Als an Stelle der Kindergärtnerin erneut eine Aushilfe vor der Klasse
stand, hatte die Fünfjährige – nennen wir sie Nina – genug. Sie wolle nicht
mehr in den Kindergarten an der Rieterstrasse im Stadtzürcher Kreis 2, sagte
das Mädchen ihrer Mutter. Diese hatte mehr als Verständnis für den Unmut ihrer
Tochter: Seit vergangenem Sommer hätten sich die Lehrpersonen der
Kindergartenklasse in hoher Kadenz abgelöst. «Das kann doch nicht sein!», sagt
die Mutter.
Lehrerkarrussell im Kindergarten, Tages Anzeiger, 27.3. von Lorenzo Petrò
Tatsächlich ist eine neue Lehrperson alle paar Wochen eine katastrophale
Bilanz für einen Kindergarten in der Stadt Zürich. Laut Volksschulamt legt man
hier besonderen Wert auf starke Lernbeziehungen, auf ein stabiles Lernumfeld.
Die vielen Wechsel können eine starke Belastung sein: «Gerade für sensible
Kinder», sagt Ninas Mutter. Sie hat ihre Tochter vorübergehend krankschreiben
lassen.
Schon in der zweiten Woche ausgefallen
Begonnen hatte die Misere in der Schule Manegg bereits in der zweiten
Woche nach den Sommerferien 2017. Wegen einer schwierigen Schwangerschaft
musste Ninas junge Kindergärtnerin im Bett liegen, vorerst für ein paar Tage.
Die Kinder des Kindergartens Rieterstrasse wurden auf andere Klassen verteilt,
wie das üblich ist in solchen Fällen. Für die darauffolgende Woche wurde eine
Vikarin engagiert. Diese konnte aber nicht länger unterrichten, als klar wurde,
dass die Kindergärtnerin weitere zwei Wochen abwesend sein würde. Die
stellvertretende Schulleiterin sprang für einen Tag ein, eine Stellvertretung,
die für den nächsten Tag organisiert wurde, stellte sich als ungeeignet heraus,
worauf die schulische Heilpädagogin den Unterricht übernahm.
Zu viel für zwei Eltern: Diese wandten sich in einem Brief an die
Kreisschulpflege. Präsident Roberto Rodriguez (SP) versprach Besserung. Es sei
der Schule ein Anliegen, den Kindern in ihrem Kindergarten – genauso wie in
jedem anderen – eine stabile und ruhige Entwicklung zu ermöglichen, antwortete
er. Rodriguez fasste die vergangenen Wechsel in seinem Schreiben zusammen,
äusserte Bedauern und konnte gleichzeitig verkünden, dass eine Vikarin bis zu
den Herbstferien verpflichtet werden konnte. Und eine weitere, die die Kindergartenklasse
zwischen Herbst- und Sportferien dieses Jahres übernimmt. Danach sollte erstere
zurückkehren und bis zum Ende des Schuljahres die Klasse übernehmen.
Dass es nun erneut zu einem Lehrerwechsel gekommen sei, sei zwar
bedauerlich, aber dem Winter geschuldet, sagt Rodriguez. «Leider war die
Kindergärtnerin mit einer Grippe ein paar Tage abwesend, und wir mussten sie
diese paar Tage stellvertreten lassen.» Ansonsten sei die im Schreiben vom
letzten Herbst beschriebene Planung genau eingetroffen. Die Lehrerin sei gemäss
Schulleitung Ende Woche bereits wieder vor der Klasse gestanden. Gemäss den
Informationen von Rodriguez standen sieben verschiedene Lehrpersonen vor der
Klasse. Ein Aussage, die Ninas Mutter bestreitet. Ihrer Ansicht nach waren es
mehr als sieben.
Den Schulen sind die Hände gebunden
Häufige Wechsel der Kindergartenlehrerin seien nicht gut, sagt
Rodriguez. «Die Beziehung zur Lehrerin oder zum Lehrer ist wichtig für den
Bildungserfolg der Kinder.» Rodriguez macht aber darauf aufmerksam, dass den
Schulen bei krankheitsbedingten Ausfällen die Hände gebunden seien; die Rechte
der Arbeitnehmenden seien wichtig. «Aber sie können im Einzelfall auch die
Stabilität einer Stellvertretung in der Schule beeinträchtigen.»
So geniessen krankgeschriebene oder schwangere Mitarbeiterinnen einen
Kündigungsschutz. Sie haben also jederzeit das Recht, an ihren Arbeitsplatz
zurückzukehren, weshalb Vikare nur befristet angestellt werden könne. Diese
sind also selber weiterhin auf Stellensuche, verlassen die Vikariatsstelle
deshalb oft nach wenigen Wochen wieder. Zudem ist es nur möglich, einen Vikar
anzustellen, wenn ein Arztzeugnis vorliegt. Ist sich eine erkrankte Person der
Schwere ihrer Krankheit nicht bewusst oder informiert ihre Vorgesetzten
unzureichend, sind diese auf kurzfristige Behelfslösungen angewiesen.
Schulpräsident Rodriguez stellt deshalb in Fällen, in denen die Rückkehr einer
krankgeschriebenen Lehrperson als wenig wahrscheinlich erscheint, den
Schulleitungen zusätzliche Ressourcen zur Verfügung, um eine möglichst hohe
Stabilität in den Klassen zu gewährleisten. Der krankgeschriebenen Lehrperson
ist damit eine Rückkehr an ihren Arbeitsplatz gesichert. Ein Mittel, zu dem er
auch im vorliegenden Fall gegriffen hat. «Das geht allerdings nur in einem grossen
Schulkreis in der Stadt Zürich», sagt Rodriguez. Er ist für 1200 Kindergärtner
in 60 Kindergartenklassen des Schulkreises Uto verantwortlich.
«Kaum mehr Spielraum im System»
Rodriguez’ Kollegin Vera Lang Temperli (FDP), Schulpräsidentin im
Glattal, kennt ähnliche Fälle aus Erfahrung im eigenen Schulkreis. «Auch wenn
das Vorgefallene alles andere als der Regelfall ist.»
Wenn Lehrkräfte in Teilpensen angestellt würden, wie es im Kindergarten
oft der Fall sei, sei die Besetzung von Vikariatsstellen äusserst komplex, sagt
Lang. «Kommt es deshalb zu vielen Wechseln der Lehrperson, ist dies für Eltern
und Kinder belastend.» Für Lang zeigt sich in diesen Einzelfällen aber auch,
dass heute im Schulsystem die Ressourcen maximal ausgenutzt würden: «Es hat
nicht mehr viel Spielraum.» Glücklich könnten sich Schulen schätzen, die auf
einen oder mehrere Schulhausvikare zurückgreifen könnten. «Meist sind das
ehemalige Lehrer im Ruhestand.» Diese seien den Kindern im Schulhaus oft
bereits bekannt. Allerdings kommen auch diese oft nur für kurze Zeit zum
Einsatz.
Mangel an Kindergärtnern ist das Problem
Brigitte Fleuti, Präsidentin des Verbandes Kindergarten Zürich, sieht im
Mangel an Kindergartenlehrpersonen einen weiteren Grund für solche belastenden
Situationen. «Es besteht im Moment bedauerlicherweise wenig Anreiz,
Kindergarten-Lehrperson zu werden, zu sein oder zu bleiben», so Fleuti. Mit der
gleichen Ausbildung verdient man als Primarlehrer nämlich deutlich mehr und hat
erst noch bessere Rahmenbedingungen. Auch deshalb würden sich Lehrpersonen nach
ein paar Kindergartenklassenjahren für den Job als Primarlehrperson
entscheiden. Dort habe man es mit älteren, bereits schulgewöhnten Kindern zu
tun, die auch noch in mehr Halbklassenunterricht unterrichtet würden.
Weil Klassen, die bereits mehrere Vikariate hinter sich haben, den Ruf
hätten, unruhiger, oft etwas «verwildert» zu sein, sei es dann doppelt so
schwer, diese Stellen neu zu besetzen, sagt Fleuti.
Schulpräsident Rodriguez gibt aber zu bedenken, dass jede
herausfordernde Situation auch eine Chance sein könne: «So bietet sich für die
Kinder die Lernmöglichkeit, sich flexibel auf neue Situationen und verschiedene
Bezugspersonen einzustellen.» Eine Kompetenz, die in unserer schnelllebigen
Zeit durchaus gefordert sei.
Eine Schulleitung könne zwar wie im vorliegenden Fall Pech haben bei der
Besetzung einer Stelle, ergänzt Schulpräsidentin Lang Temperli. «Es kann aber
das Gegenteil eintreffen.» So konnte Anfang des Jahres eine Lehrstelle wegen
des Mangels an Lehrpersonen in ihrem Schulkreis Glattal nicht besetzt werden.
Die Klasse musste also mit einem Vikariat starten. Doch der Vikarin gefiel die
Klasse, und sie konnte sie im Anschluss ans Vikariat gleich als Festangestellte
weiterbetreuen. «Man kann eben auch Glück haben.»
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