Politische
Interessengruppen versuchen vermehrt, Einfluss auf den Schulunterricht zu
nehmen. Links-grüne Hilfswerke und NGO dürfen dabei sogar auf staatliche Hilfe
zählen – obwohl Beeinflussungsversuche offiziell tabu sind.
Wie Parteien, Firmen und Hilfswerk-Aktivisten Schulkinder umwerben, NZZ, 21.9. von Lucien Scherrer
Zum Schluss fordern die Autoren konkrete Taten ein, wie das
Spendensammeln am Hauptbahnhof. «Engagiere dich mit uns!», so rufen sie der
jugendlichen Leserschaft zu, «es gibt nicht nur den Kuchenverkauf!» Wie wäre es
etwa mit der Organisation eines Benefizkonzertes? Oder mit der Unterstützung
eines Caritas-Projekts für arme Kinder? Oder gar mit einer Mitgliedschaft bei
Caritas? Denn: «Mit deinem Engagement bei Young Caritas zeigst du, dass du dir
eine solidarische und offene Gesellschaft wünschst.»
Die Einladungsgesten sind in Unterrichtsmaterialien zu finden, welche
die Caritas-Jugendgruppe Young Caritas für Sekundarschüler bereithält zu den
Themen «Armut» und «Flucht und Migration». Wie andere Hilfswerke und
Nichtregierungsorganisationen (NGO) bietet die Caritas Schulbesuche und
«Unterstützung» für Lehrer an, inklusive eigener «Unterrichtsideen» und
-Materialien. Laut Caritas-Sprecher Stefan Gribi besucht Young Caritas rund
dreissig Schulen pro Jahr.
Klagen über
Missionare
Dass heute nicht nur «Zahntanten» und Dorfpolizisten, sondern auch
politische Interessengruppen und Firmen in öffentliche Schulen drängen, um für
ihre Anliegen zu werben, ist ein verbreitetes Phänomen. So bietet die Aargauer
Firma KIK AG über eine Internet-Plattform privat gesponserte, angeblich
«ausgewogene» Lehrmittel an, vom Lehrgang für kleine «Klimapioniere»
(Myclimate) über Znüni-Empfehlungen von Swissmilk bis zum Staatskunde-Paket der
FDP (inklusive Loblied auf diese «junge, sensible, urbane und frauenfreundliche
Partei»). Selbst die nicht überall beliebte Nationale Genossenschaft für die
Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) empfiehlt sich auf ihrer Website für
Schulbesuche: «Sie möchten das Thema Entsorgung radioaktiver Abfälle mit Ihrer
Klasse behandeln? Fragen Sie uns an.»
«In den letzten zwanzig Jahren haben solche Angebote klar zugenommen»,
sagt Barbara Franzen (fdp.), Schulpräsidentin im Zürcherischen Wehntal. Dabei
sei es auch schon zu einer elterlichen Beschwerde gekommen, nachdem eine «NGO
aus dem Umweltbereich» im Klassenzimmer lobbyiert habe. «Seither weise ich die
Schulleitungen an, auf eine ausgewogene Darstellung gewisser Sachverhalte zu
achten.» Schliesslich sei die Schule kein Tummelfeld für politische Missionare.
Der Schweizerische Lehrerverband (LCH) hat vor zwei Jahren gar zusammen
mit Stiftungen und staatlichen Stellen eine Charta erarbeitet, die von rund 40
Akteuren unterzeichnet worden ist, darunter von Pädagogischen Hochschulen (PH)
und Firmen wie Microsoft und Samsung. Darin heisst es, man dulde weder «Akteure
mit weltanschaulichen Zielen (Parteien, Religionen)» noch
«Beeinflussungsversuche». Ebenso würden Unterrichtsmaterialien auf
«weltanschauliche Ausgewogenheit» geprüft.
«Aktiv werden»,
bitte!
Mit der Umsetzung dieser Grundsätze hapert es allerdings. Denn die
Charta ist laut LCH-Präsident Beat Zemp einzig eine Selbstverpflichtung der
Unterzeichner – sprich, wer sie nicht unterschreibt, darf den Schulen weiterhin
gefärbtes Material anbieten und auf unkritische Pädagogen hoffen. Links-grüne
NGO sind dabei mit ihrem Lobbying besonders erfolgreich. Zumal zwischen NGO und
staatlich finanzierten Bildungsinstitutionen mittlerweile eine problematische
Symbiose gedeiht.
So sind manche neue Lehrmittel für öffentliche Schulen gespickt mit
politisch gefärbten Analysen, Behauptungen und Werbespots für Gewerkschaften
und NGO wie Attac, was in bürgerlichen Parteien für Unmut sorgt (NZZ
31. 8. 18, siehe Box). Gleichzeitig wird die Verbreitung von
NGO-Botschaften im Schulbetrieb staatlich gefördert.
Das zeigt sich besonders im Bereich «Bildung für nachhaltige
Entwicklung» (BNE), den Bund und Kantone auf Druck der Uno und gewisser NGO im
Lehrplan 21 verankert haben. Offiziell geht es bei BNE um den Schutz der
Umwelt, Menschenrechte, Migration, Gerechtigkeitsfragen oder wirtschaftliche
Zusammenhänge – Themen also, die es durchaus wert sind, in der Schule
kontrovers diskutiert zu werden. In der Praxis dient das Label «BNE» oft dazu,
den Schülern und Lehrern bestimmte Organisationen und Ziele näherzubringen.
Die PH Bern etwa empfiehlt auf ihrer Website zum Thema «Migration» die
Sites von Amnesty International und Young Caritas, samt Logo – als könnte man
sich dort mit wissenschaftlichen Analysen versorgen (Beschreibung: «Infoservice
mit spannenden Beiträgen»). Dabei wird bei Amnesty unter anderem Stimmung gegen
Sozialdetektive und Pläne des Staatssekretariats für Migration zur Rückführung
abgewiesener Asylsuchender aus Eritrea gemacht.
Amnesty und Young Caritas gehören auch zu den «Partnern» der
mehrheitlich staatlich finanzierten Bildungsstelle «Education 21». Von Bund und
Kantonen damit betraut, freiwillige BNE-Lehrmittel zu prüfen und zu erarbeiten,
dient Education 21 auch als verlängerter Arm der links-grünen NGO-Familie. Die
Liste der «ausserschulischen Partner», die Education 21 für Schulbesuche und
Unterrichtsideen empfiehlt, liest sich wie ein Szene-ABC: Greenpeace, Brot für
alle, WWF, Myclimate, Terre des hommes, Alliance Sud und so weiter. Hinweise
auf andere Akteure mit konträren Sichtweisen sucht man vergeblich.
Die Education-21-Direktion versichert in einer schriftlichen
Stellungnahme, externe Bildungsangebote würden nur empfohlen, wenn diese dazu
beitrügen, «den Lernenden ein unabhängiges Urteil zu einem Thema zu
ermöglichen». Und: «Es werden keine Anhänger oder Mitglieder für politische
Überzeugungen oder kommerzielle Interessen geworben.» Die Realität sieht auch
hier etwas anders aus. So gibt es auf der Website mehrere Links auf Projekte,
in denen Greenpeace- und andere NGO-Aktivisten die Kinder auffordern, selber
«aktiv» zu werden.
Empfohlen wird auch das Projekt «Luutstarch» von Young Caritas, in dem
es um unverfängliche Themen wie Armutsbekämpfung und Schuldenprävention geht.
Über eine «Einführung für Lehrpersonen» werden Interessenten dann aber auf die
Website der Caritas Zürich («Zahlen und Fakten zur Armut») und zu den eingangs
erwähnten «Unterrichtshilfen» geleitet. Darin geht es nicht nur um
Mitgliederwerbung («Engagiere dich mit uns!»), sondern auch um geistige
Bearbeitung.
Die Vermögensverteilung in der Schweiz, so erfahren die Kinder etwa in
einer Unterrichtsmappe zum Thema «Armut», sei «weltweit eine der
ungerechtesten», und Armut müsse hier endlich als «zentrales Problem» anerkannt
werden. Die Caritas-Aktivisten verschweigen wohlweislich, dass ihre
Armutsdefinitionen – derzeit sollen laut Caritas in der Schweiz rund 1,2
Millionen Menschen arm oder von Armut bedroht sein –, genauso umstritten sind
wie die politischen Forderungen, die sie daraus ableiten und den Schülern als
Patentlösungen verkaufen: Ergänzungsleistungen für Familien, Frühförderung für
alle, einheitliche Richtlinien für die Sozialhilfe, mehr Spielgruppen, mehr
Beratungsstellen, mehr «bezahlbare» (sprich: subventionierte) Wohnungen und
Kinderkrippen.
«Volles Vertrauen»
«Die Bekämpfung der Armut», so schreibt die Education-21-Direktion, «ist
ein offizielles staatspolitisches Ziel der Schweiz und keine politische
Gesinnung.» Das ist korrekt, blendet jedoch aus, dass die Art und Weise, wie
Caritas Armut thematisiert, sehr viel mit Gesinnung zu tun hat. So kämpft das
Hilfswerk zusammen mit SP, Grünen und anderen NGO für einen grosszügigen Ausbau
des Sozialstaates und des Asylrechts. Caritas-Direktor Hugo Fasel politisierte
als CSP-Nationalrat in der grünen Fraktion, und im Caritas-Vorstand sassen 2017
gemäss Jahresbericht gleich zwei bekannte SP-Politikerinnen (Ada Marra und
Elisabeth Baume-Schneider). Eine kürzlich eingereichte parlamentarische
Forderung nach einer «Kommission für Armutsfragen» stammt von SP-Nationalrätin
Bea Heim, die ebenfalls Mitglied der Caritas ist.
Bei den Bürgerlichen hat sich inzwischen zumindest die Erkenntnis
durchgesetzt, wonach BNE nicht nur der politischen Gegenseite überlassen werden
sollte. «Ich will zeigen, dass dies kein links-rechts-Thema ist», sagt Conradin
Cramer, seit kurzem Präsident von Education 21, «schliesslich geht es hier
nicht nur um Öko, sondern auch um Ökonomie.»
Cramer ist Basler LDP-Regierungsrat und nach Silvia Steiner (cvp.) der
zweite Bürgerliche, der den Stiftungsrat präsidiert. Zuvor dominierten
Hilfswerkvertreter und SP-Politiker, darunter Elisabeth Baume-Schneider
(SP/Caritas). Die Idee von Education 21, so Cramer, dürfe nicht sein, einer
bestimmten Meinung zum Durchbruch zu verhelfen. Hinweise auf einseitig
gefärbtes Material nehme man deshalb sehr ernst. Die Verantwortung, dass es in
der Schule keine Indoktrinierungsversuche gebe, liege jedoch bei den
Lehrpersonen, «und da habe ich volles Vertrauen». Dies gelte auch für die
Mitarbeiter von Education 21, die keine politische Agenda verfolgten.
«Die fetten Jahre
sind vorbei!»
Wer die offiziell neutrale, jährlich mit mehr als 5 Millionen Franken
alimentierte Bildungsstelle Education 21 genauer betrachtet, könnte da
allerdings gewisse Zweifel hegen. Denn ein Teil der über 40-köpfigen
Belegschaft bewegt sich selber im Umfeld jener NGO-Kreise, die von Education 21
beworben werden. Eine Mitarbeiterin von Education 21 sitzt im Vorstand von
Terre des Hommes, andere waren oder sind für den WWF oder Alliance Sud tätig.
Mehrere Mitarbeiter fühlen sich der grünen Partei verbunden, darunter auch der
Verfasser des Education-21-Lehrmittels «Soziale Gerechtigkeit und Solidarität
als Unterrichtsthema».
Darin werden die Kinder mit suggestiven Fragen und Botschaften
bearbeitet. «Die soziale Ungleichheit ist evident», heisst es da etwa, «weshalb
wird dieser Zustand der Gesellschaft kaum infrage gestellt?» Durch «neoliberale
Politik» und Globalisierung habe die Ungleichheit «in den letzten Jahrzehnten
vielerorts zugenommen». Das ist angesichts der abnehmenden Armut in zahlreichen
Ländern eine tendenziöse, aber nicht sehr verwunderliche Aussage. Als der
Lehrmittelexperte vor einigen Jahren für die Grünen kandidierte, verlangte er ultimativ
«höhere Steuern und weniger Boni für Spitzeneinkommen». Slogan: «Die fetten
Jahre sind vorbei!»
Dazwischen gibt's einen Werbespot für
Attac
Ein NZZ-Artikel
über politisch einseitige Lehrmittel hat zu zahlreichen Vorstössen der
bürgerlichen Parteien geführt, unter anderem in Zürich und im Aargau. Dort will
die FDP-Fraktion vom Regierungsrat wissen, inwiefern bei der Zulassung von
Lehrmitteln auf Ausgewogenheit geachtet werde. Sicher ist: Die von der NZZ
kritisierten Lehrmittel «Gesellschaften im Wandel» («GiW») und «Durchblick
Geschichte» sind keine Einzelfälle – zumindest, was die unkritische Übernahme
gewisser Gewerkschafts- und NGO-Parolen angeht. So erhält die
antikapitalistische Attac nicht nur bei «GiW», sondern auch im Band «Geschichte
der Neuzeit» des Zürcher Lehrmittelverlages ein nettes Porträt: Dem Titel
«Attac – ein neuer Player der Zivilgesellschaft» folgt unter anderem ein
Werbespot für die Attac-Idee einer «Tobin Tax», die angesichts des «Siegeszugs
des Neoliberalismus» ein «Zeichen» für einen «fiskalpolitisch als notwendig
erachteten Paradigmenwechsel» setzen könnte.
Politisch
ausgewogener präsentiert sich das Lehrmittel «Zeitreise» (Klett-
und-Balmer-Verlag), allerdings gibt es auch hier klar gefärbte Passagen: Die
Menschenrechte, so ist etwa zu lesen, würden durch niemanden so gut geschützt
wie durch Amnesty, Public Eye, das Rote Kreuz und andere NGO – «und damit durch
uns!» Interessant ist auch die Behauptung, dass Frauen bei gleicher Arbeit
immer noch «rund zehn Prozent weniger» verdienten als Männer, denn: «Bei der
wirtschaftlichen Gleichstellung hapert es weiterhin.» Ob dem so ist, bleibt
jedoch umstritten. Wie gewagt es ist, in Sachen Lohnunterschieden
Tatsachenbehauptungen aufzustellen, zeigen die Lehrmittel selber: Während es bei
«Zeitreise» zehn Prozent sind, behaupten die «GiW»-Autoren im Verein mit der
Gewerkschaft Unia, es seien zwanzig. Unerwähnt bleibt in beiden Fällen, dass es
auch Studien gibt, die von minimen unerklärlichen Lohndifferenzen ausgehen.
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