Herr
Rüttimann*, in Basel steht eine Debatte darüber an, welche Fächer beim
Übertritt von der Primarschule in die Sek zählen sollten. Welche Meinung
vertreten Sie?
Dieter Rüttimann: Ich meine, dass es gar keine Noten geben
sollte. Es gibt keinen Beleg dafür, dass Noten die Motivation der Schüler steigern
würden. Zudem ist ja das schweizerische Notensystem in gewissem Masse pervers:
Drei von sechs Noten sind auf der Skala ungenügend, das ist einmalig.
Gehen wir
davon aus, dass die Noten nicht abgeschafft werden. Sind Sie unter diesen
Umständen dafür, dass Werken, Sport und Musik zählen sollten?
Ja, dann sollen
alle Fächer bewertet werden, das ist nur fair. Schüler denken auch ökonomisch.
Wenn gewisse Fächer gar nicht berücksichtigt werden, dann sinkt hier die
Einsatzbereitschaft.
Wie hat sich das Image der sogenannten nicht kognitiven
Fächer wie Werken, Sport und Musik entwickelt?
Auf der einen Seite hat die
Schweiz auf die internationalen Vergleiche reagiert, wo sie in den sogenannten
Naturwissenschaften eher durchschnittlich abgeschnitten hat. In vielen Kantonen
wurden deshalb Naturwissenschaftenund Technikfächer aufgewertet und Fächer wie
Gestaltung geschwächt. Gleichzeitig gibt es eine starke Bewegung junger
Menschen, die sich in Richtung Kunst orientieren. Das ist begrüssenswert. Es
ist bewiesen: Menschen, die expressiv sind, führen ein zufriedeneres Leben.
Welchen Stellenwert sollte die Musik in der Schule haben?
Es gibt eine
Untersuchung aus dem Kanton Solothurn, die zeigt, dass die mathematischen
Fähigkeiten zunehmen, wenn es mehr Musikunterricht und weniger Matheunterricht
gibt. Musik hat einen starken neuropsychologischen Effekt. Sie kann
beispielsweise hilfreich sein, die Demenz zu verlangsamen. Insofern bin ich der
Meinung, dass Musik einen hohen Stellenwert in der Schule haben sollte.
Und
Sport?
Interessant ist ja, dass dies das einzige Fach ist, bei dem der Bund
vorschreibt, wie viele Lektionen unterrichtet werden müssen. Dies im Hinblick
auf den Militärdienst. Aber auch unabhängig davon ist er wichtig.
Physiotherapeuten sagen, das Rumsitzen sei das Rauchen von früher und die
Schule animiert zum Rumsitzen. Deswegen ist Sport von grosser Bedeutung. Das
spricht abgesehen davon auch für Werken, wo man oft in Bewegung ist. Das Werken
hat einen weiteren positiven Effekt: Es hilft vielen Kindern, die in abstrakten
Fächern wie Mathe Probleme haben. Wenn sie beispielsweise etwas nach Mass bauen
und zuschneiden müssen, dann wird das Abstrakte in die Praxis übertragen.
Wo
hat das schweizerische Schulsystem Verbesserungspotenzial?
Prinzipiell steht
das Bildungssystem gut da, wie auch die Pisa-Studien zeigen. Aber wir haben in
gewissen Bereichen Luft gegen oben. So gibt die Schweiz in der Frühförderung
nur halb so viel aus wie beispielsweise Polen. Dabei weiss man, dass jeder hier
investierte Franken nachher das Fünffache abwirft. Ausserdem entscheidet bei
uns die sozioökonomische Herkunft über den Schulerfolg; ähnlich wie in
Deutschland oder Belgien schlägt der Background bei uns zu stark durch. Das ist
in einem demokratischen Land doch ziemlich stossend, dass Herkunft über
Leistung triumphiert. Ein weiteres Problem ist die frühe Selektion. Es zeigt
sich, dass die Schulsysteme dann erfolgreicher sind, wenn sie die Selektion
später durchführen, beispielsweise in der 8. Klasse. Im Alter von zwölf
verändern sich nicht nur die exekutiven Funktion, welche Planung, Steuerung und
Auswertung von Lernprozessen regeln, sondern auch der IQ verändert sich dann am
stärksten.
Der Philosoph Richard David Precht hat im «Blick» gesagt, das
schweizerische Bildungssystem sei für das 19. Jahrhundert gemacht. «Er ist für
einen Staat konzipiert, der sich überlegt, wie viele einfache Handwerker, wie
viele Angestellte für Schreibberufe und wie viele Akademiker gebraucht werden.»
Mit Selbstbefähigung habe unser System nichts zu tun.» Teilen Sie diese
Einschätzung?
Sie zeugt eher davon, dass er schon lange nicht mehr in einer
Schule gewesen ist. Die Durchlässigkeit in unserem Schulsystem hat sich massiv
verbessert in den vergangenen Jahren. Selbst wenn ich einen tiefen
Oberstufenabschluss mache, habe ich nachher fantastische Möglichkeiten. Dazu
muss man sagen, dass Strukturreformen in der Bildung erfahrungsgemäss fast
wirkungslos sind. Für den Lernerfolg eines Kindes ist die Beziehung zum Lehrer
eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung. Daneben würde es sich
lohnen in die Qualität der Aufgaben, die den Schülerinnen und Schülern gestellt
wird, zu investieren. In der Schule der Zukunft würde es viel mehr um
Lernprozesse als um Strukturveränderungen gehen.
Dieter Rüttimann (63) ist Schulleiter und
Mitgründer der Gesamtschule Unterstrass in Zürich. Er ist zudem als Dozent in
der Grund- und Weiterbildung am Institut Unterstrass an der PHZH tätig und
Autor mehrerer Schriften über Kommunikation in der Schule und
Unterrichtsentwicklung.
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