In der öffentlichen Volksschule des Kantons
Baselland müssen Knaben fast doppelt so häufig als Mädchen sonderpädagogische
Massnahmen in Anspruch nehmen. Der Anteil Knaben bei der Sonderschulung, in
Klein-, Einführungs- und Integrationsklassen liegt im Schuljahr 2017/18 in den
Primar- und Sekundarschulen bei 63 Prozent. Auch im Niveau A der
Sekundarschulen sind die Männer 2017/18 mit 56 Prozent übervertreten. Dies geht
aus dem neusten Newsletter des Statistischen Amtes des Kantons Baselland
hervor.
Ist das Schulsystem männerfeindlich? Basler Zeitung, 27.6. von Thomas Dähler
Mit
der Sonderpädagogik reagieren die Schulen auf besondere Lernbedürfnisse von
Schülerinnen und Schülern, die aus körperlichen, geistigen oder psychischen
Beeinträchtigungen, aus besonderen Begabungen, aus mangelnder Kenntnis der
Unterrichtssprache oder aus Verhaltensauffälligkeiten resultieren. So
jedenfalls ist es im Bildungsbericht Nordwestschweiz nachzulesen. Dass Knaben
besonders häufig davon betroffen sind, ist kein Baselbieter Phänomen, denn die
Statistik spricht in allen vier Kantonen der Nordwestschweiz dieselbe Sprache.
Speziell ist im Baselbiet, dass Knaben besonders häufig in separativen Klassen
und in Sonderklassen unterrichtet werden.
Stabile
Zahlen
Insgesamt
zählt der Kanton Baselland im Schuljahr 2017/18 in den obligatorischen Schulen
31 799 Schülerinnen und Schüler. Davon besuchen 88,7 Prozent eine Regelklasse
der öffentlichen Schule, 6,2 Prozent eine Privatschule und 3,3 Prozent eine
Sonderklasse. Separativ beschult werden 1,8 Prozent der Schülerinnen und
Schüler Diese Zahlen sind, wie der Blick auf die Vorjahre zeigt, ziemlich
stabil.
Auffällig
ist, dass in den Klein-, Einführungs- und Integrationsklassen der Primarschulen
63 Prozent Knaben sind. In den Sekundarschulen beträgt ihr Anteil 59 Prozent.
Noch weiter auseinander liegen die Geschlechteranteile bei der integrativen
Sonderschulung. Dort sind die männlichen Schüler in den Primarschulen mit 68
Prozent, in den Sekundarschulen mit 61 Prozent vertreten.
Ähnlich
übervertreten sind auch Ausländer, die in den separativen Sonderschulen 38
Prozent ausmachen – insgesamt liegt der Ausländeranteil in den Baselbieter
Schulen bei 28 Prozent. Das Statistische Amt hat errechnet, dass ein
ausländischer Junge letztlich eine mehr als vier Mal höhere Wahrscheinlichkeit
hat, eine Sonderklasse zu besuchen, als ein Schweizer Mädchen.
Auch
bei den Leistungsniveaus der Sekundarschule bestätigt die Statistik, dass
Mädchen im obersten Niveau P und Knaben im tiefsten Niveau A übervertreten
sind. Im Niveau P sind 53 Prozent Mädchen, im Niveau A sind 56 Prozent Knaben.
Noch extremer sind die Zahlen bei den Ausländern. Der Ausländeranteil im Niveau
A ist fast drei Mal höher als im Niveau P.
Die
hohen Ausländeranteile lassen sich erklären, denn der andere sprachliche und
kulturelle Hintergrund ist als Ursache einer besonderen Förderbedürftigkeit
naheliegend. Ob auch bei Knaben oder Männern eine besondere Förderbedürftigkeit
besteht, ist hingegen schwieriger nachvollziehbar.
Stärker auf
Knaben ausgerichtet?
Im
Bildungsbericht Nordwestschweiz wird die Frage gestellt, ab das Angebot die
hohe Nachfrage auslöst. Möglicherweise ist das sonderpädagogische Angebot in
besonderem Masse auf Knaben und männliche Jugendliche ausgerichtet und hat
damit die hohe Nachfrage generiert.
Die
unausgeglichene Verteilung bei den Klienten der Sonderpädagogik lässt darauf
schliessen, dass sich das Ausmass der besonderen Förderung mindestens teilweise
steuern lässt. Im Baselbiet kommt diesem Umstand politische Bedeutung zu: In
der zurzeit laufenden Debatte um den gesetzlichen Rahmen ist eine Deckelung der
Massnahmen und der Kosten vorgesehen. Namentlich die SVP verlangt, dass die
Fördermassnahmen in ihrem Ausmass nach unten korrigiert werden, während die SP
sich tendenziell auf den Standpunkt stellt, dass rein pädagogische Überlegungen
den Umfang sonderpädagogischer Massnahmen bestimmen.
Die
Sonderpädagogik hat sich in den letzten Jahren verändert. Sie wurde massgeblich
durch das Behindertengleichstellungsgesetz geprägt, das gesamtschweizerisch an
der Urne beschlossen wurde. Der Kanton Baselland ist in der Folge dem
Sonderpädagogik-Konkordat beigetreten. Die Sonderschulung liegt damit in der
Verantwortung der Kantone. Generell kommen separative Massnahmen nur noch zum
Zug, wenn eine Integration in eine Klasse nicht möglich ist.
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