Bildungsfragen sind en vogue und fordern den Staat auf, für bessere Ab-
und Anschlüsse zu sorgen. Rückblickend auf meine Laufbahn vom Primarschüler bis
zum Uni-Professor komme ich zum gegenteiligen Schluss: Weniger
Bürokratisierung, weniger Politisierung, weniger Gleichmacherei; aber dafür
mehr Freiheit für Lehrer und Schüler, mehr Eigenverantwortung für Studis und
mehr Leistungsorientierung der Bildungsanbieter.
War früher alles besser? In der Primarschule waren wir in vier Klassen
in einem Schulzimmer. Aber die meisten konnten besser lesen, schreiben und
rechnen als die heutigen Viertklässler, die normalerweise von zwei
Lehrpersonen, Sozialhelferinnen und Sonderpädagogen überbetreut und auf Moral
getrimmt werden.
Bildungslücken und Reformkrücken, Basler Zeitung, 28.6. von Silvio Borner
Für die Sekundarschule musste ich eine Aufnahmeprüfung bestehen. Dort
waren wir 32 Schülerinnen und Schüler ohne Gymnasialanschluss. Trotzdem haben
dann zwei doktoriert, je einer ist Agro-Ingenieur und Pilot geworden. Die
anderen haben erfolgreich als Landwirte, Kaufleute oder Handwerker gewirkt. Aus
der Handeli Olten, wiederum ohne Maturitätsanschluss, haben immerhin fünf in
St. Gallen abgeschlossen, davon drei doktoriert. Ein anderer hat ein Doktorat
in Physik geschafft.
Höhere Maturaquoten verursachen so mehr Versager
Wir haben kürzlich diskutiert, wie das möglich war, und kamen zum
Schluss, dass der ökonomische Druck den Willen zum Vorwärtskommen entscheidend
geprägt hat. Sozialhilfe für Jugendliche zerstört genau diese Bereitschaft zum
Durchhalten. Mit einem Handels- und einem amerikanischen High-School-Diplom war
mir der Unizugang verschlossen. Aber dank einem souveränen Rektor am Gymi
Luzern konnte ich probeweise in die 6. Klasse eintreten und ein Jahr später mit
21 Jahren die Matura erwerben. Wäre das heute noch möglich? In St. Gallen
konnte man in sieben Semestern mit dem Lizenziat abschliessen.
Im Rückblick auf die 40 Jahre an der Uni Basel stelle ich zwei
Fehlentwicklungen fest: Das eine ist die Reglementierung und Bürokratisierung
von allem und jedem. Das andere ist der Vorrang der politischen Korrektheit und
moralisierenden Belehrung vor der Wissensvermittlung. Stichworte sind hier
Genderfragen, Nachhaltigkeit, Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit.
Hinzu kommt, dass das erste Studienjahr immer mehr zur Selektion abgewertet
wurde, weil immer mehr Maturanden den Anforderungen nicht gewachsen sind. Ich
habe jahrelang die obligatorische Grundvorlesung gehalten.
Der Anteil der Durchgefallenen war bei den Maturanden aus Basel-Stadt
signifikant höher als beim Rest. Höhere Maturaquoten verursachen so mehr
Versager. Ist das mehr Chancengleichheit?
Durchgefallene oder Maturanden mit schwachem Leistungsausweis haben den
Anreiz, in «weiche» Fächer mit schlechten Berufschancen auszuweichen. Zudem
sind Lehrerseminare oder das Technikum heute Fachhochschulen. Kann man deshalb
aus steigenden Abschlusszahlen auf ein steigendes Bildungsniveau schliessen?
Bachelors müssen zum Master-Programm zugelassen werden, sodass selbst ein
Mastertitel keine Qualitätsgarantie mehr ist.
Nicht Reglemente oder Zertifikate zwingen uns zur permanenten
Weiterbildung, sondern der Wettbewerb. Doch der «selektiert», was ich eben mit
zwölf schon lernen musste oder durfte. Wo kein Bildungswille ist, ist auch kein
Bildungsweg.
Silvio Borner ist emeritierter Professor der Ökonomie am WWZ der
Universität Basel. (Basler Zeitung)
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