5. August 2018

Problemlose Einführung des Lehrplans 21 in Schwyz

Im Kanton Schwyz wurde das erste Schuljahr mit dem Lehrplan 21 soeben abgeschlossen. Nach der Einführung auf der Primarschulstufe folgt nach den Sommerferien die Oberstufe. Konrad Schuler, Präsident des Schwyzer Lehrerverbands zum Lehrplan 21.
"Kann Lehrerschaft Kompliment aussprechen", Einsiedler Anzeiger, 24.7. von Urs Gusset



Was löst das Stichwort «Lehrplan 21» bei Ihnen aus?
Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger der Schweiz haben im Jahre 2006 mit grosser Mehrheit den Artikel 62 Absatz 4 der Bundesverfassung angenommen. Dieser verpfichtet die Kantone, die Ziele der Bildungsstufen zu harmonisieren. Um diesen Auftrag zu erfüllen, müssen alle Kantone ihre Lehrpläne überarbeiten. Die 21 deutsch- und mehrsprachigen Kantone haben sich dafür entschieden, dies gemeinsam zu tun und das Projekt Lehrplan 21 lanciert. Der Regierungsrat des Kantons Schwyz hat schon im Jahre 2005 der Projektbeteiligung zugestimmt. Die Einführung des Lehrplans 21 ist bezüglich der Anzahl involvierter Personen das grösste Projekt der Volksschule unseres Landes in den letzten Jahrzehnten.

Wie weit reichen Ihre Erinnerungen an den Lehrplan 21 zurück?
Seit dem Sommer 2008 bin ich Präsident des LSZ. An einer ersten Vernehmlassung zum Lehrplan 21 habe ich vom Januar 2009 bis April 2009 mitgewirkt. Seit dieser Zeit habe ich mich mit dem Thema Lehrplan 21 stets mehr oder weniger intensiv beschäftigt. In der Arbeits- und später Projektgruppe Lehrplan 21 habe ich mich seit der ersten Sitzung vom März 2012 im Namen und Auftrag der Lehrerinnen und Lehrer des Kantons Schwyz intensiv eingebracht und einiges bewirken können. So haben der LSZ und der Verband der Schulleiterinnen und Schulleiter Schwyz gemeinsam erreicht, dass im Fach Medien und Informatik in der fünften und sechsten Klasse bis zum Schuljahr 2020/2021 keine Noten erteilt werden müssen.

Wie gross war anfänglich Ihre Skepsis gegenüber dem Lehrplan 21?
Der Lehrplan 21 vereinheitlicht die Unterrichtsziele der Volksschule und bildet für die Lehrpersonen, Schulleitungen, Bildungsbehörden, pädagogischen Hochschulen und Lehrmittelschaffenden die massgebende Grundlage in Schulfragen. Meine Skepsis war zu Beginn recht gross. Ich habe mir öfters Fragen im Zusammenhang mit dem kompetenzorientierten Unterrichten, der Beurteilung von Schülerinnen und Schülern, den Auswirkungen auf den Schulalltag, den Lehrmitteln und vielem mehr gestellt. Für die Lehrpersonen und ihren Unterrichtsalltag habe ich aber die auf dem Lehrplan 21 basierenden Lehrmittel als eher wichtiger erachtet.

Und heute?
Ich stehe schon seit mehreren Jahren grundsätzlich hinter dem Lehrplan 21, begleite aber die Einführung weiterhin wachsam und kritisch. Der Lehrplan gibt immer wieder in Teilbereichen Anlass zu Fragen und Diskussionen. Aus meiner Sicht ist es zwingend nötig, auch in den nächsten vier bis fünf Jahren die Entwicklungen und Auswirkungen genau im Auge zu behalten. Konstruktives und gleichzeitig kritisches Mitwirken ist gefragt.

Wie muss man sich Ihren Gesinnungswandel erklären?
Ich würde nicht von Gesinnungswandel sprechen, sondern von Einsichten. Je mehr ich mich mit den Zielen und Absichten des Lehrplans 21 auseinandergesetzt habe, desto mehr sind Zweifel und Unsicherheiten verschwunden.

Was sagen Sie zur viel gehörten Meinung, wonach das Misstrauen gegenüber dem kompetenzorientierten Lehrplan eher den politischen Reihen als der Lehrerschaft entstammt?
Misstrauen gegenüber solch doch beträchtlichen Veränderungen im Bildungsalltag ist aus meiner Sicht wichtig und durchaus angebracht. Konstruktive Kritik kann helfen, zu besseren Lösungen zu kommen. Bildung geht uns alle an. Bildung ist der wertvollste und einzige Rohstoff unseres Landes. Dass politische Kreise versuchen, ihren Einfuss geltend zu machen, ist ebenso legitim. Ich habe aber grundsätzlich das Misstrauen aus den politischen Reihen im Kanton Schwyz als auch von der Lehrerschaft in einem doch überschaubaren Rahmen empfunden. Die Lehrerschaft insgesamt hat sich in grossem Masse den Herausforderungen mit hoher und anerkennenswerter Professionalität gestellt.

Der Widerstand gegen den Lehrplan 21 ist vor allem auch von rechter Seite gekommen. Wie nehmen Sie die Stimmung heute wahr?
Die Stimmung hat sich auf allen Ebenen merklich beruhigt. In vielen Bereichen sind gangbare Wege gefunden worden. Es gilt aber nach wie vor, die Einführung kritisch zu begleiten.

Wie konnten die vorhandenen Unsicherheiten im Kanton Schwyz entschärft werden? Politisch ist die Initiative «Ja zu einer guten Volksschule – Nein zum Lehrplan 21» vom Kantonsrat im November 2015 als ungültig erklärt worden. Die rechtlichen Schritte seitens des Initiativkomitees beim Bundesgericht waren erfolglos. Mit viel Aufklärungsarbeit auf den verschiedensten Ebenen konnten die Wogen etwas geglättet werden. Innerhalb der Lehrerschaft habe ich jede Gelegenheit wahrgenommen, die Anliegen des Lehrplans 21 zu erläutern. Ich war immer bereit, jede Kritik entgegenzunehmen, sie zu hinterfragen und zu bewerten und bei Bedarf für die Anliegen der Lehrerschaft vor allem in der Projektgruppe für gute Lösungen zu kämpfen. Dies hat die Lehrerschaft Schritt für Schritt zur Kenntnis genommen. Nicht immer konnten alle Gemüter befriedigt werden. Aber es ist doch nach und nach gelungen, für das eine oder andere Verständnis zu erheischen.

Wie lautet Ihr Fazit zur Einführung des Lehrplans 21 auf der Primarstufe im eben zu Ende gegangenen Schuljahr 2017/2018 im Kanton Schwyz?
Die einzelnen Lehrpersonen, die Schulhausteams, die Schulortteams, die Schulleitungen, die pädagogische Hochschule und alle involvierten Personen haben eine enorme Leistungsbereitschaft an den Tag gelegt. Ich kann der Lehrerschaft, und für diese spreche ich ja insbesondere als Präsident des LSZ, ein grosses und dickes Kompliment für ihre Tatkraft aussprechen. Überall sind die Herausforderungen angepackt und vielerorts bereits in gute Bahnen gelenkt worden.

Ein Beispiel?
Für die freiwilligen Online-Kurse im Bereich Medien und Informatik hat die pädagogische Hochschule in Goldau mit etwa 50 Lehrpersonen gerechnet. Diese freiwilligen Kurse sind von 900 Lehrpersonen der Kindergarten- und Primarschulstufe absolviert worden. Chapeau meinerseits!

Inwieweit decken sich Ihre Aussagen mit den Rückmeldungen, die Sie erhalten haben?
An den meisten Schulorten hat es ordentlich bis gut geklappt. Vereinzelt sind aber ganze Schulteams an ihre Grenzen und Kapazitäten gestossen. Ob dies aufgrund der Einführung des Lehrplans 21 geschehen ist oder mitunter auch weitere Faktoren zu diesen unerfreulichen Situationen geführt haben, wäre im Einzelfall genauer zu untersuchen und zu beurteilen. Als Präsident des LSZ habe ich bei Anfragen versucht, aus meiner Perspektive und Erfahrung heraus diverse Tipps zum weiteren Vorgehen und zur weiteren Zusammenarbeit zu geben.

Erhalten Sie aus der Lehrerschaft viele Rückmeldungen zum Lehrplan 21?
Ja, es kommt bei mir erstaunlich viel zusammen. Das freut mich einerseits, fordert mich aber auch ziemlich stark heraus. Ich gebe aber gerne mein Bestes und versuche immer, Lösungen aufzuzeigen. Viele der angesprochenen Themen leite ich an die entsprechenden Adressaten wie pädagogische Hochschule oder Amt für Volksschulen weiter. Häufig bringe ich die gehörten Anliegen in die Projektgruppe Lehrplan 21 ein. Dank der Tatsache, dass ich nicht mehr in einer festen Anstellung bin, kann ich auch praktisch täglich die Zeit aufbringen, um den Lehrpersonen oder Schulteams zu helfen. Mir gefällt diese eigentliche Beratungsfunktion, die mir in der Zwischenzeit ein Stück weit zugespielt worden ist.

Sie arbeiten auch mit Markus Zollinger, dem Rektor der Schulen Einsiedeln, in seiner Funktion als Präsident des Verbands der Schulleiterinnen und Schulleiter des Kantons Schwyz zusammen. Welche Rückmeldungen haben Sie von ihm zur Einführung des Lehrplans 21 in Einsiedeln erhalten?
Markus Zollinger arbeitet in seiner Funktion wie ich in meiner Funktion seit Beginn aktiv und kritisch mit in der Projektgruppe Lehrplan 21. Wir tauschen uns nach Bedürfnis und Notwendigkeit informell und formell aus. Da ich an den Schulen Einsiedeln teilweise Weiterbildungsveranstaltungen besucht und eine Stellvertretung an den Schulen des Bezirks Einsiedeln ausüben durfte, konnte ich einen kleinen Einblick gewinnen. Konkret haben wir uns nicht ausgetauscht.

Wie erklären Sie sich die mehr oder weniger reibungslose Einführung des Lehrplans 21 im Kanton Schwyz?
Ein entscheidender Schritt war, dass im Kanton Schwyz alle wesentlichen Hauptakteure seit dem Jahre 2012 einbezogen worden sind, indem diese mit einer Vertretung in der Projektgruppe eingebunden worden sind.

Vieles ist bei der Einführung des Lehrplans 21 anscheinend gut verlaufen. Wo sehen Sie noch Handlungs- und Klärungsbedarf?
Unzufrieden ist ein Teil der Lehrpersonen nach wie vor wegen der Beurteilungspraxis bei den Fremdsprachen. Mit nur zwei Lektionen pro Woche müssen aussagekräftige Noten in fünf Teilbereichen gemacht werden. Generell gilt es künftig, die Stundentafeln im Auge zu behalten. Absehbar ist beispielsweise, dass mit der jetzigen Lektionentafel das Fach Medien und Informatik nur unbefriedigend dotiert ist. In einigen Fächern sind noch keine befriedigenden Lehrmittel vorhanden.
Insbesondere im Fach Natur Mensch Gesellschaft fehlt ein geeignetes Lehrmittel.

Wie die Noten vergeben werden, ist Sache der Kantone. Macht das Sinn?
Ich würde es sehr schätzen, wenn insbesondere die sechs Zentralschweizer Kantone im Bereich Beurteilung näher zusammenrücken würden.

Wie wichtig erachten Sie den Umstand, dass der Lehrplan 21 im Kanton Schwyz gestaffelt eingeführt wird?
Das ist wichtig und richtig. Die pädagogische Hochschule wäre gar nicht in der Lage gewesen, alle Lehrpersonen gleichzeitig weiterzubilden.

Wie gross empfinden Sie den Zeitdruck bei der Einführung des Lehrplans 21 im Kanton Schwyz bei der Lehrerschaft und den Schülerinnen und Schülern?
Ich habe immer wieder gefordert, dass den Lehrpersonen und Schulen fünf Jahre Zeit für die Einführung gegeben wird. Ich erachte es nach wie vor als richtig, den Akteuren an der Basis diese Zeit für eine seriöse Einführung zu geben.

Die fünf Jahre sind vom Erziehungsrat abgesegnet worden.
Dieser Entscheid ist richtig. Ich danke dem Erziehungsrat für die Einsicht, dass diese Zeitspanne vernünftig ist.

Wie erklären Sie sich die hohen Ansprüche, welche die Lehrpersonen und Schüler haben?
Lehrpersonen wollen im Grossen und Ganzen ihre verantwortungsvolle Arbeit so gut wie möglich ausführen und setzen sich gelegentlich selber zu stark unter Druck. Es gibt Schülerinnen und Schüler, die dasselbe tun, daneben gibt es aber auch andere Kinder, die die Lehrpersonen in ganz anderer Art stark herausfordern.

Die Einführung des Lehrplans 21, beginnend mit dem Schuljahr 17/18, ist auf fünf Jahre angelegt. Erachten Sie das als ausreichend?
Gewisse Entwicklungen werden wohl schon innerhalb dieser fünf Jahre hinterfragt werden müssen, insgesamt setze ich mich aber dafür ein, Lehrpersonen und Schulleitungen nicht noch stärker unter Druck zu setzen und sie an der Basis einfach mal in Ruhe arbeiten zu lassen. Nach fünf Jahren sollen Evaluationen zeigen, wo Anpassungsbedarf besteht.

Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen des Lehrplans 21 in den nächsten Jahren?
Nun beginnen die Arbeiten auf der Stufe Sek 1. Die Einführung wird auch dort viel Einsatz und Arbeit von den Beteiligten erfordern. Die grösste Herausforderung ist, Änderungsbedarf auf den Tisch zu bringen und dann bessere Lösungen anzubieten.

Rechnen Sie damit, dass die Einführung des Lehrplans 21 auf der Oberstufe auch so problemlos verläuft wie auf der Primarschulstufe?
Ich gehe davon aus, denn die Lehrpersonen haben sich gut vorbereitet.

Auf der Oberstufe dürfte der Druck auf die Lehrerschaft noch grösser sein. Wie versuchen Sie, dem entgegenzuwirken?
Indem ich auch ihnen in aller Deutlichkeit sage, dass sie fünf Jahre für die Umsetzung Zeit haben und nicht alles schon im ersten Jahr erledigt sein muss. Druck wegnehmen, ist ein zentrales Anliegen.

Ab dem 1. August sind Sie neu auch noch Präsident der Innerschweizer Lehrerorganisationen (ILCH). Deshalb die Frage: Wie beurteilen Sie die Einführung des Lehrplans 21 in der Zentralschweiz?
Insgesamt sind die Arbeiten in allen Kantonen gut angelaufen. Gewisse Anlaufschwierigkeiten hat es überall gegeben. Teilweise sind es in mehreren Kantonen dieselben. Der Kanton Zug beginnt erst im Schuljahr 2019/2020 mit der Einführung.

Im Gegensatz zum Kanton Schwyz und andern Kantonen wird der Lehrplan 21 etwa im Kanton Nidwalden nicht gestaffelt eingeführt. Dort ist er auf allen Stufen auf den 1. August 2017 eingeführt worden.
Das hat wohl mit der Grösse, respektive der Kleine des Kantons Nidwalden zu tun. Offensichtlich war das dort möglich. Bei uns wäre das nicht möglich gewesen.

Sonst noch etwas Spezielles zum Lehrplan 21 aus Ihrer Sicht.

Gerne hoffe ich, dass die nun aufgebaute, gut funktionierende Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren im Bildungswesen im Kanton Schwyz auch bei kleineren Projekten weitergeführt wird. Es hat sich in aller Deutlichkeit gezeigt, dass mit dem frühzeitigen Einbezug aller massgebenden Kräfte wie Amt für Volksschulen, pädagogische Hochschule, Verein Lehrerinnen und Lehrer Schwyz, Verband Schulleiterinnen und Schulleiter Schwyz sowie Verband der Gemeinden und Bezirke gute tragfähige und breit abgestützte Lösungen möglich sind. Ich erwarte vom Bildungsdepartement, dass dieser Ansatz künftig noch vermehrt zunutze gemacht wird. 

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