Die Bündner sind die Letzten: Am 23. September entscheiden sie über
die Streichung einer zweiten Fremdsprache in der Primarschule. In den anderen
Kantonen, in denen in den letzten Jahren derartige Initiativen vors Volk
gelangten, wurden diese verworfen, zuletzt am 10. Juni in Baselland: Die
Stimmbürger lehnten eine Initiative deutlich ab, die den Unterricht in der
zweiten Fremdsprache von der Primar- in die Sekundarschule verschieben wollte.
Zuvor hatte schon in Zug das Kantonsparlament gegen einen entsprechenden
Vorstoss von SVP- und FDP-Kantonsräten gestimmt, und vor Jahresfrist blieb das
Anliegen auch vor dem Luzerner Stimmvolk chancenlos.
Ein letztes Aufbäumen im Sprachenstreit, NZZ, 9.9. von Jörg Krummenacher
Nun also erfolgt in Graubünden das vorerst letzte Aufbäumen der
Initianten aus Lehrerschaft, Eltern- und Gewerbekreisen. Dass Graubünden die
rote Laterne im Sprachenstreit trägt, hat mit einer Zusatzschleife über das
Bundesgericht zu tun. Die Initiative «Nur eine Fremdsprache in der
Primarschule» war schon 2013 eingereicht, dann vom Grossen Rat aber für
ungültig erklärt worden – zu Unrecht, wie letztlich das Bundesgericht entschied. Die
Initiative stehe nicht, wie vom Parlament behauptet, im Widerspruch zu
übergeordnetem Recht: Auch bei Annahme der Initiative bleibe es möglich,
befanden die Lausanner Richter, bis nach Abschluss der obligatorischen
Schulzeit wie verlangt zwei Fremdsprachen zu lernen.
Bündner
Sprachengraben
Graubünden ist ein Spezialfall. In den meisten Deutschschweizer Kantonen
war das Frühfranzösisch Stein des Anstosses, in Graubünden ist es das
Frühitalienisch. Hier ist die Ausgangslage mit drei Muttersprachen, die gesprochen,
gelebt und unterrichtet werden, komplizierter: Deutsch, Rätoromanisch und
Italienisch. Auch hier gilt zwar das Prinzip, wonach die erste Fremdsprache ab
der dritten und die zweite ab der fünften Primarklasse gelehrt wird, wobei eine
Fremdsprache eine Landessprache sein muss. Unterschieden wird aber zwischen
Deutschbünden und den romanischsprachigen Gemeinden und den Südtälern: In
Deutschbünden ist die erste Fremdsprache Italienisch oder Romanisch, die zweite
Englisch, während im romanisch- und italienischsprachigen Raum zuerst Deutsch
und dann Englisch gelehrt wird.
Der Sprachengraben manifestiert sich denn auch bei dieser Initiative: Sie ist in
Deutschbünden lanciert worden und verlangt, dass dort zuerst Englisch und erst
ab der Oberstufe Italienisch unterrichtet werde. Niemand habe Lust, in der
Primarschule Italienisch zu lernen, sagen die Initianten. Für die romanisch-
und italienischsprachigen Regionen postulieren sie hingegen Deutsch auf Primar-
und Englisch auf Sekundarstufe. Kein Wunder, fühlen sich die beiden
Dachorganisationen Lia Rumantscha und Pro Grigioni Italiano brüskiert und
lehnen die Initiative strikte ab.
Geringes Interesse
Hohe Wellen schlägt die Abstimmung allerdings nicht. Dies zeigte sich
auch bei der Urabstimmung, die der Bündner Lehrerverband zur Fremdspracheninitiative
durchführte: Nur gut ein Fünftel aller Lehrkräfte nahm daran teil;
53 Prozent lehnten die Initiative ab. Deutlich war auch die Ablehnung im
Grossen Rat: 93 Parlamentsmitglieder sagten Nein, 17 Ja.
Die Chance auf ein Ja durch das Stimmvolk ist entsprechend gering, auch
wenn die Initianten die Wirksamkeit des doppelten Fremdsprachenunterrichts in
der Primarschule hartnäckig infrage stellen und darauf hinweisen, dass viele
Schüler überfordert seien. Hoffnung dürfen sie sich womöglich mit Blick auf
eine für 2019 angekündigte Evaluation auf nationaler Ebene machen, die erstmals
Aufschlüsse über den fremdsprachlichen Lernerfolg liefern soll.
Mehr Mitsprache
Der Disput über die Volksschule wird dem Bündner Stimmvolk auch nach dem
23. September erhalten bleiben. Noch sind nämlich gleich zwei Initiativen
hängig, die mehr Mitsprache von Parlament und Volk bei wichtigen Bildungsfragen
und bei den Lehrplänen fordern und sich im Prinzip gegen den Lehrplan 21
richten. Auch diesem Ansinnen haben im Lauf der letzten Jahre sämtliche Kantone
eine Abfuhr erteilt. Das dürfte schliesslich auch für Graubünden gelten, wo der
Lehrplan seit Beginn dieses Schuljahrs in Kraft ist. Der Grosse Rat hat die
beiden Initiativen Ende August klar abgelehnt. Die Lust, sich durch über
400-seitige Lehrpläne zu kämpfen, scheint nicht besonders gross.
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