Im
Kanton Schwyz wurde das erste Schuljahr mit dem Lehrplan 21 soeben
abgeschlossen. Nach der Einführung auf der Primarschulstufe folgt nach den
Sommerferien die Oberstufe. Konrad Schuler, Präsident des Schwyzer
Lehrerverbands zum Lehrplan 21.
"Kann Lehrerschaft Kompliment aussprechen", Einsiedler Anzeiger, 24.7. von Urs Gusset
Was
löst das Stichwort «Lehrplan 21» bei Ihnen aus?
Die
Stimmbürgerinnen und Stimmbürger der Schweiz haben im Jahre 2006 mit grosser
Mehrheit den Artikel 62 Absatz 4 der Bundesverfassung angenommen. Dieser
verpfichtet die Kantone, die Ziele der Bildungsstufen zu harmonisieren. Um
diesen Auftrag zu erfüllen, müssen alle Kantone ihre Lehrpläne überarbeiten.
Die 21 deutsch- und mehrsprachigen Kantone haben sich dafür entschieden, dies
gemeinsam zu tun und das Projekt Lehrplan 21 lanciert. Der Regierungsrat des
Kantons Schwyz hat schon im Jahre 2005 der Projektbeteiligung zugestimmt. Die
Einführung des Lehrplans 21 ist bezüglich der Anzahl involvierter Personen das
grösste Projekt der Volksschule unseres Landes in den letzten Jahrzehnten.
Wie
weit reichen Ihre Erinnerungen an den Lehrplan 21 zurück?
Seit
dem Sommer 2008 bin ich Präsident des LSZ. An einer ersten Vernehmlassung zum
Lehrplan 21 habe ich vom Januar 2009 bis April 2009 mitgewirkt. Seit dieser
Zeit habe ich mich mit dem Thema Lehrplan 21 stets mehr oder weniger intensiv
beschäftigt. In der Arbeits- und später Projektgruppe Lehrplan 21 habe ich mich
seit der ersten Sitzung vom März 2012 im Namen und Auftrag der Lehrerinnen und
Lehrer des Kantons Schwyz intensiv eingebracht und einiges bewirken können. So
haben der LSZ und der Verband der Schulleiterinnen und Schulleiter Schwyz
gemeinsam erreicht, dass im Fach Medien und Informatik in der fünften und
sechsten Klasse bis zum Schuljahr 2020/2021 keine Noten erteilt werden müssen.
Wie
gross war anfänglich Ihre Skepsis gegenüber dem Lehrplan 21?
Der
Lehrplan 21 vereinheitlicht die Unterrichtsziele der Volksschule und bildet für
die Lehrpersonen, Schulleitungen, Bildungsbehörden, pädagogischen Hochschulen
und Lehrmittelschaffenden die massgebende Grundlage in Schulfragen. Meine
Skepsis war zu Beginn recht gross. Ich habe mir öfters Fragen im Zusammenhang
mit dem kompetenzorientierten Unterrichten, der Beurteilung von Schülerinnen
und Schülern, den Auswirkungen auf den Schulalltag, den Lehrmitteln und vielem
mehr gestellt. Für die Lehrpersonen und ihren Unterrichtsalltag habe ich aber die
auf dem Lehrplan 21 basierenden Lehrmittel als eher wichtiger erachtet.
Und
heute?
Ich
stehe schon seit mehreren Jahren grundsätzlich hinter dem Lehrplan 21, begleite
aber die Einführung weiterhin wachsam und kritisch. Der Lehrplan gibt immer
wieder in Teilbereichen Anlass zu Fragen und Diskussionen. Aus meiner Sicht ist
es zwingend nötig, auch in den nächsten vier bis fünf Jahren die Entwicklungen
und Auswirkungen genau im Auge zu behalten. Konstruktives und gleichzeitig
kritisches Mitwirken ist gefragt.
Wie
muss man sich Ihren Gesinnungswandel erklären?
Ich
würde nicht von Gesinnungswandel sprechen, sondern von Einsichten. Je mehr ich
mich mit den Zielen und Absichten des Lehrplans 21 auseinandergesetzt habe,
desto mehr sind Zweifel und Unsicherheiten verschwunden.
Was
sagen Sie zur viel gehörten Meinung, wonach das Misstrauen gegenüber dem
kompetenzorientierten Lehrplan eher den politischen Reihen als der Lehrerschaft
entstammt?
Misstrauen
gegenüber solch doch beträchtlichen Veränderungen im Bildungsalltag ist aus
meiner Sicht wichtig und durchaus angebracht. Konstruktive Kritik kann helfen,
zu besseren Lösungen zu kommen. Bildung geht uns alle an. Bildung ist der
wertvollste und einzige Rohstoff unseres Landes. Dass politische Kreise
versuchen, ihren Einfuss geltend zu machen, ist ebenso legitim. Ich habe aber
grundsätzlich das Misstrauen aus den politischen Reihen im Kanton Schwyz als
auch von der Lehrerschaft in einem doch überschaubaren Rahmen empfunden. Die
Lehrerschaft insgesamt hat sich in grossem Masse den Herausforderungen mit
hoher und anerkennenswerter Professionalität gestellt.
Der
Widerstand gegen den Lehrplan 21 ist vor allem auch von rechter Seite gekommen.
Wie nehmen Sie die Stimmung heute wahr?
Die
Stimmung hat sich auf allen Ebenen merklich beruhigt. In vielen Bereichen sind
gangbare Wege gefunden worden. Es gilt aber nach wie vor, die Einführung
kritisch zu begleiten.
Wie
konnten die vorhandenen Unsicherheiten im Kanton Schwyz entschärft werden?
Politisch ist die Initiative «Ja zu einer guten Volksschule – Nein zum Lehrplan
21» vom Kantonsrat im November 2015 als ungültig erklärt worden. Die
rechtlichen Schritte seitens des Initiativkomitees beim Bundesgericht waren
erfolglos. Mit viel Aufklärungsarbeit auf den verschiedensten Ebenen konnten
die Wogen etwas geglättet werden. Innerhalb der Lehrerschaft habe ich jede
Gelegenheit wahrgenommen, die Anliegen des Lehrplans 21 zu erläutern. Ich war
immer bereit, jede Kritik entgegenzunehmen, sie zu hinterfragen und zu bewerten
und bei Bedarf für die Anliegen der Lehrerschaft vor allem in der Projektgruppe
für gute Lösungen zu kämpfen. Dies hat die Lehrerschaft Schritt für Schritt zur
Kenntnis genommen. Nicht immer konnten alle Gemüter befriedigt werden. Aber es
ist doch nach und nach gelungen, für das eine oder andere Verständnis zu
erheischen.
Wie
lautet Ihr Fazit zur Einführung des Lehrplans 21 auf der Primarstufe im eben zu
Ende gegangenen Schuljahr 2017/2018 im Kanton Schwyz?
Die
einzelnen Lehrpersonen, die Schulhausteams, die Schulortteams, die
Schulleitungen, die pädagogische Hochschule und alle involvierten Personen
haben eine enorme Leistungsbereitschaft an den Tag gelegt. Ich kann der
Lehrerschaft, und für diese spreche ich ja insbesondere als Präsident des LSZ,
ein grosses und dickes Kompliment für ihre Tatkraft aussprechen. Überall sind
die Herausforderungen angepackt und vielerorts bereits in gute Bahnen gelenkt
worden.
Ein
Beispiel?
Für die
freiwilligen Online-Kurse im Bereich Medien und Informatik hat die pädagogische
Hochschule in Goldau mit etwa 50 Lehrpersonen gerechnet. Diese freiwilligen
Kurse sind von 900 Lehrpersonen der Kindergarten- und Primarschulstufe
absolviert worden. Chapeau meinerseits!
Inwieweit
decken sich Ihre Aussagen mit den Rückmeldungen, die Sie erhalten haben?
An den
meisten Schulorten hat es ordentlich bis gut geklappt. Vereinzelt sind aber
ganze Schulteams an ihre Grenzen und Kapazitäten gestossen. Ob dies aufgrund
der Einführung des Lehrplans 21 geschehen ist oder mitunter auch weitere
Faktoren zu diesen unerfreulichen Situationen geführt haben, wäre im Einzelfall
genauer zu untersuchen und zu beurteilen. Als Präsident des LSZ habe ich bei
Anfragen versucht, aus meiner Perspektive und Erfahrung heraus diverse Tipps
zum weiteren Vorgehen und zur weiteren Zusammenarbeit zu geben.
Erhalten
Sie aus der Lehrerschaft viele Rückmeldungen zum Lehrplan 21?
Ja, es
kommt bei mir erstaunlich viel zusammen. Das freut mich einerseits, fordert
mich aber auch ziemlich stark heraus. Ich gebe aber gerne mein Bestes und
versuche immer, Lösungen aufzuzeigen. Viele der angesprochenen Themen leite ich
an die entsprechenden Adressaten wie pädagogische Hochschule oder Amt für
Volksschulen weiter. Häufig bringe ich die gehörten Anliegen in die
Projektgruppe Lehrplan 21 ein. Dank der Tatsache, dass ich nicht mehr in einer
festen Anstellung bin, kann ich auch praktisch täglich die Zeit aufbringen, um
den Lehrpersonen oder Schulteams zu helfen. Mir gefällt diese eigentliche
Beratungsfunktion, die mir in der Zwischenzeit ein Stück weit zugespielt worden
ist.
Sie
arbeiten auch mit Markus Zollinger, dem Rektor der Schulen Einsiedeln, in
seiner Funktion als Präsident des Verbands der Schulleiterinnen und Schulleiter
des Kantons Schwyz zusammen. Welche Rückmeldungen haben Sie von ihm zur
Einführung des Lehrplans 21 in Einsiedeln erhalten?
Markus
Zollinger arbeitet in seiner Funktion wie ich in meiner Funktion seit Beginn
aktiv und kritisch mit in der Projektgruppe Lehrplan 21. Wir tauschen uns nach
Bedürfnis und Notwendigkeit informell und formell aus. Da ich an den Schulen
Einsiedeln teilweise Weiterbildungsveranstaltungen besucht und eine
Stellvertretung an den Schulen des Bezirks Einsiedeln ausüben durfte, konnte
ich einen kleinen Einblick gewinnen. Konkret haben wir uns nicht ausgetauscht.
Wie
erklären Sie sich die mehr oder weniger reibungslose Einführung des Lehrplans
21 im Kanton Schwyz?
Ein
entscheidender Schritt war, dass im Kanton Schwyz alle wesentlichen
Hauptakteure seit dem Jahre 2012 einbezogen worden sind, indem diese mit einer
Vertretung in der Projektgruppe eingebunden worden sind.
Vieles
ist bei der Einführung des Lehrplans 21 anscheinend gut verlaufen. Wo sehen Sie
noch Handlungs- und Klärungsbedarf?
Unzufrieden
ist ein Teil der Lehrpersonen nach wie vor wegen der Beurteilungspraxis bei den
Fremdsprachen. Mit nur zwei Lektionen pro Woche müssen aussagekräftige Noten in
fünf Teilbereichen gemacht werden. Generell gilt es künftig, die Stundentafeln
im Auge zu behalten. Absehbar ist beispielsweise, dass mit der jetzigen
Lektionentafel das Fach Medien und Informatik nur unbefriedigend dotiert ist.
In einigen Fächern sind noch keine befriedigenden Lehrmittel vorhanden.
Insbesondere
im Fach Natur Mensch Gesellschaft fehlt ein geeignetes Lehrmittel.
Wie die
Noten vergeben werden, ist Sache der Kantone. Macht das Sinn?
Ich
würde es sehr schätzen, wenn insbesondere die sechs Zentralschweizer Kantone im
Bereich Beurteilung näher zusammenrücken würden.
Wie
wichtig erachten Sie den Umstand, dass der Lehrplan 21 im Kanton Schwyz
gestaffelt eingeführt wird?
Das ist
wichtig und richtig. Die pädagogische Hochschule wäre gar nicht in der Lage
gewesen, alle Lehrpersonen gleichzeitig weiterzubilden.
Wie
gross empfinden Sie den Zeitdruck bei der Einführung des Lehrplans 21 im Kanton
Schwyz bei der Lehrerschaft und den Schülerinnen und Schülern?
Ich
habe immer wieder gefordert, dass den Lehrpersonen und Schulen fünf Jahre Zeit
für die Einführung gegeben wird. Ich erachte es nach wie vor als richtig, den
Akteuren an der Basis diese Zeit für eine seriöse Einführung zu geben.
Die
fünf Jahre sind vom Erziehungsrat abgesegnet worden.
Dieser
Entscheid ist richtig. Ich danke dem Erziehungsrat für die Einsicht, dass diese
Zeitspanne vernünftig ist.
Wie
erklären Sie sich die hohen Ansprüche, welche die Lehrpersonen und Schüler
haben?
Lehrpersonen
wollen im Grossen und Ganzen ihre verantwortungsvolle Arbeit so gut wie möglich
ausführen und setzen sich gelegentlich selber zu stark unter Druck. Es gibt
Schülerinnen und Schüler, die dasselbe tun, daneben gibt es aber auch andere
Kinder, die die Lehrpersonen in ganz anderer Art stark herausfordern.
Die
Einführung des Lehrplans 21, beginnend mit dem Schuljahr 17/18, ist auf fünf
Jahre angelegt. Erachten Sie das als ausreichend?
Gewisse
Entwicklungen werden wohl schon innerhalb dieser fünf Jahre hinterfragt werden
müssen, insgesamt setze ich mich aber dafür ein, Lehrpersonen und
Schulleitungen nicht noch stärker unter Druck zu setzen und sie an der Basis
einfach mal in Ruhe arbeiten zu lassen. Nach fünf Jahren sollen Evaluationen
zeigen, wo Anpassungsbedarf besteht.
Wo
sehen Sie die grössten Herausforderungen des Lehrplans 21 in den nächsten
Jahren?
Nun
beginnen die Arbeiten auf der Stufe Sek 1. Die Einführung wird auch dort viel
Einsatz und Arbeit von den Beteiligten erfordern. Die grösste Herausforderung
ist, Änderungsbedarf auf den Tisch zu bringen und dann bessere Lösungen
anzubieten.
Rechnen
Sie damit, dass die Einführung des Lehrplans 21 auf der Oberstufe auch so
problemlos verläuft wie auf der Primarschulstufe?
Ich
gehe davon aus, denn die Lehrpersonen haben sich gut vorbereitet.
Auf der
Oberstufe dürfte der Druck auf die Lehrerschaft noch grösser sein. Wie
versuchen Sie, dem entgegenzuwirken?
Indem
ich auch ihnen in aller Deutlichkeit sage, dass sie fünf Jahre für die
Umsetzung Zeit haben und nicht alles schon im ersten Jahr erledigt sein muss. Druck
wegnehmen, ist ein zentrales Anliegen.
Ab dem
1. August sind Sie neu auch noch Präsident der Innerschweizer
Lehrerorganisationen (ILCH). Deshalb die Frage: Wie beurteilen Sie die
Einführung des Lehrplans 21 in der Zentralschweiz?
Insgesamt
sind die Arbeiten in allen Kantonen gut angelaufen. Gewisse
Anlaufschwierigkeiten hat es überall gegeben. Teilweise sind es in mehreren
Kantonen dieselben. Der Kanton Zug beginnt erst im Schuljahr 2019/2020 mit der
Einführung.
Im
Gegensatz zum Kanton Schwyz und andern Kantonen wird der Lehrplan 21 etwa im
Kanton Nidwalden nicht gestaffelt eingeführt. Dort ist er auf allen Stufen auf
den 1. August 2017 eingeführt worden.
Das hat
wohl mit der Grösse, respektive der Kleine des Kantons Nidwalden zu tun.
Offensichtlich war das dort möglich. Bei uns wäre das nicht möglich gewesen.
Sonst
noch etwas Spezielles zum Lehrplan 21 aus Ihrer Sicht.
Gerne
hoffe ich, dass die nun aufgebaute, gut funktionierende Zusammenarbeit zwischen
den verschiedenen Akteuren im Bildungswesen im Kanton Schwyz auch bei kleineren
Projekten weitergeführt wird. Es hat sich in aller Deutlichkeit gezeigt, dass
mit dem frühzeitigen Einbezug aller massgebenden Kräfte wie Amt für
Volksschulen, pädagogische Hochschule, Verein Lehrerinnen und Lehrer Schwyz, Verband
Schulleiterinnen und Schulleiter Schwyz sowie Verband der Gemeinden und Bezirke
gute tragfähige und breit abgestützte Lösungen möglich sind. Ich erwarte vom
Bildungsdepartement, dass dieser Ansatz künftig noch vermehrt zunutze gemacht
wird.
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