Zwanzig
Jahre Euregio-Gymnasium: «Wir stimmen die Fächer auf die Bedürfnisse der
Schüler ab», sagt Gründer Peter Fratton. Und in Zukunft seien Mittelschulen
keine Orte des Wissens mehr.
Einen Ballon für jeden Maturanden, Thurgauer Zeitung, 14.9. von David Grob
Peter
Fratton und Herbert Lippenberger, wie feiern Sie das 20-Jahr-Jubiläum des
Euregio-Gymnasiums?
Herbert
Lippenberger: Wir feiern in mehreren Etappen. Wir haben am Samstag ein grosses
Alumni-Treffen hier vor dem alten Zollhaus. Wir werden dabei 267 Luftballons
steigen lassen. Jeder einzelne Luftballon steht für einen absolvierten
Maturanden aus den vergangenen 20 Jahren. Und in einer zweiten Etappe
organisieren wir von November bis April eine Veranstaltungsreihe in der
Sichtbar, mit dem Namen «Euregio schreibt und liest». Dort werden ehemalige
Schüler in Vorträgen oder Podien auftreten und etwa zum Thema «Künstliche
Intelligenz» reden.
Blicken
wir doch kurz auf die Geschichte des Euregio-Gymnasiums zurück.
Peter
Fratton: Wir haben das Gymnasium vor zwanzig Jahren deshalb aufgebaut, weil
Eltern, deren Kinder bereits bei uns in der «Primaria» waren, Primarschule der
SBW, nach einem ungebrochenen Bildungsweg bis zur Matura fragten. Wir sahen
dann bald, dass sich auch Externe für unser Gymnasium interessierten. Der Grund
liegt vermutlich darin, dass wir die Schweizerische Matura anbieten. Bei dieser
sind wir völlig frei in der Fächergestaltung und können die Stundenzahl auf den
Lernenden abstimmen. Es wird nicht eine bestimmte Anzahl Lektionen pro Fach
vorgeschrieben, sondern es muss einfach am Ende die Maturaprüfung bestanden
werden.
Lippenberger:
Wir sind dabei nicht dem Kanton, sondern dem Bund unterstellt. So ist die
Schule ein eigenständiges Angebot.
Wer geht
ans Euregio-Gymnasium?
Lippenberger:
Im Prinzip wollen wir unsere eigenen Leute aufnehmen. Aber wir haben auch
ehemalige Kantonsschüler oder Lehrabbrecher, die zu uns kommen. Und – etwas
abstrakt gesagt – Lernende mit negativen Bildungserfahrungen in den
öffentlichen Schulen.
Gibt es
eine Eintrittsprüfung?
Lippenberger:
Nein. Wir hatten sogar schon mehrere Schüler, die gar keine Schule besucht
haben, sondern zu Hause im Homeschooling unterrichtet wurden.
Im Namen
Euregio steckt ja bereits die europäische Region: Wie viele deutsche Lernende
besuchen Ihre Schule?
Lippenberger:
Rund 20 Prozent. Allerdings zumeist Deutschstämmige, die in der Schweiz leben.
Wir hatten einst drei Schüler aus Friedrichshafen, die jeweils mit der Fähre
gekommen sind.
Was waren
Höhepunkte in den vergangenen 20 Jahren?
Lippenberger:
Im Prinzip ist jeder einzelne der 267 Maturanden ein Höhepunkt. Ein Höhepunkt
ist aber auch das Zollhaus, in dem wir uns befinden. Peter Fratton und seine
Frau haben dies vor elf Jahren sehr stilvoll und soft renoviert. Hier lebt viel
vom Geist der letzten 150 Jahre weiter.
Was waren
die grössten Veränderungen?
Fratton:
Veränderungen geschehen in der Regel sehr subtil. Dadurch, dass wir frei sind
und unsere Schüler nur die Prüfung bestehen müssen, kann der Unterricht total
personalisiert werden. Gerade mit dem Lehrplan 21 wird dies ja auch von der
öffentlichen Schule verfolgt. Diesen Ansatz haben wir bereits in den
80er-Jahren angewandt. Das Ziel muss erreicht werden, der Weg zum Ziel ist frei
wählbar.
Lippenberger:
Momentan haben wir eine Online-Datenbank angelegt, über welche die Lernenden
auf die Unterlagen zurückgreifen können. Man muss aber auch aufpassen, denn es
braucht immer auch den Menschen. Ein Lehrer muss erkennen, welche Potenziale
ein Schüler hat.
Wie sieht
die Philosophie des Euregio-Gymnasiums aus?
Fratton:
Weil bei uns der Lehrer nicht die Prüfung abnimmt, sitzen der Lernende und der
Lehrer eigentlich im gleichen Boot. Bei uns wird die Zusammenarbeit betont. Die
Lehrer begleiten die Lernenden auch an die Prüfung. Ähnlich wie ein Sportcoach,
der seinen Sportler am Wettkampf unterstützt. So nennen wir die Lehrer auch
Lernbegleiter.
Lippenberger:
Es ist wie eine Geburt. Ich komme mir jeweils vor wie eine Hebamme, wenn
Lernende ihre Maturaprüfung ablegen. Wir sind Partner der Lernenden.
Was
bezahlt man für das Euregio-Gymnasium?
Lippenberger:
2000 Franken pro Monat und Schüler.
Fratton:
Eine solche Schule kann man nur besuchen, wenn die Eltern den nötigen
finanziellen Hintergrund haben. Das ist der «Schissdreck». Für eine Familie mit
drei Kindern ist es fast unmöglich, allen drei Kindern die gleichen Chancen zu
geben. Und das ist ein Problem. Deutschland hat das besser gelöst: Durch das Sonderungsverbot,
wonach allen Kindern der Besuch einer privaten Schule möglich sein muss, bewegt
sich das Schulgeld im Rahmen von 180 Euro pro Monat, den Rest bezahlt der
Staat.
Wie wird
sich die Schule in den nächsten 20 Jahren verändern?
Fratton:
Die Digitalisierung wird auch die Schulen verändern. Bisher bedeutete die
Digitalisierung im Wesentlichen, dass bestehende Inhalte digital aufbereitet
wurden. Ich denke, dass in Zukunft Gymnasien nicht mehr Orte sein werden, an
denen man sich Wissen aneignet – dies kann auch von zu Hause aus geschehen –,
sondern Orte des Zusammenkommens und des Austauschs von Wissen. Auch
Universitäten werden sich dahin gehend verändern müssen. Vorlesungen sind ein
Anachronismus.
Lippenberger:
Deshalb wird unsere Veranstaltungsreihe auch die Digitalisierung behandeln.
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