Heutige
Schüler haben es nicht leicht. Die Schule fordert in hohem Masse und die
Freizeit ist reglementierter als früher. Selbst beim Fussball oder in der
Musikschule sind Leistung und Disziplin gefragt. Wo bleibt da der Spass, die
Entspannung? Der Schulpsychologe Basil Eckert wünscht sich mehr Gelassenheit
für Kinder und im Umgang mit ihnen.
"Schüler brauchen ein Wohlfühlklima", Basellandschaftliche Zeitung, 19.1. von Susanne Holz
Herr Eckert, die Hiobsbotschaft macht die
Runde, dass bereits jeder dritte Schweizer Schüler an BurnoutSymptomen leide.
Können Sie das bestätigen?
Basil Eckert: Ich bin immer vorsichtig mit solchen
Zahlen – die Menschen sind heute stärker sensibilisiert, was psychische
Probleme betrifft. Aber mein subjektives Empfinden ist schon auch, dass der
Leistungsdruck zugenommen hat. Unsere Gesellschaft ist eine Leistungsgesellschaft
– man muss funktionieren.
Werden die Dienste der Schulpsychologen vermehrt in
Anspruch genommen?
Unsere Fallzahlen sind bei leicht abnehmenden Schülerzahlen
tendenziell leicht steigend. Unsere Dienste werden schon gut genutzt.
Leistungsdruck und Überforderung sind die Hauptthemen in der
schulpsychologischen Beratung. Wir haben aber auch Anmeldungen von Kindern,
deren Noten mit einer 4 oder 4,5 ausreichend gut wären. Hier beobachte ich
einen gewissen Optimierungswahn.
Zu hohe Erwartungen, die zu viel Druck
erzeugen?
Ein gewisser Druck ist nötig. Die Schüler lernen so, mit Stress
umzugehen. Widerstände zu erfahren und Forderungen ausgesetzt zu sein, ist auch
gut. Die Balance ist hier wichtig: Es braucht Erfolgserlebnisse, und es braucht
ein Wohlfühlklima, ohne das Kinder und Jugendliche gar nicht aufnahmefähig
sind.
Fehlen Erfolg und Wohlfühlklima . . . . . .
dann sind wir schnell bei
einer konstanten Überforderung und einem Burnout. Eine Challenge hie und da ist
wichtig, aber konstanter Druck tut nicht gut. Die Schule hat auch die Aufgabe,
Stärken zu erkennen – das müssen nicht immer Mathe oder Rechtschreibung sein.
Man muss Kinder in ihren Fähigkeiten bestärken.
Das klingt gut. Aber wenn
anscheinend so viele Kinder überfordert sind, was läuft dann schief an den
Schulen?
Ich denke, dass viele Lehrer einen hervorragenden Job machen, das
selektive Schulsystem aber viele Türen zuschlägt. Hinzu kommt der Druck von den
Eltern.
Haben Eltern heute generell zu hohe Erwartungen an ihre Kinder?
Man
darf das nicht generalisieren, aber die Tendenz ist da. Während man früher
Kinder einfach bekommen hat, sind sie heute zum Projekt geworden. Man hebt
Kinder aufs Podest und hat entsprechend viele Erwartungen an sie.
Sind es nicht
auch die vollen Stundenpläne, die Kindern und Jugendlichen zu schaffen machen?
Das ist eine gute Frage. Als es noch den Unterricht am Samstagvormittag gab,
hat das sicher zu einer gewissen Entspannung unter der Woche beigetragen – es
gab weniger Nachmittagsunterricht. Nicht vergessen sollte man, dass Kinder und
Jugendliche heutzutage auch in ihrer Freizeit oft ein immenses Programm zu
bewältigen haben.
Wie meinen Sie das?
Man sieht heute an einem
Mittwochnachmittag, wenn schulfrei ist, kaum mehr Kinder einfach nur draussen
spielen. Weil die Freizeit mit Hobbys oder Nachhilfe verplant ist. Dabei
brauchen Kinder Pausen, um aufzutanken, geistig und körperlich. Ich wünsche mir
da seitens der Eltern mehr Gelassenheit. Es ist für Kinder nicht das Beste,
rund um die Uhr gefördert zu werden.
Die vielen Unterrichtsstunden am
Nachmittag und die Hobbys konkurrenzieren einander. Hat ein 13-Jähriger bis um
17 Uhr Unterricht und das zweistündige Fussballtraining beginnt um 18 Uhr, dann
ist das Stress.
Da stimme ich zu – es braucht mehr freie Zeit. Und es ist
schade, wenn man den Sport wegen eines zu vollen Stundenplans kippen muss.
Hinzu kommt, dass nicht nur in der Schule Disziplin und Leistungswille gefragt
sind, sondern auch in der Fussballmannschaft oder in der Musikschule. Ich
glaube, hier würden sich viele Eltern mehr Gelassenheit seitens der
Sporttrainer oder Musikschullehrer wünschen.
Klar, auch im Freizeitbereich ist
heute ein Optimierungswahn zu beobachten.
Würde sich der Druck auf Schüler und
Lehrer nicht einfach nehmen lassen, verlängerte man die Sekundarschule von drei
auf vier Jahre?
Für viele Schüler wäre das zweifellos ein Segen. Auch das
Gymnasium ging früher ein Jahr länger. Und es ist eine Tatsache, dass viele
Sekschüler nur deshalb aufs Gymnasium wechseln, weil sie der Berufsfindung noch
nicht gewachsen sind. Es gibt aber auch Jugendliche, die schon in der zweiten
Sek schulmüde sind. Für diese Schüler wäre ein Jahr mehr Schule eine
Katastrophe – die blühen auf, wenn sie praktisch arbeiten können. Zum Glück ist
das Schweizer Bildungssystem durchlässig. Das Gymi ist nicht der einzige Weg
zur Karriere.
Was sind die Warnzeichen für ein Burnout bei einem Kind? Wann
muss man hellhörig werden?
Wenn das Kind wiederholt Kopfweh, Bauchweh hat und
unter Schlafstörungen leidet, ist es gut, sich professionelle Hilfe zu holen.
Verweigern Kinder über längere Zeit den Schulbesuch, hilft oft nur noch eine
stationäre psychiatrische Behandlung.
Reagieren Buben und Mädchen
unterschiedlich auf Überforderung?
Mädchen internalisieren Probleme mehr, das
heisst, sie reagieren mit Depression, Ess- oder Angststörungen. Buben
externalisieren dagegen häufig, was ihnen zu schaffen macht. Sie werden
aggressiv, gamen zu extensiv oder beginnen damit, Drogen zu konsumieren.
Der
Kinder- und Jugendpsychologe Allan Guggenbühl beklagte kürzlich in der
«SonntagsZeitung» auch eine Überforderung der Schüler aufgrund zu vieler Lehrer
und häufiger Lehrerwechsel. Was ist davon zu halten?
Wie die Hattie-Studie
zeigte: Der wichtigste Faktor für erfolgreiches Lernen ist die Beziehung zur Lehrperson.
Versuchen Sie mal, in zwei Wochenstunden eine gute Beziehung zu jedem Schüler
aufzubauen – nicht unmöglich, aber eine Herausforderung! Für den Klassenlehrer
mit dem 100%-Pensum ist das einfacher – aber von denen gibt es leider nicht
mehr viele. Andererseits ist es auch belastend, einen Klassenlehrer zu haben,
womöglich jahrelang, mit dem man sich nicht versteht.
Der Schweizer Kinderarzt
Remo Largo betonte Anfang August in einem Interview mit der «Zeit» ebenfalls,
wie wichtig ein stabiles Beziehungsnetz für Kinder sei. Schluss also mit
Patchwork in der Familie?
Das würde ich so nicht sagen. Auch in traditionellen
Familien gibt es viele harmonieraubende Konflikte. Trennungen sind heute
gesellschaftlich anerkannt, und das ist gut so. Aber natürlich ist es auch eine
Herausforderung, mit der Pluralität umzugehen und Kindern trotzdem Halt und
Sicherheit zu geben.
Basil Eckert (43) ist in Basel
geboren und absolvierte sein
Psychologiestudium in Basel
und Bern. Er arbeitete in verschiedenen
Kantonen als
Schulpsychologe und im
Heim- und Sozialbereich. Seit
einem Jahr leitet Eckert die
Abteilung Schulpsychologie
des Kantons Schwyz. Zudem
ist er Vorstandsmitglied der
interkantonalen Leitungskonferenz
der Schulpsychologie
Schweiz
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