28. Juni 2018

Knaben benachteiligt

In der öffentlichen Volksschule des Kantons Baselland müssen Knaben fast doppelt so häufig als Mädchen sonderpädagogische Massnahmen in Anspruch nehmen. Der Anteil Knaben bei der Sonderschulung, in Klein-, Einführungs- und Integrationsklassen liegt im Schuljahr 2017/18 in den Primar- und Sekundarschulen bei 63 Prozent. Auch im Niveau A der Sekundarschulen sind die Männer 2017/18 mit 56 Prozent übervertreten. Dies geht aus dem neusten Newsletter des Statistischen Amtes des Kantons Baselland hervor.
Ist das Schulsystem männerfeindlich? Basler Zeitung, 27.6. von Thomas Dähler



Mit der Sonderpädagogik reagieren die Schulen auf besondere Lernbedürfnisse von Schülerinnen und Schülern, die aus körperlichen, geistigen oder psychischen Beeinträchtigungen, aus besonderen Begabungen, aus mangelnder Kenntnis der Unterrichtssprache oder aus Verhaltensauffälligkeiten resultieren. So jedenfalls ist es im Bildungsbericht Nordwestschweiz nachzulesen. Dass Knaben besonders häufig davon betroffen sind, ist kein Baselbieter Phänomen, denn die Statistik spricht in allen vier Kantonen der Nordwestschweiz dieselbe Sprache. Speziell ist im Baselbiet, dass Knaben besonders häufig in separativen Klassen und in Sonderklassen unterrichtet werden.
Stabile Zahlen
Insgesamt zählt der Kanton Baselland im Schuljahr 2017/18 in den obligatorischen Schulen 31 799 Schülerinnen und Schüler. Davon besuchen 88,7 Prozent eine Regelklasse der öffentlichen Schule, 6,2 Prozent eine Privatschule und 3,3 Prozent eine Sonderklasse. Separativ beschult werden 1,8 Prozent der Schülerinnen und Schüler Diese Zahlen sind, wie der Blick auf die Vorjahre zeigt, ziemlich stabil.

Auffällig ist, dass in den Klein-, Einführungs- und Integrationsklassen der Primarschulen 63 Prozent Knaben sind. In den Sekundarschulen beträgt ihr Anteil 59 Prozent. Noch weiter auseinander liegen die Geschlechteranteile bei der integrativen Sonderschulung. Dort sind die männlichen Schüler in den Primarschulen mit 68 Prozent, in den Sekundarschulen mit 61 Prozent vertreten.

Ähnlich übervertreten sind auch Ausländer, die in den separativen Sonderschulen 38 Prozent ausmachen – insgesamt liegt der Ausländeranteil in den Baselbieter Schulen bei 28 Prozent. Das Statistische Amt hat errechnet, dass ein ausländischer Junge letztlich eine mehr als vier Mal höhere Wahrscheinlichkeit hat, eine Sonderklasse zu besuchen, als ein Schweizer Mädchen.

Auch bei den Leistungsniveaus der Sekundarschule bestätigt die Statistik, dass Mädchen im obersten Niveau P und Knaben im tiefsten Niveau A übervertreten sind. Im Niveau P sind 53 Prozent Mädchen, im Niveau A sind 56 Prozent Knaben. Noch extremer sind die Zahlen bei den Ausländern. Der Ausländeranteil im Niveau A ist fast drei Mal höher als im Niveau P.

Die hohen Ausländeranteile lassen sich erklären, denn der andere sprachliche und kulturelle Hintergrund ist als Ursache einer besonderen Förderbedürftigkeit naheliegend. Ob auch bei Knaben oder Männern eine besondere Förderbedürftigkeit besteht, ist hingegen schwieriger nachvollziehbar.
Stärker auf Knaben ausgerichtet?
Im Bildungsbericht Nordwestschweiz wird die Frage gestellt, ab das Angebot die hohe Nachfrage auslöst. Möglicherweise ist das sonderpädagogische Angebot in besonderem Masse auf Knaben und männliche Jugendliche ausgerichtet und hat damit die hohe Nachfrage generiert.

Die unausgeglichene Verteilung bei den Klienten der Sonderpädagogik lässt darauf schliessen, dass sich das Ausmass der besonderen Förderung mindestens teilweise steuern lässt. Im Baselbiet kommt diesem Umstand politische Bedeutung zu: In der zurzeit laufenden Debatte um den gesetzlichen Rahmen ist eine Deckelung der Massnahmen und der Kosten vorgesehen. Namentlich die SVP verlangt, dass die Fördermassnahmen in ihrem Ausmass nach unten korrigiert werden, während die SP sich tendenziell auf den Standpunkt stellt, dass rein pädagogische Überlegungen den Umfang sonderpädagogischer Massnahmen bestimmen.

Die Sonderpädagogik hat sich in den letzten Jahren verändert. Sie wurde massgeblich durch das Behindertengleichstellungsgesetz geprägt, das gesamtschweizerisch an der Urne beschlossen wurde. Der Kanton Baselland ist in der Folge dem Sonderpädagogik-Konkordat beigetreten. Die Sonderschulung liegt damit in der Verantwortung der Kantone. Generell kommen separative Massnahmen nur noch zum Zug, wenn eine Integration in eine Klasse nicht möglich ist.


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