Als man in der Schweiz ein zweiteiliges Hochschulsystem etablierte, in
dem die universitären Hochschulen eine grundlagen- und die Fachhochschulen eine
praxisorientierte Ausrichtung verfolgen sollen, hätte man sicherstellen müssen,
dass die an universitären Hochschulen angesiedelten praxisorientierten Bereiche
mittel- und langfristig zurückgefahren und an Fachhochschulen aufgebaut werden.
Keine Hochschule zweiter Klasse, NZZ, 5.4. von Hermann Forneck
Als Folge dieser Versäumnisse existieren die universitären Hochschulen
in Lehre und Forschung als sogenannte Mischinstitutionen weiter und haben in
den letzten Jahren ihre praxisorientierte Forschung sogar ausgeweitet. Von
Beginn an ist also das duale Hochschulsystem entgegen der politischen Semantik
nie realisiert worden, weil die universitären Hochschulen nicht auf die Logik
eines dualen Hochschulsystems verpflichtet wurden.
Wenn man eine Brücke über einen Fluss baut, dann nutzt man
wissenschaftlich gesichertes, also durch grundlagenorientierte Forschung
hervorgebrachtes exaktes Wissen, um eine bestimmte Brücke an dieser Stelle, mit
dieser Topografie, diesen Windverhältnissen, Belastungen, dieser Spannweite
usw. zu bauen.
Der Praktiker begegnet also praktischen Anforderungen unter Zuhilfenahme
wissenschaftlichen Wissens. Dies ist mehr als die Anwendung von Wissen, es ist
eine einmalige praktische Leistung, durch die nicht standardisierbare
Problemlagen gelöst werden.
Um dies zu können, müssten sich Studierende an Fachhochschulen in einer
Bachelorphase zunächst ein fundiertes Wissen über ein wissenschaftliches
Fachgebiet aneignen. Darauf aufbauend, sollten sie in einer Masterphase die
Fähigkeit zu einer wissenschaftsbasierten Problemlösung erwerben.
Da man vielerorts der Auffassung ist, ein Fachhochschulstudium sei ein
abgespecktes universitäres Studium und mit einem Bachelorabschluss sei es
getan, begrenzt man die Zahl der Masterstudiengänge an Fachhochschulen. Somit
wird in einem zweiten zentralen Bereich die Herausbildung einer sinnvollen
Studienstruktur und eines konzeptionell angemessen praxisorientierten
Studienprofils politisch behindert.
In der forschend-entwickelnden Verbindung des sich weiterentwickelnden
standardisierten wissenschaftlichen Wissens und praktischer Problemlösungen
liegt das eigentliche Arbeitsgebiet von Fachhochschulen. Das nennt man
international nutzenorientierte Grundlagenforschung, ein Bereich, der immer
bedeutsamer wird.
Das wissenschaftliche Personal an Fachhochschulen muss eine besondere
Virtuosität und Vermittlungsfähigkeit für diese eigentlich praktische
akademische Kompetenz aufweisen. International ist anerkannt, dass man dafür in
der Lage sein muss, eine nutzenorientierte Forschung und Entwicklung
eigenständig durchzuführen.
Diese Qualifikation weist man mit einer entsprechenden Doktorarbeit
nach. Wenn man also politisch zwei unterschiedliche und gleichwertige
Hochschultypen will, dann muss man diesen auch die unterschiedliche
Qualifizierung ermöglichen und damit das Promotionsrecht geben.
Alles andere ist nicht zu Ende gedacht, konterkariert das
selbstdeklarierte politische Ziel und verkennt die strategische Bedeutung
unterschiedlicher Qualifikationswege der beiden Hochschultypen.
Erfolgreiche Hochschulen zeichnen sich u. a. durch schlanke, wenig
aufwendige administrative Prozesse, durch hohe Autonomiegrade nach aussen und
innen und durch eine Führungskultur, in der die Autonomie von Experten und
deren Eigenlogik anerkannt und nicht durch Managementprozesse übersteuert wird,
aus. Diesen Kriterien entsprechen die schweizerischen universitären Hochschulen
weitgehend, nicht aber die Fachhochschulen. Letztere weisen überwiegend eine
interne weisungsgebundene hierarchische Struktur auf, die eine eigentliche
Hochschulkultur nicht befördert. Dadurch wird eine eigenlogische Entwicklung
praxisorientierter Hochschulen, in der das wissenschaftliche Personal in
fachlichen Fragen eine gewisse Autonomie hat, zumindest behindert.
Wenn man den Fachhochschulen die praxisorientierten
Alleinstellungsmerkmale, die praxisorientierte Studienstruktur, die
Herausbildung eines auf praktische Problemlösung hin qualifizierten
wissenschaftlichen Personals und eine Hochschulstruktur, in der eine
eigenständige praxisorientierte Fachlichkeit die interne Kultur bestimmt,
versagt, dann ist die politische Semantik von den unterschiedlichen, aber
gleichwertigen Hochschultypen wenig glaubwürdig. Volkswirtschaftlich vernichtet
man auf diese Weise ungeheure Entwicklungspotenziale des Hochschulsystems und
damit wirtschaftliche Produktivkraft.
Hermann J. Forneck ist em.
Professor für Erziehungswissenschaft, er war Direktor der Pädagogischen
Hochschule FHNW.
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