28. Juni 2018

Master ist kein Qualitätsmerkmal

Bildungsfragen sind en vogue und fordern den Staat auf, für bessere Ab- und Anschlüsse zu sorgen. Rückblickend auf meine Laufbahn vom Primarschüler bis zum Uni-Professor komme ich zum gegenteiligen Schluss: Weniger Bürokratisierung, weniger Politisierung, weniger Gleichmacherei; aber dafür mehr Freiheit für Lehrer und Schüler, mehr Eigenverantwortung für Studis und mehr Leistungsorientierung der Bildungsanbieter.
War früher alles besser? In der Primarschule waren wir in vier Klassen in einem Schulzimmer. Aber die meisten konnten besser lesen, schreiben und rechnen als die heutigen Viertklässler, die normalerweise von zwei Lehrpersonen, Sozialhelferinnen und Sonderpädagogen überbetreut und auf Moral getrimmt werden.
Bildungslücken und Reformkrücken, Basler Zeitung, 28.6. von Silvio Borner


Für die Sekundarschule musste ich eine Aufnahmeprüfung bestehen. Dort waren wir 32 Schülerinnen und Schüler ohne Gymnasialanschluss. Trotzdem haben dann zwei doktoriert, je einer ist Agro-Ingenieur und Pilot geworden. Die anderen haben erfolgreich als Landwirte, Kaufleute oder Handwerker gewirkt. Aus der Handeli Olten, wiederum ohne Maturitätsanschluss, haben immerhin fünf in St. Gallen abgeschlossen, davon drei doktoriert. Ein anderer hat ein Doktorat in Physik geschafft.

Höhere Maturaquoten verursachen so mehr Versager
Wir haben kürzlich diskutiert, wie das möglich war, und kamen zum Schluss, dass der ökonomische Druck den Willen zum Vorwärtskommen entscheidend geprägt hat. Sozialhilfe für Jugendliche zerstört genau diese Bereitschaft zum Durchhalten. Mit einem Handels- und einem amerikanischen High-School-Diplom war mir der Unizugang verschlossen. Aber dank einem souveränen Rektor am Gymi Luzern konnte ich probeweise in die 6. Klasse eintreten und ein Jahr später mit 21 Jahren die Matura erwerben. Wäre das heute noch möglich? In St. Gallen konnte man in sieben Semestern mit dem Lizenziat abschliessen.
Im Rückblick auf die 40 Jahre an der Uni Basel stelle ich zwei Fehlentwicklungen fest: Das eine ist die Reglementierung und Bürokratisierung von allem und jedem. Das andere ist der Vorrang der politischen Korrektheit und moralisierenden Belehrung vor der Wissensvermittlung. Stichworte sind hier Genderfragen, Nachhaltigkeit, Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit. Hinzu kommt, dass das erste Studienjahr immer mehr zur Selektion abgewertet wurde, weil immer mehr Maturanden den Anforderungen nicht gewachsen sind. Ich habe jahrelang die obligatorische Grundvorlesung gehalten.
Der Anteil der Durchgefallenen war bei den Maturanden aus Basel-Stadt signifikant höher als beim Rest. Höhere Maturaquoten verursachen so mehr Versager. Ist das mehr Chancengleichheit?

Durchgefallene oder Maturanden mit schwachem Leistungsausweis haben den Anreiz, in «weiche» Fächer mit schlechten Berufschancen auszuweichen. Zudem sind Lehrerseminare oder das Technikum heute Fachhochschulen. Kann man deshalb aus steigenden Abschlusszahlen auf ein steigendes Bildungsniveau schliessen? Bachelors müssen zum Master-Programm zugelassen werden, sodass selbst ein Mastertitel keine Qualitätsgarantie mehr ist.

Nicht Reglemente oder Zertifikate zwingen uns zur permanenten Weiterbildung, sondern der Wettbewerb. Doch der «selektiert», was ich eben mit zwölf schon lernen musste oder durfte. Wo kein Bildungswille ist, ist auch kein Bildungsweg.

Silvio Borner ist emeritierter Professor der Ökonomie am WWZ der Universität Basel. (Basler Zeitung)


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