schreibenlernen in der Grundschule tobt ein
Kulturkampf. Foto: Shutterstock
Die Länder müssten jetzt ernsthafte und tiefgreifende Konsequenzen aus
den Ergebnissen der Studie der Universität Bonn ziehen, so meint
Meidinger gegenüber der „Funke Mediengruppe“. Der ehemalige
Philologenverbandsvorsitzende erinnert daran, dass die aktuellen
Grundschulstudie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB)
und auch die internationale Grundschul-Lese-Untersuchung IGLU ein „teilweise
dramatisches“ Absinken der Rechtschreibleistungen deutscher Grundschüler
festgestellt hätten. Meidinger nennt es „erschreckend, dass sich in Deutschland
an vielen Grundschulen in den vergangenen Jahrzehnten eine Rechtschreibmethode
etablieren konnte, ohne dass dazu jemals eine seriöse Überprüfung stattgefunden
habe. „Kinder wurden damit zu Versuchskaninchen einer übereifrigen
Reformpolitik gemacht.“ Jetzt gelte es, „weiteren Schaden von unseren
Grundschülern abzuwenden“.
Allerdings ist fraglich, an wie vielen Grundschulen in Deutschland
„Lesen durch Schreiben“ überhaupt angewendet wird. Eine Untersuchung des
Germanisten Prof. Wolfgang Steinig ergab, dass die Methode lediglich von drei
Prozent der Grundschulen praktiziert wird. Gleichwohl hätten Elemente
davon – etwa in Form von Anlauttabellen – Eingang in den Unterricht der
meisten Grundschullehrerinnen und -lehrer gefunden. Doch das ist keineswegs
eine neue Entwicklung. Wie Anlauttabellen dann für schlechtere
Schülerleistungen in jüngster Zeit verantwortlich sein können, dafür gibt
es keine Erklärung.
“Die Arbeit der Grundschullehrer wird diskreditiert”
Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) hält die Übertragung der
Untersuchungsergebnisse auf die praktische Arbeit der Grundschulen deshalb auch
für unseriös. „Indem Herr Meidinger die Ergebnisse der Studie der Universität
Bonn unreflektiert zum Anlass nimmt, die Schreiblernmethode `Lesen durch
Schreiben` grundsätzlich zu verdammen, diskreditiert er die Arbeit vieler
Grundschullehrkräfte. Viele von ihnen arbeiten erfolgreich mit einem Lese- und
Schreiblernkonzept nach dem Spracherfahrungsansatz, das Teile der Methode
‚Lesen durch Schreiben‘ integriert. Den Eindruck zu erwecken, dass die Methode
„Lesen durch Schreiben“ vielfach in Reinform unterrichtet werde, widerspricht
der Realität“, erklärt Vorsitzender Udo Beckmann. Und der VBE wisse, wovon er
spreche: Der Verband vertrete – anders als der Deutsche Lehrerverband, ein
Dachverband – tatsächlich zahlreiche Grundschullehrkräfte.
Beckmann betont: „Vielleicht ist es Herrn Meidinger entgangen, dass in
den Grundschulen eine große Heterogenität vorherrscht. Kinder aus verschiedenen
Nationen und Kulturen lernen wie in keiner anderen Schulstufe und Schulform
zusammen. Grundschullehrkräfte differenzieren ihre Unterrichtsinhalte auf der
Grundlage der Lernentwicklung und der Fähigkeiten der Kinder, mit denen sie
täglich arbeiten. Jedes Kind hat einen eigenen Zugang zum Lernen und demzufolge
auch zur Erarbeitung der Rechtschreibung. Ein einseitiges Verbot einer Methode
ist keine Lösung und steht im krassen Widerspruch zu der von der Politik immer
wieder geforderten Selbstverantwortlichkeit von Schule. Wenn das
Schreibenlernen mit der Fibel in der Praxis vollständig überzeugt hätte, hätten
sich Grundschullehrkräfte längst flächendeckend dafür entschieden.“
Der VBE vertritt die Ansicht, dass jede einzelne Schule die Entscheidung
treffen sollte, auf welche Weise sie den Kindern in den ersten Schuljahren das
Lesen und Schreiben vermittelt. Schließlich arbeite jede Schule auf der
Grundlage der vorgeschriebenen Lehrpläne – und übernehme dafür Verantwortung,
dass die Kinder am Ende der Grundschulzeit über die erforderlichen Kenntnisse
im Bereich der Rechtschreibung verfügen.
„Wenn eine gesellschaftliche Diskussion über die Rechtschreibfähigkeiten
von Kindern gewünscht ist, muss es ebenfalls eine differenzierte
gesellschaftliche Diskussion darüber geben, dass Kinder sich nicht mehr im
gleichen Maße konzentrieren können, dass die Aufmerksamkeitsspanne
zurückgegangen ist und dass viele Kinder nicht mehr über ausreichend grob- und
feinmotorische Fähigkeiten verfügen“, erklärt Beckmann. „Die Realität
vereinfachende Pauschalurteile und Forderungen, wie sie von Herrn Meidinger
getroffen wurden, helfen hier nicht weiter.“
Auch der Thüringer Lehrerverband (tlv) – ein Landesverband des VBE –
weist Meidingers Forderung entschieden zurück. Er sei regelrecht entsetzt
darüber, dass ein Verband, der von sich behaupte, für die Schulen zu sprechen,
das komplette Verbot einer ganzen Lehrmethode fordere., sagt
tlv-Vorsitzender Rolf Busch. „Es gibt nicht den einen Typ Schüler“,
erklärt Busch, „und genau deshalb arbeiten unsere Grundschullehrer mit
verschiedenen Methoden, von denen keine allein eingesetzt wird. Eine davon kann
Lesen durch Schreiben sein.“ Nur dank dieser Auswahl sei es überhaupt möglich,
den Anforderungen der zunehmend heterogenen Klassen gerecht zu werden und die
Schüler individuell und bedarfsgerecht zu fördern. „Manche Kinder kommen und
können schon lesen. Andere haben noch Schwierigkeiten, beim Sprechen klare Laute
zu formulieren. Es gibt Kinder mit Verhaltensdefiziten und solche, die noch
kaum Deutsch verstehen.“
Natürlich, so Busch weiter, sei es gut und wichtig, aktuelle Studien
auszuwerten und die Ergebnisse für Weiterentwicklungen zu nutzen. „Aber
sämtliche Rechtschreibprobleme darauf zurückzuführen, dass Lesen durch
Schreiben als eine von mehreren Methoden zum Einsatz kommt, zeugt von wenig
Sachkompetenz. Außerdem wird durch derartige Äußerungen das großartige
Engagement unserer Grundschullehrer mit Füßen getreten.“
Provokant gefragt: Wie würden wohl Gymnasiallehrer reagieren, wenn ihnen
Kollegen aus anderen Schulformen beispielsweise den Frontalunterricht verbieten
wollten?
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