1. September 2018

Endlich in Ruhe lassen...

In einem Kommentar vergleicht Hansmartin Schmid die Agrar- mit der Schulpolitik und kommt dabei zu überraschenden Schlussfolgerungen. Ich bringe hier den zweiten Teil, der sich mit der Bündner Fremdspracheninitiative beschäftigt.
Wer soll da eigentlich wen in Ruhe lassen? Bündner Tagblatt, 31.8. von Hansmartin Schmid


... Desgleichen bei der Schule. Da haben jetzt also zahlreichste Menschen, die in ihrer Primarschulzeit nie ein Stündchen einer fremden Sprache «genossen» haben, geschweige denn eine derartige Möglichkeit erträumt haben, flugs beschlossen, ihren armen Kindern gleich zwei Fremdsprachen in der Primarschule aufzuhalsen. Das Ganze soll eine kulturelle Tat zugunsten der englischen und einer Kantonssprache sein, wie es von vielen kulturell Gesinnten behauptet wird. Dabei wissen wenigstens die Deutschsprachigen in diesem Kanton, dass das in Dreiteufelsnamen nun einmal notwendige Englisch für die deutsche Sprache eine Bedrohung sein kann, nicht nur für die Schriftsprache, sondern auch für die eigentliche Muttersprache, den Dialekt. Und jetzt soll es für die italienisch- oder romanischsprachigen Jüngsten ein Nachteil sein, wenn sie zwei Jahre später zu dieser «Bedrohung» kommen, die sie ja sonst ohnehin am Computer, am Fernsehen, in der Werbung oder auf der Gasse «aufpicken». Haben sich all die hochgesinnten «Kulturellen» in diesem Kanton eigentlich schon einmal gefragt, was unsere italienischsprachigen Kantonsgenossen davon haben, wenn irgendein Sechstklässler in Landquart oder Tamins «La vacca è in stalla» radebrechen kann? Was hat ein Mensch aus Poschiavo oder aus Lostallo eigentlich real davon, wenn möglichst viele Deutschbündner etwas Italienisch sprechen? Jetzt, nach all diesen Beschlüssen und Initiativen, nach all diesen Regelungen und Debatten, wird von der Offizialität, das heisst von der jeweiligen Mehrheit, offiziell die Forderung erhoben, in Ruhe gelassen zu werden. Sicherlich ein ebenso verständlicher wie unerfüllbarer Wunsch. Denn es ist ja nach wie vor völlig unklar, wer da wen und wo in Ruhe lassen soll. 

HANSMARTIN SCHMID, Dr. phil., schreibt nach 30 Jahren Print- und 20 Jahren Fernseh-Journalismus seit 1998 für das BT Klartexte, Kommentare und Berichte.

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