Am
Montag beginnt in beiden Basel die Schule. Für die 6.-Klässler ist es ein
besonders wegweisendes Jahr. Es entscheidet sich, ob sie die künftigen drei
Jahre im Niveau P, E oder A absolvieren werden. Wer in den leistungsstärksten
Zug eingeteilt wird, der wird mit hoher Wahrscheinlichkeit das Gymnasium
besuchen und später an der Uni studieren. Wer es «nur» ins schwächste Niveau A
schafft, der wird sich nach drei Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit eine
Lehrstelle suchen müssen.
Soll in der Schule nur noch das Hirn zählen, Schweiz am Wochenende, 11.8. von Leif Simonsen
In kaum einem anderen Land werden die Weichen so früh
gestellt wie in der Schweiz, was auch von Bildungsexperten kritisiert wird.
Deshalb wird ein besonderes Augenmerk auf die Selektionskriterien gerichtet.
Welche Fächer entscheiden über die Zuteilung? In Basel-Stadt wird diese Frage
in der Schullaufbahnverordnung beantwortet. Seit der Umstellung auf Harmos
zählen alle Fächer. Deutsch, Mathe und Natur/Mensch/Gesellschaft dreifach,
Französisch und Englisch eineinhalbfach, Gestalten, Musik und Bewegung/Sport
einfach.
Nun arbeitet das Erziehungsdepartement an einer neuen
Schullaufbahnverordnung, wie die «Schweiz am Wochenende» weiss. Diese soll
bereits im nächsten Schuljahr in Kraft treten. Nach der Harmos-bedingten
Umstellung auf drei Sekundarschuljahre will das Erziehungsdepartement von
Conradin Cramer (LDP) über die Bücher. Im September und Oktober plant es eine
Konsultation bei Personalverbänden, allen voran der Schulkonferenz.
Diskussionen sind garantiert. Denn im Zentrum der Debatte wird stehen, welche
Rolle die sogenannt «nicht kognitiven» Fächer einnehmen sollen. Es geht dabei
um diese Frage: Was soll mein sportliches, handwerkliches oder musisches
Talent in der Schule für einen Stellenwert haben?
Integrative Kraft gewisser
Fächer
Konservative und progressive Kräfte spalten hier selbst die Lehrer. Gaby
Hintermann, Präsidentin der Basler Schulkonferenz, sagt: «Es steht eine ähnlich
interessante Debatte an wie bei der letzten Veränderung der
Schullaufbahnverordnung.» Besonders im Fokus steht die Gestaltung. Sie selber
unterrichtet am Theobald-Baerwart-Schulhaus Deutsch, ist in jüngster Zeit aber
gerade von Fachkolleginnen von der Bedeutung der gestaltenden Fächer überzeugt
worden. «Hier sind auch wichtige Fähigkeiten gefragt. Genauso wie in der Sprache
und in der Mathematik geht es darum, zu begreifen und zu interpretieren,
darüber hinaus aber auch um die Schulung des räumlich-praktischen
Vorstellungsvermögens, das dann beispielsweise eine Chirurgin später ebenso
braucht.» Dass SchülerInnen ihre bildnerischen Fähigkeiten in der Schule in
Fächern wie Handarbeit, Werken und Zeichnen weiterentwickeln können, trüge auch
einen wichtigen Teil zur Integration bei, denn viele hätten dazu zu Hause nicht
die Möglichkeiten.
Auch die Bildungspolitiker werden die Veränderungen intensiv
verfolgen. Joël Thüring, SVP-Grossrat und Mitglied der grossrätlichen
Bildungskommission, ist gegenüber einer Aufwertung der nicht kognitiven Fächer
skeptisch. Eigentlich nur weil die Motivation in diesen Fächern ganz verloren
gehen könnte, will er deren Promotionsrelevanz nicht ganz abschaffen. «Aber im
Vergleich zu Englisch und Französisch sollte es etwas weniger ins Gewicht
fallen, finde ich.» Sein Vorschlag im Sinn eines Kompromisses: Französisch und
Englisch stärker gewichten, Sport, Musik und Werken leicht schwächen. Im
Verlauf der vergangenen Jahrzehnte haben sich die Anforderungen an die
SchulabgängerInnen stark weiterentwickelt. Beat Zemp, Präsident des
Schweizerischen Lehrerdachverbands, erinnert sich an die Zeit, als er selber
zur Schule ging: «Ein Drittel der Schüler meines Jahrgangs startete direkt nach
der obligatorischen Schulzeit ins Erwerbsleben.» Heute wollen wir, dass 95
Prozent der SchülerInnen einen Abschluss auf der Sekundarstufe II, sei es eine
Matur oder eine Berufslehre, haben. Das Verdienst des Schulsystems sei, dass
auch nicht kognitive Fähigkeiten mit in die gesamtheitliche Bewertung
einfliessen würden. «Schon Pestalozzi sagte, dass Kopf, Herz und Hand
zusammengehören», sagt Zemp. Immerhin: Dank dem Lehrplan 21 sei man dieser
Vorstellung nähergekommen. Hier steht bekanntlich die Vermittlung von
Kompetenzen und nicht das reine Pauken von Wissen im Zentrum. Gemäss einigen
Experten ist man dabei nicht genügend weit gegangen. Der deutsche Philosoph
Richard David Precht sagte gerade diese Woche in einem Interview mit dem
«Blick»: Selbst an den Gymnasien würden Schülerinnen und Schüler zu
Sekretärinnen ausgebildet, mit Selbstbefähigung habe das nichts zu tun. Eine
umstrittene Haltung, wie der Bildungsexperte Rüttimann darlegt.
Fächer haben sich weiterentwickelt
Auch im Baselbiet wird – unabhängig
von der Schulstufe - seit Jahrzehnten darüber diskutiert, welche Fächer zählen
sollen und welche nicht. Hier ist beim Übertritt von der Primarschule in die
Sek nicht der Notenschnitt, sondern die Empfehlung des Lehrers oder der
Lehrerin ausschlaggebend. Mit der Anpassung in Basel-Stadt dürfte das Thema nun
auch im Landkanton neu befeuert werden. SP-Landrat Martin Rüegg sagt: «Ich bin
der Meinung, dass dies in beiden Kantonen gleich gehandhabt werden sollte.» Er
setzt sich seit langem für eine gesamtheitlichere Ausbildung ein – wenngleich
nicht auf Primarschulniveau. Bereits vor zwölf Jahren reichte Rüegg, der selber
Sport am Gymnasium unterrichtet, eine Motion ein, dank der im Landkanton der
Sportunterricht im Progymnasium promotionsrelevant wurde. Er hatte mehr
verlangt: Nämlich, dass der Sport auch am Gymnasium zählt. Vor zwei Jahren wies
er den Regierungsrat auf das «unschöne Jubiläum» hin: Noch immer sei Sport an
den Baselbieter Gymnasien kein Promotionsfach. Seine Argumente klingen ähnlich
wie diejenigen der Gestaltungs-, Hauswirtschafts- oder Musiklehrer, die ihr
Fach gestärkt haben wollen. «Die gesellschaftliche und schulische Bedeutung des
Fachs hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen.» Sport sei nicht mehr
einfach nur «schnell laufen» oder «einen grossen Bizeps haben». Vielmehr könne
die Bildungsrelevanz nachgewiesen werden. «Die Verknüpfung von praktischem
Handeln und theoretischem Wissen gelingt hier speziell gut.» Rüegg hat sich die
Stärkung des Sportunterrichts auf die Fahne geschrieben, unterstützt aber auch
die Bestrebungen, die anderen nicht kognitiven Fächer aufzuwerten. «Der Sport
ist genauso wenig nur Sackhüpfen wie Gestaltung nur Häkeln ist. Diese Fächer
haben einen enormen Wandel durchgemacht. Ich will eine Allgemeinbildung haben,
die diesen Namen verdient. Dazu gehören das Lesen und das Schreiben, aber eben
nicht nur.»
Selbst konservative Kreise wollen keine Geringschätzung gegenüber
den angesprochenen Fächern haben. Dass eine gewisse Skepsis selbst in
Lehrerkreisen spürbar ist, hat andere Gründe. So sagt beispielsweise Gaby
Hintermann: «Je mehr Fächer zählen, desto höher wird der Druck auf die Schüler,
weil überall rekursfähige Leistungserhebungen erbracht werden müssen. Diese
Belastung wird ebenfalls von vielen beklagt.» So werde es viel mehr um ein
Abwägen gehen, ob das Gewicht, das eine Note einem Fach gibt, den Preis
rechtfertigt.
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