Wer soll da eigentlich wen in Ruhe lassen? Bündner Tagblatt, 31.8. von Hansmartin Schmid
... Desgleichen
bei der Schule. Da haben jetzt also zahlreichste Menschen, die in ihrer
Primarschulzeit nie ein Stündchen einer fremden Sprache «genossen» haben,
geschweige denn eine derartige Möglichkeit erträumt haben, flugs beschlossen,
ihren armen Kindern gleich zwei Fremdsprachen in der Primarschule aufzuhalsen.
Das Ganze soll eine kulturelle Tat zugunsten der englischen und einer
Kantonssprache sein, wie es von vielen kulturell Gesinnten behauptet wird.
Dabei wissen wenigstens die Deutschsprachigen in diesem Kanton, dass das in
Dreiteufelsnamen nun einmal notwendige Englisch für die deutsche Sprache eine
Bedrohung sein kann, nicht nur für die Schriftsprache, sondern auch für die
eigentliche Muttersprache, den Dialekt. Und jetzt soll es für die italienisch-
oder romanischsprachigen Jüngsten ein Nachteil sein, wenn sie zwei Jahre später
zu dieser «Bedrohung» kommen, die sie ja sonst ohnehin am Computer, am
Fernsehen, in der Werbung oder auf der Gasse «aufpicken». Haben sich all die
hochgesinnten «Kulturellen» in diesem Kanton eigentlich schon einmal gefragt,
was unsere italienischsprachigen Kantonsgenossen davon haben, wenn irgendein
Sechstklässler in Landquart oder Tamins «La vacca è in stalla» radebrechen
kann? Was hat ein Mensch aus Poschiavo oder aus Lostallo eigentlich real davon,
wenn möglichst viele Deutschbündner etwas Italienisch sprechen? Jetzt, nach all
diesen Beschlüssen und Initiativen, nach all diesen Regelungen und Debatten,
wird von der Offizialität, das heisst von der jeweiligen Mehrheit, offiziell
die Forderung erhoben, in Ruhe gelassen zu werden. Sicherlich ein ebenso
verständlicher wie unerfüllbarer Wunsch. Denn es ist ja nach wie vor völlig
unklar, wer da wen und wo in Ruhe lassen soll.
HANSMARTIN SCHMID, Dr. phil.,
schreibt nach 30 Jahren Print- und 20 Jahren Fernseh-Journalismus seit 1998 für
das BT Klartexte, Kommentare und Berichte.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen