27. März 2018

Von der Gleichwertigkeit aller Menschen

Um im Auftrag Gottes den neuen König zu finden, musterte der Richter Samuel alle Söhne Isais und erkannte jedes Mal: Auch diesen hat der Herr nicht erwählt (1. Samuel 16,8). Zuletzt präsentierte Isai seinen Jüngsten namens David, dem er keine Chance eingeräumt und den er auf der Schafweide gelassen hatte. Aber genau der sollte König werden! Der König Saul, dessen Nachfolge zu regeln war, war seinerzeit als junger, schöner und tüchtiger Krieger berufen worden und hatte alle überragt (9,2). Nun hatte ihn Gott verworfen. Sauls tragischer Abstieg und Davids Aufstieg zeigen, dass die mensch­liche Gesellschaft durchlässig sein soll. Im ­Nobody steckt ein König und umgekehrt. Die Bibel verdeutlicht die Gleichwertigkeit – nicht Gleichheit – aller Menschen noch mit vielen weiteren Geschichten. Und die Moderne hat dieses Prinzip in hohem Masse realisiert. Der Aufstieg, wenn auch nicht bis zum Thron, steht jedem offen, der tüchtig ist und Glück hat. Auch die Bildungssysteme des Abendlandes waren lange darauf angelegt, alle Schüler optimal zu fördern, wo nötig in Sonderklassen.
Abstieg und Aufstieg, Weltwoche, 23.3. von Peter Ruch


Vermutlich haben wir diesen Zenit überschritten und steigen ab. Genauer: Das neue Schulsystem bewirkt, dass nicht mehr alle aufsteigen können. Eltern lotsen ihre Kinder kostspielig ins Gymnasium. Lehrlinge ohne Berufsmatur riskieren Geringschätzung. Dieser gesellschaftliche Defekt wird mit der Etikette «Integration» überkleistert. Durch Integration bleiben aber Lernschwache liegen. Manche Berufe wurden akademisiert, um mehr Anerkennung und höhere Lohnklassen zu erreichen. Beides ist peinlich, und das zweite klappt weitgehend nur beim Staat. Fachhochschulen spielen Uni und vernachlässigen den Praxisbezug. Was zum Beispiel ich in der Stifti gelernt habe, war fürs Leben ebenso wertvoll wie der Schulsack der Abendmatura und der Universität. Die Nachprüfung unseres Denkens sowie des verdrehten Schulsystems ist fällig. Denn die Gleichwertigkeit aller Menschen ist die Basis des gedeihlichen Zusammenlebens.

Peter Ruch, ursprünglich Handwerker, absolvierte ein Abendgymnasium und war nach dem Theologiestudium 35 Jahre lang reformierter Pfarrer in drei Gemeinden.


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