In den Zürcher Schulen
gibt es einen neuen Unruheherd. Er trägt den Namen Berufsauftrag. Mit ihm wird
die Jahresarbeitszeit eingeführt, welche die Lehrerinnen und Lehrer vor
Überlastung schützen soll. Doch weil nun die Arbeitszeit protokolliert werden
muss und viele Unklarheiten bestehen, ist die Stimmung in den Lehrerzimmern
angespannt. Das geht aus einer Umfrage hervor, die der Zürcher Lehrerinnen- und
Lehrerverband (ZLV) zusammen mit dem Verein SekZH und der Gewerkschaft VPOD
durchgeführt hat und an der sich über 3500 Lehrpersonen beteiligten. Der Tenor
ist eindeutig, fast die Hälfte der Befragten hat ausführliche und wütende
Kommentare abgegeben. Sie füllen über 100 Seiten im Word-Format. Es sei ein
Buch des Frustes geworden, sagt ZLV-Präsident Christian Hugi.
"Für mich ist der Berufsauftrag ein Burn-out-Faktor", Tages Anzeiger, 26.6. von Daniel Schneebeli
«Das ist ein grosser Betrug und eine reine
Sparübung», regt sich einer auf. Eine andere Lehrperson schreibt: «Es ist ein
grosses Durcheinander entstanden.» Eine dritte: «Für mich ist der Berufsauftrag
ein Burn-out-Faktor und ein Motivationskiller.» Von einer «riesigen Alibiübung»
ist die Rede, von «neuer Missgunst». Hugi, Primarlehrer in Zürich, sieht das
etwas differenzierter. Für ihn ist die Transparenz auch eine Chance: «Erstmals
haben wir es schwarz auf weiss. Das Protokoll kann uns vor neuen Aufgaben
schützen.» Auch der Präsident des Vereins SekZH, Sekundarlehrer Daniel Kachel,
ist nicht grundsätzlich dagegen, aber: «Die Willkür des Systems ist zu gross»,
findet er.
Überlastung ist bewiesen
Die Klagen der Überlastung gibt es an den
Schulen seit Jahrzehnten. Wenn sie seriös arbeiten wollen, müssen Lehrpersonen
Überstunden leisten, und der grösste Frust ist für sie, dass es ihnen niemand
so recht glauben will. Wer ist schon überlastet mit 13 Wochen Ferien? Tatsache
ist, es gibt viele Arbeitszeiterhebungen, welche die Überlastung belegen. Die
wichtigste stammt von Hermann J. Forneck aus dem Jahr 1999 und bezieht sich auf
den Kanton Zürich. Die Studie räumte auf mit den alten Vorurteilen. Sie basiert
zwar grösstenteils auf Selbstdeklarationen, ist aber wissenschaftlich
einwandfrei, unter anderem weil über tausend extreme Antworten nicht
berücksichtigt wurden.
Es gibt zwar unter den Lehrpersonen auch
«faule Eier», wie einst der städtische Schulvorsteher Hans Wehrli (FDP)
abschätzig feststellte, doch die durchschnittliche Arbeitszeit der Zürcher Lehrer
liegt deutlich über dem Soll. In der Sekundarschule kamen pro Person 200
Überstunden im Jahr zusammen, was fünf Arbeitswochen entspricht. «Wer so viel
arbeitet, ist in Not», sagte damals Forneck.
Unterdessen sind 20 Jahre vergangen, und
mit dem Berufsauftrag liegt endlich eine neue Arbeitszeitregelung vor. Sie
erfasst nicht nur die 28 Schulstunden, die eine Lehrperson jede Woche erteilen
muss, sondern all ihre anderen Tätigkeiten auch. Für alles zusammen ist eine
Jahresarbeitszeit von 1932 Stunden definiert, was wie bei allen
Kantonsangestellten einer 42-Stunden-Woche gleichkommt.
Von dieser Anzahl von Arbeitsstunden ist
seinerzeit schon Hermann J. Forneck ausgegangen. Dass Lehrerinnen und Lehrer
heute immer noch überlastet sind, erstaunt daher wenig. Mit dem Berufsauftrag
wurde die Art der Arbeit zwar neu definiert, aber der Umfang ist nicht
reduziert worden. Noch immer müssen Lehrpersonen 28 Lektionen pro Woche
unterrichten, dazu sind aber mehr Absprachen und Weiterbildung notwendig.
Zu wenig Zeit fürs Unterrichten
Am meisten kritisieren die Verbandspräsidenten
deshalb die im Berufsauftrag «zu knapp bemessene Zeit fürs Unterrichten». Der
Kanton gewährt 58 Arbeitsstunden pro Wochenlektion. Wenn man das umrechnet,
bleiben pro Schulstunde rund 30 Minuten für Vor- und Nachbereitung. Das sei zu
wenig.
Sowohl Kachel als auch Hugi haben ihre
Unterrichtszeit länger systematisch aufgeschrieben. Hugi hat über 200 Stunden
mehr gebraucht, als ihm der Kanton dafür zubilligt. In diesem Schuljahr hat er
die Arbeitszeit wie verlangt reduziert, doch darunter hat wiederum seine
Unterrichtsorganisation gelitten: «Die Unordnung auf meinem Pult ist deutlich
grösser geworden.» Auch Daniel Kachel hat festgestellt, dass er fürs
Unterrichten mehr Zeit brauchen würde. Für die Verbände wären deswegen
mindestens 60 Arbeitsstunden pro Wochenlektion nötig. Im Vergleich mit anderen
Kantonen, die die Jahresarbeitszeit für Lehrer kennen, ist Zürich knausrig.
Laut dem Schweizerischen Lehrerverband (LCH) gewähren St. Gallen, Aargau und
Glarus je 60 Stunden pro Lektion. In Zug sind es wie in Zürich 58. Der LCH
fordert deshalb die Senkung der Lektionen.
Ältere Lehrer als Verlierer
Ein «grosses Ärgernis» ist für die
Verbandspräsidenten Kachel und Hugi die Entlastung für die älteren
Lehrpersonen. Bisher mussten sie ab 57 Jahren zwei Lektionen pro Woche weniger unterrichten.
Mit dem Berufsauftrag ist diese Entlastung weggefallen. Neu gibt es wie für
alle Staatsangestellten ab 50 Jahren eine, ab 60 zwei Ferienwochen mehr. Das
ist für über 57-jährige Lehrpersonen eine klare Verschlechterung: Zwei
Ferienwochen ergeben 84 Arbeitsstunden, zwei Lektionen werden aber im
Berufsauftrag mit 116 Stunden verrechnet. Im Frustbuch des ZLV sind Kommentare
ältere Lehrpersonen denn auch besonders häufig. Viele klagen über zu viele
Unterrichtsstunden und über Lohneinbussen. Für Hugi ist diese Altersentlastung
inakzeptabel.
Weiter verlangen die Verbände eine neue
Absenzenregelung, mehr Stunden für die Arbeit der Klassenlehrer und dass
aufwendige Aufgaben wie die Betreuung der Bibliothek wieder entschädigt werden.
Viele Gemeinden integrierten diese Arbeit in den Berufsauftrag und bezahlen sie
nicht mehr separat.
Aus einem anderen Blickwinkel sehen das
neue Regime die Schulleiterinnen und Schulleiter, die mit dem Berufsauftrag ein
neues Führungsinstrument bekommen haben. Laut der Präsidentin des Verbands der
Zürcher Schulleiterinnen und Schulleiter (VSLZH), Sarah Knüsel, ist der
bürokratische Aufwand teilweise zu gross. Zudem gebe es Gemeinden, die den
Berufsauftrag zum Sparen nutzten: «Dort ist der Spielraum für die
Schulleitungen zu klein», sagt Knüsel. Ausserdem ist für den VSLZH die Zeit für
Arbeiten neben dem Unterricht zu knapp bemessen. Wenn etwas Aussergewöhnliches
wie eine Projektwoche geplant sei, werde es vor allem für Schulleiterinnen und
Schulleiter in kleineren Schulen schwierig, weil sie die Zusatzarbeiten nur auf
wenige Köpfe verteilen könnten.
Karin Zulliger ist
Schulleiterin in Uster. Für sie steht und fällt der Erfolg des Berufsauftrags
mit den Schulleitungen, die ihn umsetzen. Am wichtigsten seien die
Kommunikation und eine vertrauensvolle Grundhaltung auf beiden Seiten. «Der
Berufsauftrag ist nicht perfekt und braucht Verbesserungen, aber er schafft
eine nie da gewesene Transparenz.»
Kanton will abwarten
Beim
kantonalen Volksschulamt will man zur Kritik aus der Lehrerschaft keine
Stellung nehmen und verweist auf eine externe Evaluation, die im Herbst 2019
geplant ist. Vorher werde am Berufsauftrag nichts geändert. Bei den
Lehrerverbänden gibt man sich kämpferisch und startet derzeit eine zweite Umfrage.
Noch vor den Herbstferien soll dem Volksschulamt ein definitiver
Forderungskatalog übergeben werden.
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