5. August 2018

Mehr Geld für die Volksschule

BLICK: Herr Zemp, viele Eltern sind erstaunt, dass die Kinder heute beinahe das Gleiche lernen wie zu ihren Schulzeiten. Dabei sind unsere Welt und die Anforderungen im späteren Berufsleben in vielen Bereichen komplett anders.
Beat Zemp: Man muss nicht alles über Bord werfen, was die Eltern vor 30 oder 40 Jahre in der Schule gelernt haben. Das meiste Grundwissen ist auch heute noch gültig. Dazu kommen aber neue Wissensbereiche, Kompetenzen und Anforderungen. Die haben wir nun im neuen Lehrplan 21 angepasst. Viele heutige Erstklässler werden am Ende ihrer Schulzeit in Berufen arbeiten, die es jetzt noch gar nicht gibt.
"Jeder Franken zahlt sich mehrfach aus", Blick, 3.8. von Romina Brunner


Welche Fächer sind in Zukunft wichtig?
Der klassische Dreiklang – Lesen, Schreiben, Rechnen – wird auch in den nächsten Jahren zur Volksschule gehören. Dazu kommen die musischen, gestalterischen und sportlichen Fächer, die für eine ganzheitliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen genauso wichtig sind. Unbestritten ist auch die wichtige Rolle von Naturwissenschaften und Technik. Im Lehrplan 21 gibt es zudem den Fachbereich Räume, Zeiten, Gesellschaften, aber auch neue Bereiche wie Medien und Informatik oder Wirtschaft, Arbeit, Haushalt. Hier lernen Schülerinnen und Schüler beispielsweise den richtigen Umgang mit dem Internet und mit Geld, damit sie nicht in eine Verschuldungsspirale geraten.

Wozu brauchen wir im Gymnasium Latein?
Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass Latein sehr hilfreich ist, um die Grammatik von Sprachen zu lernen, die aus dem Lateinischen entstanden sind. Wer sich die Mühe macht, Latein zu lernen, erwirbt zudem ein wichtiges Grundwissen über die Wurzeln unserer Kultur. Die Römer haben auch in unserem Land auf vielen Gebieten Spuren hinterlassen, die bis heute nachwirken.

Zur Förderung der Lesekompetenz sollen Eltern ihren Kindern mehr vorlesen, sagt Silvia Steiner, die höchste Erziehungsdirektorin. Müssen tatsächlich die Eltern ausbügeln, was die Schulen verpassen?
Ich teile die Meinung von Silvia Steiner, dass Vorlesen im Elternhaus sehr wichtig ist. Damit kann das Leseverhalten der Kinder von klein auf gefördert werden. Eltern sind immer noch die wichtigsten Vorbilder für ihre Kinder. Was sie tun oder unterlassen, hat erzieherisch eine direkte Wirkung auf den Nachwuchs.

Was machen die Pisa-Sieger besser?
Diese Frage stellen mir auch Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern an internationalen Kongressen, wenn sie die sehr guten Resultate unserer Schülerinnen und Schüler in Mathematik und Naturwissenschaften sehen. Wir können stolz sein auf unser Bildungssystem, dürfen uns aber nicht auf den Lorbeeren ausruhen. Insbesondere bei der Lesekompetenz gibt es noch viel zu tun.

In Skandinavien laufen Filme mit O-Ton. Wäre das nicht auch für uns sinnvoll?
Es ist natürlich viel bequemer, einen synchronisierten Film auf Deutsch zu schauen als die Untertitel mitlesen zu müssen. Durch die Synchronisierung geht aber auch viel von der ursprünglichen Sprache verloren. Daher gibt es auch Filme im Zweikanalton. Mich stört es, dass in den News-Sendungen immer mehr Mundart gesprochen wird und Aussagen in unseren Landessprachen ständig synchronisiert werden statt Untertitel zu benutzen.

Die Schweiz gibt 38,3 Milliarden Franken für die Bildung aus. Müssten wir nicht mehr investieren?
Wir haben in den letzten Jahren sehr viel auf der Hochschulebene investieren müssen, weil die Studentenzahlen stark gestiegen sind. Mit der Gründung von Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen und der Einführung der Berufsmaturität und der Fachmaturität ist der Hochschulsektor in den letzten 15 Jahren stark gewachsen. Das war auch richtig und nötig. Doch im Vorschulbereich sind unsere Investitionen auch im internationalen Vergleich immer noch viel zu tief. Jeder Franken, den wir dafür in die Bildung stecken, zahlt sich mehrfach aus. Wir leben nicht von Tellerwäschern, die zu Milliardären werden. Die Schweiz ist wirtschaftlich und kulturell stark geworden, weil wir frühzeitig erkannt haben, wie wichtig eine ausreichende und unentgeltliche Grundschulbildung und eine weiterführende Ausbildung für alle ist. Dazu müssen wir auch in Zukunft Sorge tragen.


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