Die Schweizer Volksschulen
müssen bis 2025 über 100 000 Kinder zusätzlich unterrichten. Dazu braucht es
weitere 2000 Lehrkräfte. Verzweifelt versuchen die Schulen, wieder mehr Männer
für den Lehrerberuf zu gewinnen.
Gesucht: Männer für die Schulzimmer, NZZ, 21.8. von Jörg Krummenacher
«Männer an die
Primarschule» – so nennt sich ein 2014 gegründeter Verein, der dem seit 50
Jahren sinkenden Anteil männlicher Lehrkräfte entgegenwirken will. Bis 1964
unterrichteten mehr Männer als Frauen an den Schweizer Primarschulen, heute ist
es nur noch ein Sechstel. Vereinspräsident Ron Halbright spricht von einer
«negativen Spirale»: Es sei zum gesellschaftlichen Stereotyp geworden, dass
Arbeit mit Kindern Frauensache sei. Nötig sei eine Trendwende: Bis 2030, so das
ambitiöse Ziel des Vereins, soll der Männeranteil an Primarschulen wieder auf
30 Prozent und somit auf beinah das Doppelte ansteigen.
Drei Viertel Frauen
Kindergarten,
Primarschule, Sekundarschule: Jedes Kind durchläuft die obligatorischen drei
Volksschulstufen. Während in den Kindergärten fast nur Frauen tätig sind,
steigt der Männeranteil in den Sekundarschulen auf 44 Prozent. Halbright sieht
den Hauptgrund in den höheren Löhnen auf dieser Stufe, da Männer lohnaffiner
seien als Frauen, bei denen die Familientauglichkeit im Vordergrund stehe.
Insgesamt, auf allen drei Stufen zusammen, unterrichten in den öffentlichen
Schulen der Volksschule heute nurmehr 25 Prozent Männer. Die Aufteilung nach
Kantonen zeigt dabei deutliche Unterschiede: In Uri ist der Männeranteil mit 33
Prozent am höchsten, in Freiburg mit 21 Prozent am tiefsten.
Weshalb aber
ist eine ausgeglichenere Geschlechterverteilung im Lehrkörper sinnvoll? Buben
wie Mädchen sollten von einer bunten Vielfalt an Bezugspersonen beiderlei
Geschlechts profitieren können, sagt Ron Halbright. So brauchten die Buben
erlebbare Vorbilder, um realistische Männerbilder entwickeln zu können: «Sonst
weichen sie auf fiktive, oft problematische Vorbilder aus, die sie in den
Medien finden.»
Mehr Männer
sind schlicht auch notwendig, um dem Mangel an Lehrkräften in Schweizer
Schulstuben zu begegnen. In den letzten Jahren wurden Massnahmen angestossen,
die insbesondere darauf abzielen, Schnupperlehren anzubieten und Quereinsteiger
zu gewinnen. Weitere Projekte sind für die nächsten vier Jahre geplant. Bis
jetzt hält sich der Erfolg in Grenzen: Halbright spricht von einigen Dutzend
Männern, die das Schnupperangebot wahrgenommen hätten. Und der Anteil der
Quereinsteiger etwa an der Pädagogischen Hochschule Zürich betrug 2017 nur
gerade 8 Prozent. «Mit den Quereinsteigenden allein lässt sich das Problem des
Lehrermangels nicht lösen», sagt denn auch Beat Zemp, der Präsident des
Dachverbands der Schweizer Lehrkräfte (LCH).
Viele Lehrer steigen aus
Bereits heute
wird mehr oder weniger verzweifelt nach Lehrkräften – Männern wie Frauen –
gesucht, vor allem in Kindergärten, bei Heilpädagogen und bei
Französischlehrern. Kantone wie Zürich und Bern haben für das beginnende
Schuljahr Notmassnahmen ergreifen müssen, indem sie beispielsweise Studierende
bereits vor Studienabschluss in den Klassen einsetzen – eine Massnahme, die der
LCH ablehnt. Die Situation bei den Heilpädagogen nennt Beat Zemp gar
«hoffnungslos».
Allein: Der
Lehrermangel wird sich in den kommenden Jahren noch akzentuieren. Denn die
Schülerzahlen in der Volksschule dürften, so die Prognosen des Bundesamts für
Statistik, bis 2025 um mehr als 100 000 auf einen Höchststand von 1,04
Millionen ansteigen. Dadurch werden, wie es im kürzlich publizierten
Bildungsbericht Schweiz heisst, rund 2000 zusätzliche Lehrkräfte benötigt.
Gleichzeitig werden viele Lehrkräfte aus geburtenstarken Jahrgängen
pensioniert. Betroffen sind alle Kantone. Gemäss dem Bundesamt für Statistik
werden schon bis 2021 aber vor allem Basel-Stadt, Thurgau, Graubünden und
Appenzell Innerrhoden auf Primarstufe nach Lehrern suchen müssen, auf
Sekundarstufe wiederum Basel-Stadt, zudem die Kantone Bern, Luzern, Schaffhausen,
Glarus und Appenzell Ausserrhoden. In der Primarschule werden bis zu 20 Prozent
mehr Lehrer benötigt, in der Sekundarschule gar bis zu 40 Prozent.
Die
pädagogischen Hochschulen bilden heute zwar deutlich mehr Lehrkräfte aus als
früher, können vorderhand den steigenden Bedarf aber nicht decken. Negativ
wirkt sich zudem aus, dass laut Bildungsbericht viele ausgebildete Lehrkräfte
aus dem Beruf aussteigen oder gar nie eine Stelle antreten. Allein in den
ersten fünf Jahren nach Abschluss des Studiums geht ein Fünftel der Lehrkräfte
verloren.
Zeitgemässe Löhne gefordert
Den Hauptgrund
ortet der Lehrerverband in den ungenügenden Arbeits- und
Anstellungsbedingungen. LCH-Zentralpräsident Beat Zemp ist überzeugt, «dass
sich bei besseren Bedingungen mehr talentierte Junge und Quereinsteiger für den
Beruf interessieren würden». Der LCH fordert aufgrund einer Lohnanalyse denn
auch zeitgemässe und verlässliche Löhne, insbesondere für
Kindergartenlehrpersonen. Die Löhne hätten mit der gestiegenen Arbeitsbelastung
nicht mitgehalten.
Diese hat auch
dazu beigetragen, dass inzwischen 70 Prozent aller Lehrkräfte in der Schweiz
Teilzeit arbeiten. In Basel-Stadt, Bern und Solothurn sind es gar mehr als 80
Prozent. Vielerorts werden schon kaum mehr Vollpensen ausgeschrieben. Beat Zemp
fordert, dass sich dies vor allem auf der Primarstufe wieder ändert. Dabei
müssten die Kantone flexibel bleiben und gewiss nicht so weit gehen wie Genf,
dem einzigen Kanton mit mehr Voll- als Teilzeit arbeitenden Lehrkräften. Der
Grund: Erlaubt sind dort nur 100-Prozent-Stellen oder deren Aufteilung auf zwei
halbe Pensen.
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