29. März 2018

Schwierige Eltern

Für Lehrer ist der Kontakt zu Eltern in den vergangenen Jahren belastender geworden. Einige versuchen bereits im Kindergarten, auf die Bildung ihrer Kinder Einfluss zu nehmen.
Angriffe von allen Seiten: Wenn Eltern Lehrer belehren, St. Galler Tagblatt, 28.3. von Silvan Meile


Eine junge Lehrerin setzt einen Hilferuf ab: «Ich hatte letzte Woche den Elternabend zum Thema Übertritt in die Sekundarstufe. Einige Eltern üben jetzt Druck auf mich aus, damit ihr Kind in die Sek E kommt.» Die Lehrerin fühlt sich von allen Seiten angegriffen, heisst es in einem Artikel im Schulblatt des Kantons Thurgau: Ein Vater sagt, sein Sohn werde zu streng benotet. Eine Mutter findet, ihre Tochter lerne nicht genug, weil sie zu wenig Hausaufgaben bekomme. Und eine andere Mutter kritisiert, dass die Prüfungen zu spät angekündigt werden. Der Lehrerin wird das zu viel. Sie wendet sich schliesslich an die Schulberatung des kantonalen Amtes für Volksschule. 

Professionalität der Lehrer wird in Frage gestellt
Beim Lehrerverband Bildung Thurgau ist dieses Problem bekannt. «In den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren ist für Lehrpersonen die Elternarbeit sehr belastend geworden», sagt Verbandspräsidentin Anne Varenne. «Ich vernehme aus Lehrerkreisen immer wieder, dass Eltern wegen des Entscheids der Typen- oder Niveau-Zuteilung für den Übertritt in die Sekundarschule intervenieren.» Früher hätten die Eltern den Entscheid einer Lehrperson verständnisvoller akzeptiert.

Eine verstärkte Einflussnahme der Eltern stellt auch das kantonale Amt für Volksschule fest. «Schon ab dem Kindergarten», sagt Amtschef Beat Brüllmann. Das habe durchaus auch positive Aspekte, wenn sich die Eltern vermehrt für die ideale Förderung ihrer Kinder interessieren. Problematisch werde es dann, wenn die Eltern mehr Leistung von ihrem Kind fordern, als dieses in der Lage ist, tatsächlich zu erbringen. Hier sei es besonders wichtig, dass sich Eltern und Lehrer in einem konstruktiven Gespräch auf gemeinsame Ziele festlegen, sagt Brüllmann. Das gelinge in den meisten Fällen, aber nicht in allen.
Wenn an den Elterngesprächen völlig unterschiedliche Ansichten über die Leistung des Kindes aufeinanderprallen, zerrt das an der Substanz der Pädagogen. «Die Lehrperson wird in ihrer Professionalität in Frage gestellt», sagt Brüllmann. Besonders junge Lehrer stecken das nicht einfach weg. Ein Studienabgänger aus dem betreuten Umfeld einer pädagogischen Hochschule spürt so plötzlich den rauen Wind der Realität.
 
Rückgang bei den Übertrittsprüfungen
Bei Problemen zwischen Eltern und Lehrern wird zuerst die Schulleitung beigezogen. Auch können sich die Lehrer an die Schulberatung des Kantons wenden. Wenn die Eltern vor dem Übertritt in die Sekundarstufe den Entscheid der Einteilung nicht akzeptieren, können sie für ihr Kind eine kantonale Übertrittsprüfung verlangen. Trotz zunehmender Einflussnahme der Eltern in den Bereich der Schule hat sich genau in diesem Bereich die Situation offensichtlich entspannt. Brüllmann stellt fest: «2001 haben noch sieben Prozent der Schüler vor dem Übertritt in die Sekundarschule diese Prüfung absolviert. 2017 waren es noch drei Prozent.» Den Grund für diesen Rückgang sieht der Amtsleiter in der durchlässigen Sekundarschule.

Die starre Einteilung in Sek und Real ist im Thurgau 2009 komplett verschwunden. Heute erfolgt die Zuordnung nach der sechsten Klasse in die Sekundarstufe E (erweitere Anforderungen) und G (grundlegende Anforderungen). Die schulische Stärke entscheidet über die Stammklasse. Für die Durchlässigkeit sorgt ein Niveau-Unterricht in Mathematik und mindestens einer Fremdsprache. Unabhängig von der Stammklasse werden die Schüler dort in eines von zwei oder drei Niveaus eingeteilt. Vor allem im ersten Jahr sind sowohl Auf- und Abstufungen des Leistungsniveaus möglich, betont Brüllmann.
Doch Lehrer müssen den Bezugspersonen das System oft erklären. «Man muss den Eltern klar machen, dass mit einer Einteilung in Typ G nicht alle Züge abgefahren sind», sagt Anne Varenne vom Lehrerverband. Vor allem mit dem heutigen Angebot an Fachhochschulen bieten sich auch später viele Möglichkeiten. Ein Übertritt in die Kantonsschule ist aber nur für Schüler der Stammklasse E vorgesehen.
 
Hilfe vom Schulleiter und der Schulberatung
Die Schulberatung des Kantons hat den Hilferuf der jungen Lehrerin gehört. In Beratungsgesprächen entscheidet sie, wie sie den Eltern und ihren Forderungen begegnen soll. Für ein besonders schwieriges Elterngespräch beschliesst sie, den Schulleiter beizuziehen, der ihr den Rücken stärkt. So gelingt es ihr, mit dem Druck der Eltern umzugehen und ihren Standpunkt bezüglich Notengebung und Einstufung in die Sekundarschule selbstbewusst zu vertreten.


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