Der Kanton St. Gallen will in der
Oberstufe den Unterricht in Niveaugruppen einführen. Der Thurgau hingegen hat
dies bereits vor einem Jahrzehnt flächendeckend umgesetzt. Auch Appenzell
Ausserrhoden ist weiter.
St. Gallen will Niveaugruppen in der Oberstufe - Thurgau und Ausserrhoden sind schon weiter, Ostschweiz am Sonntag, 22.4. von Michael Genova
Die St.Galler Regierung will, das Sek und Real stärker zusammenwachsen. Gemeinsam mit dem Erziehungsrat schlägt sie deshalb vor, dass in der Oberstufe flächendeckend der Unterricht in Niveaugruppen eingeführt wird. Morgen berät der St.Galler Kantonsrat in erster Lesung über eine entsprechende Vorlage.
Mit der Einführung von Niveaugruppen will der Kanton eine höhere
Durchlässigkeit zwischen Sekundar- und Realschule erreichen. Schülerinnen und
Schüler mit einseitigen Begabungen sollen so besser gefördert werden.
Obligatorium ist umstritten
Seit 2012 können St.Galler Oberstufen den Niveaugruppenunterricht
freiwillig einführen. Bislang hat dies rund ein Drittel der 77
Oberstufenzentren getan. Die Regierung will jedoch ein Obligatorium im
Volksschulgesetz verankern. Dagegen wehrt sich die vorberatende Kommission. Sie
fordert, die Entscheidung über die Einführung von Niveaugruppen müsse
weiterhin den lokalen Schulbehörden überlassen werden. Ebenfalls gesetzlich
verankert werden sollen typengemischte Klassen in der Oberstufe – dass also
Real- und Sekundarschüler gemeinsam unterrichtet werden.
Worüber in St.Gallen noch debattiert wird, ist in den Nachbarkantonen
längst Realität. Fast schon ein Jahrzehnt Erfahrung hat der Kanton Thurgau mit
seiner reformierten Oberstufe, der sogenannten durchlässigen Sekundarschule. Im
Jahr 2006 beschloss der Regierungsrat, dass die Thurgauer Schulgemeinden das
neue Schulkonzept bis spätestens zu Beginn des Schuljahres 2009/2010 einführen
müssen. Mit dem neuen Modell verschwand die starre Aufteilung zwischen Real-
und Sekundarschule. Ebenfalls weggefallen ist die Bezeichnung Realschule. Heute
gibt es zwei Stammklassen, die Sekundarschule G (grundlegende Anforderungen)
und die Sekundarschule E (erweiterte Anforderungen).
Für die Durchlässigkeit sorgt der Niveauunterricht in einzelnen Fächern.
Dazu zählen Mathematik und mindestens eine Fremdsprache. Der Niveauunterricht
findet in drei Stufen statt.
Der Übertritt von der Primarschule in die Sekundarschule ist
prüfungsfrei. Schülerinnen und Schüler werden je nach Stärke in eine der beiden
Stammklassen eingeteilt. Laut Beat Brüllmann, Leiter des Thurgauer Amts für
Volksschule, ist die durchlässige Sekundarschule nach anfänglicher Skepsis in
der Bevölkerung und teils auch bei der Lehrerschaft mittlerweile breit
akzeptiert. So gebe es zum Beispiel nur wenige Kinder, die sich gegen einen
Zuteilungsentscheid wehrten, sagt Brüllmann. Als Hauptgrund dafür sieht er die
Durchlässigkeit des Systems. «Wenn ein Kind den Knopf aufgemacht hat, kann es
problemlos umgestuft werden.» Jeweils zu Semesterende können Schülerinnen und
Schüler sowohl die Stammklasse als auch die Niveaueinteilung wechseln.
Zuletzt überprüfte der Kanton Thurgau im Jahr 2015 das Schulmodell.
Kritiker bemängelten, dass nicht in allen Schulgemeinden dieselben Kriterien
bei der Einteilung in Stammklassen zur Anwendung kämen. «Die
Chancengerechtigkeit steht ihm Zentrum», sagt Brüllmann. Deshalb habe der
Kanton als Reaktion darauf Richtlinien für Umstufungen erlassen. Es sei
wichtig, dass bei der Beurteilung von Schülerinnen und Schülern nicht nur die
Noten eine Rolle spielten, sondern auch das Lernverhalten und das individuelle
Entwicklungspotenzial.
Auch Appenzell Ausserrhoden hat schon mehrere Jahre Erfahrung mit neuen
Oberstufenmodellen. Am häufigsten verbreitet seien Sekundarschulen mit
Unterricht in Niveaugruppen, sagt Dominik Schleich, Leiter des Ausserrhoder
Amts für Volksschule. Niveaugruppen gebe es aber nur in drei bis vier Fächern.
Einige Gemeinden setzen auch auf integrierte Modelle. Der Unterricht findet
dort in heterogenen Gruppen statt – es gibt also keine Stammklassen.
Autonome Ausserrhoder Schulgemeinden
Laut Schleich setzen die Schulen den Unterricht in Niveaugruppen
erfolgreich um. Auch Ausserrhoder Lehrerinnen und Lehrer schätzten die
Durchlässigkeit des Systems. Viele Schüler seien hochmotiviert, im erreichten
Niveau zu bleiben oder aufzusteigen, sagt Schleich. Darüber hinaus profitierten
Lehrpersonen von der fachlichen Zusammenarbeit mit anderen Expertinnen und
Experten bei der Vorbereitung des Niveauunterrichts. Die Einführung von
Niveaugruppen ist in Appenzell Ausserrhoden nicht obligatorisch. Laut Schleich
steht es den Schulgemeinden frei, wie sie den Unterricht organisieren. Geteilte
Schulmodelle seien jedoch nicht mehr vorgesehen.
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