5. April 2018

Keine Hochschule zweiter Klasse

Als man in der Schweiz ein zweiteiliges Hochschulsystem etablierte, in dem die universitären Hochschulen eine grundlagen- und die Fachhochschulen eine praxisorientierte Ausrichtung verfolgen sollen, hätte man sicherstellen müssen, dass die an universitären Hochschulen angesiedelten praxisorientierten Bereiche mittel- und langfristig zurückgefahren und an Fachhochschulen aufgebaut werden.
Keine Hochschule zweiter Klasse, NZZ, 5.4. von Hermann Forneck


Als Folge dieser Versäumnisse existieren die universitären Hochschulen in Lehre und Forschung als sogenannte Mischinstitutionen weiter und haben in den letzten Jahren ihre praxisorientierte Forschung sogar ausgeweitet. Von Beginn an ist also das duale Hochschulsystem entgegen der politischen Semantik nie realisiert worden, weil die universitären Hochschulen nicht auf die Logik eines dualen Hochschulsystems verpflichtet wurden.

Wenn man eine Brücke über einen Fluss baut, dann nutzt man wissenschaftlich gesichertes, also durch grundlagenorientierte Forschung hervorgebrachtes exaktes Wissen, um eine bestimmte Brücke an dieser Stelle, mit dieser Topografie, diesen Windverhältnissen, Belastungen, dieser Spannweite usw. zu bauen.
Der Praktiker begegnet also praktischen Anforderungen unter Zuhilfenahme wissenschaftlichen Wissens. Dies ist mehr als die Anwendung von Wissen, es ist eine einmalige praktische Leistung, durch die nicht standardisierbare Problemlagen gelöst werden.

Um dies zu können, müssten sich Studierende an Fachhochschulen in einer Bachelorphase zunächst ein fundiertes Wissen über ein wissenschaftliches Fachgebiet aneignen. Darauf aufbauend, sollten sie in einer Masterphase die Fähigkeit zu einer wissenschaftsbasierten Problemlösung erwerben.

Da man vielerorts der Auffassung ist, ein Fachhochschulstudium sei ein abgespecktes universitäres Studium und mit einem Bachelorabschluss sei es getan, begrenzt man die Zahl der Masterstudiengänge an Fachhochschulen. Somit wird in einem zweiten zentralen Bereich die Herausbildung einer sinnvollen Studienstruktur und eines konzeptionell angemessen praxisorientierten Studienprofils politisch behindert.

In der forschend-entwickelnden Verbindung des sich weiterentwickelnden standardisierten wissenschaftlichen Wissens und praktischer Problemlösungen liegt das eigentliche Arbeitsgebiet von Fachhochschulen. Das nennt man international nutzenorientierte Grundlagenforschung, ein Bereich, der immer bedeutsamer wird.

Das wissenschaftliche Personal an Fachhochschulen muss eine besondere Virtuosität und Vermittlungsfähigkeit für diese eigentlich praktische akademische Kompetenz aufweisen. International ist anerkannt, dass man dafür in der Lage sein muss, eine nutzenorientierte Forschung und Entwicklung eigenständig durchzuführen.

Diese Qualifikation weist man mit einer entsprechenden Doktorarbeit nach. Wenn man also politisch zwei unterschiedliche und gleichwertige Hochschultypen will, dann muss man diesen auch die unterschiedliche Qualifizierung ermöglichen und damit das Promotionsrecht geben.

Alles andere ist nicht zu Ende gedacht, konterkariert das selbstdeklarierte politische Ziel und verkennt die strategische Bedeutung unterschiedlicher Qualifikationswege der beiden Hochschultypen.

Erfolgreiche Hochschulen zeichnen sich u. a. durch schlanke, wenig aufwendige administrative Prozesse, durch hohe Autonomiegrade nach aussen und innen und durch eine Führungskultur, in der die Autonomie von Experten und deren Eigenlogik anerkannt und nicht durch Managementprozesse übersteuert wird, aus. Diesen Kriterien entsprechen die schweizerischen universitären Hochschulen weitgehend, nicht aber die Fachhochschulen. Letztere weisen überwiegend eine interne weisungsgebundene hierarchische Struktur auf, die eine eigentliche Hochschulkultur nicht befördert. Dadurch wird eine eigenlogische Entwicklung praxisorientierter Hochschulen, in der das wissenschaftliche Personal in fachlichen Fragen eine gewisse Autonomie hat, zumindest behindert.

Wenn man den Fachhochschulen die praxisorientierten Alleinstellungsmerkmale, die praxisorientierte Studienstruktur, die Herausbildung eines auf praktische Problemlösung hin qualifizierten wissenschaftlichen Personals und eine Hochschulstruktur, in der eine eigenständige praxisorientierte Fachlichkeit die interne Kultur bestimmt, versagt, dann ist die politische Semantik von den unterschiedlichen, aber gleichwertigen Hochschultypen wenig glaubwürdig. Volkswirtschaftlich vernichtet man auf diese Weise ungeheure Entwicklungspotenziale des Hochschulsystems und damit wirtschaftliche Produktivkraft.

Hermann J. Forneck ist em. Professor für Erziehungswissenschaft, er war Direktor der Pädagogischen Hochschule FHNW.


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