6. Mai 2018

Türkische Propaganda in Schweizer Schulzimmern?

Tausende Schüler belegen in der Schweiz freiwillig Kurse in türkischer Sprache und Kultur. In Deutschland und Österreich monieren Kritiker seit längerem eine Indoktrination durch den türkischen Staat. Nun erreicht die Diskussion auch die Schweiz.

Türkische Propaganda in Schweizer Schulzimmern? NZZ, 6.5. von Christina Neuhaus


Sonntag, 25. März, in Uttwil, Thurgau. In der Mehrzweckhalle findet eine Veranstaltung statt, die die türkische Schule Romanshorn angemeldet hat. Die Schirmherrschaft hat die türkische Botschaft in Bern. Einer der Höhepunkte ist ein nationalistisches Theaterstück, das sich um die Schlacht von Gallipoli dreht. Laut Videomaterial, das dem «Sonntags-Blick» zugespielt wurde und das dieser in seiner jüngsten Ausgabe veröffentlicht hat, zeigt es knapp sechsjährige Buben, die sich vor einem Riesenposter von Mustafa Kemal Atatürk gegenseitig niederschiessen.

Die Schlacht von Gallipoli ist in der Türkei ein nationaler Mythos. 1915 hatten Briten, Australier und Franzosen versucht, sich den Weg durch die osmanischen Dardanellen freizuschiessen. Der Angriff endete in einem Desaster: Die Alliierten scheiterten an der Abwehr der Jungtürken unter Divisionskommandant Atatürk.
Das Gemetzel von Gallipoli wird von der Regierung Erdogan seit Jahren gross inszeniert. Sie hat den «Tag der Gefallenen», den die Türkei jeweils am 18. März in Erinnerung an die tragischen Ereignisse feiert, zum Symbol für den Sieg des Islams über «westliche Kreuzritter» uminterpretiert.

Schulbehörden haben keinen Einfluss auf den Türkischunterricht

Organisiert wurde das Theater in Uttwil vom Elternbeirat der türkischen Schule St. Gallen. Die Kindergärtler und Primarschüler, die auf der Bühne türkische Helden und westliche Verlierer spielten, gehören laut «Sonntags-Blick» in ihrer Mehrheit zu einer sogenannten HSK-Klasse aus Flawil. Die Abkürzung steht für Heimatliche Kultur und Sprache. Es handelt sich um freiwillige Kurse für Kinder aus Migrantenfamilien, die von den jeweiligen Botschaften oder Kulturvereinen angeboten werden. Die Teilnahme ist freiwillig. Schülerinnen und Schüler, die sich für einen HSK-Kurs entscheiden, werden für diese Zeit vom Unterricht freigestellt. Die Besuche können im Schweizer Schulzeugnis benotet werden. Meist stellen die Volksschulen auch die Räumlichkeiten zur Verfügung.
HSK-Kurse müssten eigentlich politisch, konfessionell und wirtschaftlich neutral sein. Es gibt sie in Türkisch, Tamilisch, Italienisch, Spanisch oder auch Arabisch. Der Türkischunterricht ist in der Vergangenheit allerdings immer wieder in den Verdacht der Indoktrination geraten. Die Lehrerinnen und Lehrer schickt der türkische Staat, der Unterricht folgt dem türkischen Lehrplan.

Dieser Umstand sorgte vor einem Jahr in Basel-Stadt für eine breit diskutierte politische Kontroverse. Eine grüne Politikerin hatte den Basler Regierungsrat aufgefordert, den HSK-Unterricht unter die Aufsicht des kantonalen Erziehungsdepartements zu stellen. In seiner jetzigen Form sei er tendenziös bis propagandistisch. Der Basler Regierungsrat beantwortete die Interpellation jedoch abschlägig: Den HSK-Unterricht zu integrieren, wäre zu aufwendig und teuer. Das Erziehungsdepartement nahm die Lehrerinnen und Lehrer gegen die Kritik in Schutz. Sie seien europafreundlich und verstünden sich als Brückenbauer zwischen den Kulturen, sagte die HSK-Zuständige gegenüber Radio SRF.
Auch in St. Gallen sahen die Schulbehörden bis jetzt keinen Anlass, die Türkischkurse auf Neutralität hin zu prüfen. Der Leiter des kantonalen Amts für Volksschule liess sich im «Sonntags-Blick» lediglich mit dem Satz zitieren: «Der HSK-Unterricht ergänzt den Sprachunterricht in der Regelklasse, da sich die jeweiligen Lernprozesse wechselseitig positiv beeinflussen.»

Die Theateraufführung in Uttwil ist kein Einzelfall. Im solothurnischen Biberist etwa wurden die osmanischen Heldentaten am 18. März ebenfalls gross inszeniert. Organisatorin war die Türkisch-Islamische Stiftung für die Schweiz, ein Ableger des Religionsministeriums Diyanet in Ankara. Weitere Kriegsfeiern fanden laut «Sonntags-Blick» in türkischen Moscheen im Kanton Aargau statt, darunter in Buchs und Aarburg. Die Erlöse der Veranstaltungen fliessen an die Mehmetçik-Stiftung, die Kriegsveteranen der türkischen Armee unterstützt.

In Deutschland und Österreich schon lange ein Thema

In Deutschland und Österreich ist Staatspropaganda im Türkischunterricht seit Jahren ein Thema. Ende 2016 sagte die deutsche CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die Indoktrination von Kindern im sogenannten Konsulatsunterricht müsse verhindert werden. Der hessische Beamtenbund forderte unter dem Motto «Erdogan sitzt in unseren Klassenzimmern» die Rückkehr des muttersprachlichen Unterrichts unter die Aufsicht der Bundesländer, und die Konferenz der Kultusminister räumte Probleme mit dem Türkischunterricht ein.
Auch über die Gallipoli-Gedenkveranstaltungen berichten österreichische und deutsche Medien breit. Die Wiener Stadtzeitung «Falter» veröffentlichte kürzlich Fotos, die belegen sollten, dass bereits im Jahr 2016 Schlachten mit Kindern nachgestellt wurden. In Deutschland fanden laut Recherchen des Senders WDR im März bundesweit mehr als 80 Gedenkveranstaltungen statt, in denen Kinder als Soldaten des Ersten Weltkriegs auftraten. Organisiert wurden die Inszenierungen vom grössten Moscheeverband Europas, Ditib, der schon mehrfach wegen Propaganda und Bespitzelung in der Kritik stand.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen