Wie kann es sein, dass Kinder schon mit elf Jahren «ausbrennen» oder «durchbrennen», also an einem Burn-out leiden? Nicht eines, sondern jedes dritte, weil die Schule zu sehr drückt. Unser Bild der Kinder ist doch ein ganz anderes, wenn wir sie schreien und toben hören. Sind da nicht die Eltern schuld? Arbeiten die Mamis zu viel, und würde sich das Problem nicht lösen, wenn sie wieder mehr zu Hause am Herd stünden? Burn-out ist schliesslich kein plötzlich auftretendes Ereignis – niemand geht abends gesund ins Bett und erwacht am Morgen mit einem Burn-out, heisst es in den Ratgebern.
Sind da wirklich die Eltern schuld? Sonntagszeitung, 19.8. von Arthur Rutishauser
Das mag zwar stimmen, aber Schuldzuweisungen taugen selten zur Ursachenforschung. Es lohnt sich, nachzufragen, wie sich denn ein Burn-out bei einem Kind oder Jugendlichen normalerweise auswirkt. Die typische Geschichte einer Erschöpfungsdepression sieht so aus: Ein Mädchen hat massive Schlafstörungen, auch tagsüber kommt es nicht zur Ruhe. Es hat Angst vor jeder Prüfung. Es weint schnell, manchmal ohne jeden Anlass, und isst kaum mehr. Es jammert: «Ich bin doch nichts wert», und sagt: «Ich kann nicht mehr.» Meist sind es Mädchen, die so reagieren, Mädchen sind häufiger von Burn-out betroffen. Jungen reagieren eher offensiv-aggressiv bei Überforderung. Sie streiken beim Lernen. Das hilft oft, zumindest bislang. Denn seit neuestem kommen auch Buben mit Erschöpfungssymptomen zu den Therapeuten.
Sie können auch nicht mehr. Warum ist das so? Man kann es nur erahnen. Prüfungen gab es schon immer, doch Schule, Aufgaben, Sport, Musikunterricht, manchmal 12 Stunden am Tag, nicht. Ständig ein «Kürsli», auch in der Freizeit. Nicht aus Spass, sondern mit Förderung der Begabten. Ein Nachmittag beim Spielen mit Freunden? Bloss nicht, es könnte ja sein, dass die Jungmannschaft etwas Verbotenes tut. Insofern sind manche Eltern nicht unschuldig.
Mitschuldig ist aber auch die Schule, auch wenn das die Damen und Herren Erziehungsdirektoren nicht hören wollen. In den letzten Jahren wurde immer mehr Stoff reingepackt. Französisch in der Primarschule, Englisch am liebsten schon im Kindergarten. Programmieren? Gern auch noch – glücklicherweise können es die meisten Lehrer nicht. Wenn es aber darum geht, etwas abzuschaffen, Handarbeit, Kochen oder gar den Religionsunterricht, dann droht der Untergang des Abendlands, der Untergang der Wirtschaft, oder der Zusammenhalt der Schweiz ist in Gefahr. Da ist es viel einfacher, den Kindern schlechte Noten zu geben, wenn sie nicht mitkommen, und den Eltern zu sagen, ihre Sprösslinge seien Schulversager. Höchste Zeit, dass das ändert und die Politik zu ihrer Verantwortung steht. (Tages-Anzeiger)
Einige OnlineKommentare
Felix Meyer
Eine Schule ist auch keine Erziehungsanstalt, wie das gewisse Staatstheoretiker wohl gerne sehen wollen. Sondern eine Bildungseinrichtung, wo man sich Bildung aneignen KANN. Kinder gehören weder dem Staat, noch der Wirtschaft. Sondern sind ihren Eltern anvertraut - bis zur Mündigkeit. Die Eltern erziehen nach bestem Wissen und Gewissen. (Aber eben nicht für das Familienprestige).
p.s.: Die Bildungsbürokratie wurde auch viel zu stark aufgebläht. Verursacht damit in den Schulen zu viele administrative Arbeiten für irgendwelche Statistiken.
Gerda Bernhard
Einverstanden. Mitschuldig ist auch die Bildungsbürokratie. Sie heizt das Ganze mit überfrachteten Lehrplänen (ganz im Dienste der Wirtschaft; wie untertänigst) noch gewaltig an. Keine theoretischen und praktischen Experimente mit Kindern und Lehrern. Eine Schule ist kein Labor, und Schüler/ Lehrer keine Laborratten - von Ideologen!
André Baumgartner
Es wurde nicht nur mehr Stoff reingepackt: V.a. die Ideologie und Art des Unterrichts belasten: Sog. Sozialkompetenz gegenüber Fremdsprachigen, Behinderten, Aggressiven, Anpassung an dauernd wechselnde Umstände (8 Lehrerinnen von KiGa bis 4. Kl. wegen Schwangerschaften, Sabattical, Weiterbildung), die Toleranzübung, als ‚normales‘ Kind immer auf andere Rücksicht nehmen zu müssen und fast immer am Schluss dranzukommen. Weiter das krampfhafte Ziel, die Kinder zu sog. selbstverantwortlichen Persönlichkeiten zu erziehen, z.B. „Löse 5 Aufgaben aus 15 aus 3 Schwierigkeitsstufen auf S. 123 od. S. 125.“, d.h. den ganzen Schultag entscheiden zu müssen, welche Aufgaben wie zu lösen, bis man sich an die Arbeit machen kann, dann noch selber korrigieren, das ist überfordernd.
Paul Neidhart
Die Frage lenkt ab. Es ist das System, das wir offenbar nicht hinterfragen dürfen. Kinder sollen zu Leistungsmaschinen & Konsumenten erzogen werden. Unsere immer schneller werdende Welt mit dem Anspruch karzinogenes unendliches Wachstum zu produzieren, braucht Erwachsene, die das System nicht hinterfragen, sondern funktionieren als 'nützliche Mitglieder der Gesellschaft'. Die sinnentleerte Leistungsgesellschaft ist moralisch am Ende.
Mässigung, miteinander nicht gegeneinander, teilen, Vermögen gerecht verteilen... Aber die Menschheit ist dafür offenbar zu dumm. Profitieren tun immer die gleichen & leiden tun wie immer die Schwächsten. Ein Abbild der absurden Welt, die man uns oder 'wir uns' geschaffen haben. Aufwachen verboten oder die Suizidrate schnellt empor...
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