Ich bin keine Tiger-Mom.
Zwar zitiere ich oft Amy Chuas Buch «Die Mutter des Erfolgs»: «Ist’s beim
nächsten Mal nicht perfekt, verbrenn’ ich deine Stofftiere.» Aber natürlich
nicht im Ernst, sondern als Running Gag. Bis jetzt erledigen unsere Kinder
zumindest die Hausaufgaben, wenn nicht immer topkonzentriert und makellos, so
doch meist ohne Drill und Drohungen. Das ist eine ganze Menge, finde ich.
Wieviel Drill braucht ein Kind, Tages Anzeiger, Mamablog, 7.5. von Mirjam Oertli
Nur hie und
da überkommen mich Bedenken: wenn sie zum Beispiel beim Einmaleins grad nicht
die Beschleunigungsfähigkeit eines schnittigen Sportwagens zeigen. Oder wenn
der anfängliche Enthusiasmus am Klavier nicht weiter reicht als bis «Alle meine
Entlein» mit Schluckauf. Dann höre ich manchmal dieses leise Tiger-Knurren in
mir und wundere mich, ob wir sie nicht mehr «pushen» müssten. Man weiss ja, der
globale Wettbewerb…
Was
reingepaukt wird…
Ohne Lernen klappts nicht
mit dem Medizinstudium. Und ohne zu üben, wird niemand Konzertpianist. Selbst
wenn sich unter den kindlichen Berufswünschen weder Medizinerin noch Musiker
finden: Man hat eine elterliche Verantwortung, die Kleinen auf einen guten Weg
zu führen. Was immer das heisst. Trotzdem: Ein bisschen ungut ist mir doch
zumute, wenn ich mich bei oben geschilderten Gedanken ertappe.
Denn ist es nicht bloss
eine schöne Illusion, zu glauben, erzieherischer Input ziehe stets den
geplanten Output nach sich? Der US-amerikanische Essayist Adam Gopnik
rezensierte im «The New Yorker» kürzlich einige
Erziehungsbücher. Dabei stellte er genau die Haltung infrage, Kindheit als
Kette von Ursachen zu sehen, die zu einem bestimmten Effekt führten. Also: Du
tust dies, dann passiert das. Du lernst jetzt, dann bekommst du gute Noten. Mit
guten Noten schaffst du den Übertritt. Auf der nächsten Stufe wirst du… Das
liesse sich endlos weiterspinnen. Klingt ja sehr plausibel. Doch Ketten
menschlicher Kausalität, so Gopnik, seien lang. Und in jedem Leben tauchten
irgendwann negative Konsequenzen der Erziehung auf: wenn also das gedrillte
Kind sich zum Beispiel auch als Erwachsener nur über Leistung definiert und
depressiv wird. Oder der gepushte Teenager sein Instrument in die Ecke knallt
und sich abwendet.
Spiel
und Freude
Natürlich kann auch ein
nicht zu Leistung gedrängtes Kind genau dieses Nichtdrängen den Eltern später
vorhalten. Es wäre also wohl falsch, zu folgern, dass wir einfach gar nichts
tun sollten. Vielmehr verstehe ich es so: Unser langfristiger Einfluss ist
weniger kontrollierbar, als wir annehmen. Lohnenswerter als gedanklich stets in
einer unbestimmten Zukunft zu schweben, könnte daher der Blick auf die
Gegenwart sein. Gopnik erwähnt dazu den russischen Philosophen Alexander
Herzen, der sagte: «Wir glauben, der Zweck eines Kindes sei es, gross zu
werden, denn schliesslich wird es ja gross. Dabei ist der Zweck eines Kindes,
zu spielen, sich zu freuen, ein Kind zu sein.»
Kindern muss man das ja
nicht zweimal sagen. Mir aber entgeht es zuweilen. Viele Momente des Spiels und
der Freude sind meinen Kindern so wohl schon abhandengekommen, weil sie halt
doch noch dieses, das oder jenes auf morgen zu erledigen, zu üben oder zu
lernen hatten – und wir halt doch dafür sorgen wollten, sollten oder mussten
(die Grenzen sind ja fliessend), dass sie es tun.
In
der freien Zeit zeigt sich, was Freude macht
Natürlich muss, wer
erzieht, hie und da die Zukunftsperspektive einnehmen. Und klar gibt es Dinge,
wie etwa Hausaufgaben, die zu erledigen sind. Wenn nicht, um später erfolgreich
zu sein, so doch zumindest, um morgen kein Problem zu haben. (Wenn es möglich
ist, sie heute mit Spass zu machen: umso besser.)
Ich möchte also weder auf
vorausschauendes Handeln verzichten noch die Verweigerung aller Pflichten
propagieren. Aber gelegentlich abzuwägen zwischen «morgen» und «jetzt», der
Pflicht und der Freude, dem x-ten Abfragen der Französisch-Wörtli und einem
lustigen Spiel: Wäre so falsch wohl auch nicht. Zumal sich manchmal erst in
freier Zeit zeigt, woran Kinder wirklich Freude haben, was sie tun, weil sie es
tun wollen, und wobei sie vielleicht von selbst feststellen, dass es hier und
jetzt Spass machen kann, sich Fähigkeiten anzueignen. Und zumal Alexander
Herzens Zitat noch weitergeht: «Wenn wir uns nur auf das Ende des Prozesses
konzentrieren, dann ist der Zweck des Lebens der Tod.» Ich fasse das als Einladung
zum Versuch auf, den Moment mehr zu feiern – und sehe weiterhin von allzu viel
Tiger-Momism ab.
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