7. September 2018

Keine Übernahme religiöser Essensvorschriften

Manchmal retten sich Lehrerinnen und Lehrer in Schlaumeiereien. Der Sohn muslimischer Eltern will auf dem Schulausflug keinen Cervelat essen? Gut, dann gibt es halt eine Olma-Kalbsbratwurst – der Kleine muss ja nicht wissen, dass darin auch Schwein steckt. Ist das eine Lösung? Wohl kaum.
Religiöse Vorschriften gehören nicht an Schulen, NZZ, 5.9. von Simon Hehli


Die Anekdote aus der Schulpraxis ist ein Beispiel dafür, dass es vor lauter Essensgeboten und -verboten langsam unübersichtlich wird. Besonders umstritten ist der Genuss von tierischen Produkten. Es gibt rationale Gründe, weniger davon zu essen oder ganz damit aufzuhören: Zu viel rotes Fleisch tut dem menschlichen Körper nicht gut, das Tierwohl wird bei einem beträchtlichen Teil der Produktion nicht besonders grossgeschrieben, und auch die Umwelt und das Klima leiden unter dem exzessiven Konsum. Eher irrational sind hingegen rein religiös begründete Nahrungstabus, die jahrhundertealten «heiligen» Schriften entspringen – und damit sieht sich die Schweizer Gesellschaft wegen der Zuwanderung aus islamischen Ländern häufiger konfrontiert. Ein muslimisches Kind trüge gewiss keinen Schaden davon, würde es ein Stück Schwein essen. Die Verletzung menschengemachter Regeln führt nicht zu ewiger Verdammnis, von solchen Ängsten hat uns die Aufklärung befreit. Das ist natürlich kein Grund, muslimischen oder jüdischen Kindern in der Mensa oder im Klassenlager Cervelats und Schinkengipfeli aufzuzwingen; es wäre ein eklatanter Verstoss gegen die Glaubensfreiheit der Schüler und ihrer Erziehungsberechtigter. Ebenso klar ist, dass das Singen frommer Lieder vor Weihnachten – sofern dies überhaupt noch Platz in der Volksschule hat – freiwillig sein muss. Diese Angelegenheiten sind anders gelagert als der gemischte Schwimmunterricht, Klassenlager oder die Sexualaufklärung: Ungleich dem Schweinefleischessen sind diese Fälle in einem säkularen Staat Teil des obligatorischen Lehrplans, weshalb sich die Schule über die Bedenken religiös fanatischer Eltern hinwegsetzen darf und muss.
In Bezug auf das Essen sind damit aber nicht alle heiklen Fragen beantwortet. Eine, die öfter im Raum steht: Sollen auch Christen und Atheisten dem Schweinefleisch entsagen, aus Rücksicht gegenüber den muslimischen Mitmenschen? Wenn ein privates Unternehmen aus Imagegründen oder rein praktischen Überlegungen – es kann einfacher sein, nur Poulet-Hotdogs anzubieten statt eine weitere Sorte mit Schwein – den Speiseplan anpasst, ist dagegen nichts einzuwenden. Anders sieht es an Schulen und in Mensen und Kantinen aus. Dass sie aus vorauseilendem Gehorsam Schweinefleisch verbannen, passiert bis jetzt nur sehr selten. Und das sollte auch so bleiben, einen Anstieg solcher Fälle gilt es zu verhindern. Kämen religiöse Bevormundungen schleichend zurück in den Alltag der kirchenfernen Mehrheit, wäre dies gefährlich – zumal sich fromme und andere Eiferer ermutigt fühlen könnten, immer weitere Forderungen zu stellen. Den meisten muslimischen Eltern ist ohnehin egal, was die nichtmuslimischen Klassenkameraden ihrer Kinder auf dem Teller haben; die kleine, aber laute Gruppe der Fundamentalisten verdient kein Gehör.
Nichts spricht dagegen, dass Lehrer nach «pragmatischen» Lösungen suchen. Doch diese dürfen nicht so aussehen, dass die ganze Klasse auf Spareribs und Bratwurst zu verzichten hat. Wenn muslimische Eltern beim Grillfest auf Sonderbehandlung pochen, sollen sie ihren Sprösslingen eben Halalfleisch mitgeben. Das kann dann auf dem Rost ganz aussen liegen, mit Sicherheitsabstand zu den brutzelnden Schweinesteaks – und neben den Maiskolben und den Quornschnitzeln der Veganerkids.


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