Als Fachagentur des Bundes und der Kantone ist educa.ch beauftragt, Expertisen an der Schnittstelle von ICT und Bildungssystem sicherzustellen, Kantone bei Projekten zu begleiten, technologische Entwicklungen zu beobachten und den Handlungsbedarf abzuleiten sowie, die Interessenvertretung der öffentlichen Hand gegenüber privaten Anbietern wahrzunehmen. Der Oberwalliser Toni Ritz steht der Educa als Direktor vor.
«Die neuen Welten aufnehmen», Walliser Bote, 21.8.
Toni Ritz, alle reden zum Schulstart von der Digitalisierung. Wer ist dabei am meisten gefordert?
«Alle auf ihre Weise. Ich sehe Herausforderungen für Lehrpersonen, Lernende und Eltern. Am Anfang dieser Kette stehen die Lehrpersonen. Sie geben mit dem Lehrplan die Richtung vor. Für sie geht es immer weniger darum, Inhalte und Fakten zu vermitteln. Die sind heute weitgehend übers Internet abrufbar. Viel wichtiger ist, Kompetenzen und personalisiertes Wissen aufzubauen.»
Was
heisst das?
«Es steht
nicht mehr der Erwerb von klassischem Schulstoff im Zentrum. Die Lernenden
sollen die Fähigkeit vermittelt erhalten, die verfügbaren Informationen
aufzunehmen, einzuordnen und zu bewerten. Die weltweit vorhandenen
Informationen sind nicht nur zu reproduzieren, sondern man soll sie über
Lernnetzwerke nutzen und sich dazu eine Meinung bilden können.»
Haben die
Lehrpersonen die Befähigung dieser veränderten Art der Stoffvermittlung?
«Im
Bildungssystem gibt es keine Wechsel per Knopfdruck. Dieses Umdenken braucht Zeit
und Unterstützung. Hier setzt der Lehrplan 21 an. Die Digitalisierung ist und
bleibt dabei eine stete Herausforderung.»
Wie ist
sie zu meistern?
«Zuerst
dies: Bildung erfordert, bezüglich Arbeitsmarktbefähigung offen, bezüglich
Gesellschaftsbefähigung kritisch zu sein. Das heisst, die immensen
Möglichkeiten der Digitalisierung nicht nur als Gefahr, sondern auch als Chance
wahrzunehmen. Tun wir das nicht, geraten wir hoffnungslos ins Hintertreffen,
insbesondere gegenüber dem asiatischen Raum, wo eine gewaltige Entwicklung
abgeht. Unser Kulturkreis wird da nicht mithalten können, wenn wir uns nicht
mächtig anstrengen. Nehmen wir also die digitale Welt so, als ob man in fünf
Jahren wieder eine völlig neue Chance erhalten würde. Längerfristige
Überlegungen sind auf diesem Feld fehl am Platz. Dafür dreht es sich zu
schnell.»
Was
können Eltern tun?
«Sich
bewusst sein, dass der jederzeitige Zugriff auf einen Hochleistungscomputer wie
dem· Smartphone Informationen in Echtzeit ermöglicht. Alles wird sofort online,
kommentiert, geliked, bewertet, weitergeleitet. Das muss reflektiert werden.
Eltern müssen ihren Kindern und Jugendlicben beibringen, diese digitalen Medien
verantwortungsvoll zu nutzen.»
Wie
verändert die digitale Welt die «Bildung»?
«Sie
lässt neue Möglichkeiten im Bereich des Lehrens und Lernens entstehen. Die
Bildung muss den Wandel von Gesellschaft und Arbeitswelt aufnehmen, den
andersartigen Lebenswelten, in welchen die Kinder hineingeboren werden,
Rechnung tragen. Der Lehrplan <Medien und Informatik> vermittelt den
qualifizierten und reflektierten Umgang mit Medien. Gleichzeitig müssen die
Kinder auf neue Anforderungen wie Konzeptwissen und soziale Interaktion
vorbereitet werden. Entscheidend ist, dass die Schule ein gemeinsames
Verständnis für <Bildung in (Zeiten) der digitalen Transformation>
entwickelt.»
Was
bleibt unverändert?
«Nicht an
Bedeutung verlieren die Primärerfahrungen. Kinder sollen in der Familie und mit
Freunden die reale Kommunikation pflegen, die Natur erkunden, Kontakt zu Tieren
haben. Das trägt dazu bei, Analoges-in die digitale, oft virtuelle Dimension zu
spiegeln.»
Die
Schulen investieren in die Informatik. Ist es damit getan?
«Wenn
Schulen bestehende Unterrichtsmethoden mit Technologie ausstatten, so führt
dies nicht zwingend zu mehr Innovation in der Bildung, sondern hauptsächlich zu
deren Modernisierung. Entscheidend ist aber die sachgerechte,
verantwortungsvolle Anwendung der IT im Verbund mit anderen Möglichkeiten.»
Die da
wären?
«Heute
erleben wir eine additive Entwicklung des Stundenplans. Immer mehr Bedürfnisse
sollen darin Platz finden. Das führt zwangsläufig zu Unzufriedenheit und
Überfrachtung. Ich verstehe die Lehrpersonen, die dagegen rebellieren. Besser
als ein überladener Stundenplan ist der Weg hin zu mehr Projektunterricht.
Damit Schülerinnen und Schüler vermehrt die Möglichkeit für selbst
verantwortetes und selbst organisiertes Lernen erhalten. Die bestehenden
Strukturen lassen bei gutem Willen mehr Spielraum zu. Das wäre hilfreich,
Kompetenzen im erwähnten Sinne zu entwickeln. Die brauchen wir, denn das
Schulsystem wird zunehmend zu einem Datenraum..»
Was
höhere Qualifikation und Professionalität im Umgang mit Daten erfordert.
«Genau.
Und zwar nicht nur hinsichtlich des Schutzes und der Sicherheit der Daten, die oft
als Zeichen der Unsicherheit gefordert werden, sondern auch, um das Potenzial
von Daten in Bezug auf Lehren und Lernen zu identifizieren und zu nutzen.»
Wie
stellt sich Ihre Organisation dieser Herausforderung?
«educa.ch
schafft im Auftrag der Kantone die Basis für die Föderierung der digitalen
Identitäten für alle am Bildungssystem beteiligten Parteien. Dabei werden
bestehende oder noch aufzubauende digitale Identitäten im Bildungsbereich auf
nationaler Ebene zusammengeführt. Lernende, Lehrpersonen und
Verwaltungspersonal der Bildungsinstitutionen sollen sich mit einem einzigen
Login bei den genutzten Online-Diensten anmelden können. Zudem wird damit
definierbar, welche Daten fliessen und weiterverarbeitet werden sollen.»
Ruft der
digitale Bildungsraum nicht zwangsläufig neue Akteure mit unermesslichen
Dienstleistungen auf den Plan?
«Davon
ist auszugehen. Diese teilweise all-inclusive bzw. kostenlosen Angebote gilt es
für die Anwendung im Unterricht zu prüfen. Sind sie rechtskonform in Bezug auf
Datenschutz, Vertragsrecht oder Urheberrecht? Entstehen Abhängigkeiten, die
nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind oder teuer werden? Daher ist es
wichtig, dass das Bildungssystem im Umgang und der Nutzung solcher digitaler
Dienstleistungen Orientierung und Rechtssicherheit erhält.»
Neben der
Schule verändert sich auch der Arbeitsmarkt. Richtet educa auch einen Blick
darauf?
«Eine
Studie von Manpower zeigt, dass zwei Drittel aller Kinder der Primarschule
einen Beruf ausüben werden, der heute noch gar nicht existiert. Schule soll
weiterhin Basiswissen vermitteln, aber auch vermehrt Konzeptwissen lehren, das
befähigt, die Arbeit mit den Instrumenten der Zukunft auszuüben. Ich denke hier
an Robotik, künstliche Intelligenz, virtuelle Realitäten etc. Die OECD fordert
die Förderung der 4K-Kompetenzen – Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und
kritisches Denken – neben den klassischen Lehrplan-Fächern. Das zeigt in die
richtige Richtung.»
Welche
Erwartungen haben Sie als Vater an die Schule?
«Ich
wünsche mir, dass Schulen die klassischen Strukturen über Lektionen und
Fachlektionen aufzubrechen versuchen und den projekt- und aufgabenorientierten
Unterricht leben. Schülerinnen und Schüler sollen die gestellten Aufgaben
sowohl alleine wie in Gruppen inner- und ausserhalb der Schule lösen können.
Ideenreichtum soll damit gefördert und eine einseitige Gleichschrittdidaktik
verhindert werden. Das Individualisieren wird den Lehrpersonen durch die
Möglichkeiten der Digitalisierung übrigens erleichtert.»
Was
bleibt am Schluss entscheidend?
«Unabhängig
davon, ob eine Lehrperson technikaffin ist oder nicht, bin ich als ehemaliger
Lehrer überzeugt, dass es das Wichtigste ist, die Kinder fürs Lernen begeistern
zu können.»
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