Nachdem eine Untersuchung gezeigt hat, dass „Schreiben nach Gehör“
beziehungsweise „Lesen durch Schreiben“ schlechte Ergebnisse bringt,
verteidigen Experten die Methode. Dabei ist sie ein Auslaufmodell. Immer
weniger Länder wenden sie im Unterricht an.
Wie gut ein Kind schreiben lernt, hängt hierzulande vom Wohnort ab, Zeit, 20.9.
In Deutschland ist ein Streit über
die beste Rechtschreib-Lernmethode entbrannt. Auslöser ist eine Studie, in der
die klassische Fibel-Methode für Grundschüler deutlich besser abgeschnitten hat
als Ansätze wie „Lesen durch Schreiben“ und „Rechtschreibwerkstatt“.
Die Frage sei nun, ob man
Grundschulen noch gestatten könne, „ausschließlich oder vorwiegend“ nach den
zwei Verfahren zu unterrichten, die in der Untersuchung sehr schlecht
abgeschnitten hatten. Das sagte der Präsident des Deutschen Lehrerverbands
(DL), Heinz-Peter
Meidinger, der Deutschen Presse-Agentur. „Die Bonner Studie
gibt klar Hinweise, dass Schreiben nach Gehör nicht zu der angestrebten
Rechtschreibkompetenz der Schüler führt.“
In der Untersuchung hatten Bonner
Psychologen ermittelt, dass Grundschüler Orthografie am besten nach der
sogenannten Fibel-Methode lernen. Dabei werden Buchstaben und Wörter
schrittweise und nach festen Vorgaben eingeführt, systematisch aufgebaut vom Einfachen
zum Komplexen. Die untersuchten Lernerfolge von gut 3000 Grundschulkindern in
Nordrhein-Westfalen waren deutlich höher als bei dem Ansatz Lesen durch
Schreiben (LDS), mitunter auch als Schreiben nach Gehör bezeichnet.
Streit über
Forschungsergebnisse unter Experten
Die meisten Fehler ermittelte die
Studie bei Kindern, die nach der eher seltenen Rechtschreibwerkstatt lernten.
Die Studie hat eine breite Debatte ausgelöst. Die Aussage, dass die
Fibel-Methode zu einer besseren Rechtschreibung führe, ist dem
Grundschulverband viel zu pauschal. „Eine solche Allgemeinaussage ist nach dem
aktuellen Forschungsstand nicht möglich und höchst irreführend“, kritisierte
der Verband.
Meidinger hält dagegen: Es gebe
keinen Grund zur Vermutung, dass die Studie unwissenschaftlich sei, die
Ergebnisse sollten ernst genommen werden. „Lehrkräfte brauchen großen
pädagogischen Freiraum bei der Wahl der Methoden. Die Grenze ist aber erreicht,
wenn das Lernziel nicht geschafft wird.“
Udo Beckmann, Bundesvorsitzender der
Lehrergewerkschaft Verband Bildung und Erziehung (VBE), warf ihm wiederum vor,
die Arbeit vieler Grundschullehrkräfte zu diskreditieren. Viele Lehrer
arbeiteten erfolgreich mit einem Ansatz, der das LDS-Konzept mit einbaue. „Jede
einzelne Schule sollte die Entscheidung treffen, auf welche Weise sie den
Kindern in den ersten Schuljahren das Lesen und Schreiben vermittelt“, forderte
der VBE-Chef.
Die umstrittene
Methode wird selten angewandt
Wie häufig unterrichten Pädagogen nach der in die
Kritik geratenen Lesen-durch-Schreiben-Methode und der weniger häufigen
Rechtschreibwerkstatt? Ein Blick in die Bundesländer – sie sind zuständig für
Schulfragen – zeigt ein unterschiedliches Bild, unter dem Strich aber eher
wenig Begeisterung für Lesen durch Schreiben und viel Zuspruch für die
Fibel-Methode.
In NRW als bevölkerungsreichstem Bundesland gibt es
derzeit keine zentral vorgeschriebene Methode. Aber: Lesen durch Schreiben soll
demnächst noch in der ersten Klasse angewendet werden, wie Schulministerin
Yvonne Gebauer (FDP) bereits 2017 angekündigt hatte. Rheinland-Pfalz setzt auf
einen Methodenmix. Eine Umfrage 2017 habe ergeben, dass nur in 14 von 960
Grundschulen ausschließlich mit LDS gearbeitet werde.
Hamburg gehört zu
den Ländern, die die LDS-Methode bereits für unzulässig erklärt haben. In
Schleswig-Holstein darf seit Beginn dieses Schuljahres auch nicht mehr danach
unterrichtet werden. Aus Berlin heißt es, LDS in „Reinform“ gebe der
Rahmenlehrplan nicht her. Baden-Württemberg hält ebenfalls nichts von LDS,
spricht von einem „seit Langem wissenschaftlich hoch umstrittenen“ Ansatz. In
Bayern kommt die Methode nicht zum Einsatz, ebenso wie im Saarland, jedenfalls
nicht „in Reinform“.
In Thüringen werden
Grundschüler überwiegend nach der Fibel-Methode unterrichtet. Der aktuelle
Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Erfurts Bildungsminister Helmut
Holter (Linke), sagte, man werde nach den „wichtigen Hinweisen“ der Bonner
Studie über Schlussfolgerungen beraten. In Sachsen lernen Kinder vor allem mit
der Fibel-Methode, die Grundschulen sind aber frei in ihrer Wahl.
Sachsen-Anhalt legt die Entscheidung ebenfalls in die Hände der
Lehrkräfte. In Mecklenburg-Vorpommern nutzen 86 Prozent die Fibel-Methode und
nur zwei Prozent LDS. Brandenburg sagt, man habe aktuell keinen Überblick. Auch
in Niedersachsen lägen keine landesweiten Erkenntnisse darüber vor, welche
Schulen nach welchen Methoden arbeiteten. Das entschieden die Schulen selbst.
Eine kritische Prüfung der eingesetzten Lernmethoden sei unabhängig von der
Studie ohnehin vorgesehen.
Das früher lange gängige Fibel-Lernen war mancherorts vor allem vom
Lesen durch Schreiben nahezu verdrängt worden. Der LDS-Grundgedanke: Schüler
sollen möglichst viel frei schreiben und das Lesen darüber mitlernen. Laut
Bildungstrend des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB)
2016 erreichen oder übertreffen nur 55 Prozent der Viertklässler orthografische
Regelstandards.
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