Eine neuere Studie des
Kompetenzzentrums für Bildungsevaluation an der Universität Zürich kommt zu erschreckenden
Ergebnissen: Von den 1500 Zürcher Primarschülern in der sechsten Klasse, die
auf ihre Deutschkenntnisse hin befragt wurden, können nicht weniger als 36
Prozent «nur den Sachverhalt und die Zusammenhänge eines einfachen Textes verstehen».
Weitere 15 Prozent bekunden bereits Mühe, «sobald aus dem Text mehr als
einzelne Wörter und Zusammenhänge identifiziert werden müssen». Jeder zweite
Schüler genügt nur knapp den Anforderungen, die auf der Sekundarstufe im Fach
Deutsch gestellt werden. Dazu kommt, dass sich in der Sekundarschule 16 Prozent
der befragten Schüler in diesem Fach völlig überfordert fühlen – doppelt so
viele wie in der «ungeliebten» Mathematik. Da vermögen auch die oftmals, aus
Angst vor einer klaren Wertung, viel zu hohen Noten im Fach Deutsch nicht
darüber hinwegzutäuschen.
Frühdeutsch ist wichtiger als Frühenglisch, Luzerner Zeitung, 26.7. von Mario Andreotti
Stellt sich die Frage,
welches die Gründe für diese sprachlichen Defizite unserer Schülerinnen und
Schüler sind. Eine Frage, die keine einfache Antwort zulässt. So viel aber
dürfte sicher sein: Mit der Einführung von Frühenglisch und Frühfranzösisch
wurde in zahlreichen Schulen die Zahl der Lektionen in den Kernfächern
Mathematik und Deutsch deutlich reduziert, obwohl allseits bekannt ist, dass es
zur Festigung der deutschen Sprache gerade in der Primarschule ausreichend Zeit
braucht. Doch der Mangel an genügend Deutschunterricht ist nicht der einzige
Grund für das sprachliche Malaise. Über ein Drittel aller Deutschschweizer
Primarschüler spricht in der Schule ausschliesslich Mundart, wie eine
Untersuchung des Bundesamtes für Statistik ergeben hat. Und dies obschon die
Schulreglemente der meisten Kantone vorschreiben, dass der Unterricht auf der
Primar- und Sekundarstufe, mit wenigen Ausnahmen, konsequent in der
Standardsprache, also in Hochdeutsch, zu erfolgen hat.
Woran liegt es aber, dass
die Wirklichkeit des Schulalltags anders aussieht? Vieles deutet
daraufhin, dass es mit unserem schwierigen Verhältnis zur hochdeutschen Sprache
zusammenhängt. So nah und doch so fern – so liesse sich dieses Verhältnis von
uns Deutschschweizern zur Standardsprache umschreiben. Das gilt in besonderem
Masse für unsere Jugendlichen. Sie betrachten Hochdeutsch zwar nicht als
Fremdsprache, weil es irgendwie alltäglich sei, man es «einfach so» könne, wie
sie häufig meinen. Trotzdem reden sie in der Schule nicht freiwillig
hochdeutsch, sondern nur, wenn sie wirklich müssen. Das können wir ihnen nicht
einmal übel nehmen, liegt ihnen der Dialekt doch einfach näher, ist er ihnen
als «Wohlfühlsprache» vertrauter.
Wer hingegen die alte
Scheu vor der hochdeutschen Sprache ablegen müsste, sind die Lehrerinnen und
Lehrer. Es ist die leidige Erfahrung, dass viele Lehrpersonen im
Unterricht ungern hochdeutsch sprechen und deshalb, wann immer möglich, den
Dialekt verwenden. Damit geben sie in Bezug auf die hochdeutsche Sprache
unbewusst negative Bilder an ihre Schüler weiter, die nach und nach eine
ablehnende Haltung dieser Sprache gegenüber entwickeln. Dabei müssten manche
Lehrpersonen im Umgang mit dem Hochdeutschen mehr Selbstvertrauen gewinnen und
so durch ihr Vorbild die Freude an der Sprache an die Kinder weitergeben.
Voraussetzung dafür ist freilich eine Lehrerbildung, die der Sprache im
Fächerkanon der Pädagogischen Hochschulen einen zentralen Platz zuweist und die
den Studierenden die Einsicht in die Wichtigkeit, Schüler möglichst früh
konsequent an die hochdeutsche Sprache heranzuführen, vermittelt. Nur so kann
in der Deutschschweiz, gleichsam über die Schule, allmählich ein kollektives
Umdenken stattfinden, kann sich die Abwehrhaltung vieler Deutschschweizer
gegenüber dem Hochdeutschen verändern. Das ist auch dringend notwendig, ist
doch die Schwellensprache für die berufliche Qualifikation in der
Deutschschweiz nach wie vor Hochdeutsch, wie der Basler Sprachwissenschaftler
Georges Lüdi zu Recht festhält.
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