Ein Streit endet. Die spezielle Förderung an den
Solothurner Schulen steht jetzt im Gesetz. Der Kantonsrat hat das
Volksschulgesetz geändert – nicht nur mit Beifall.
Alle zusammen ohne Spezialklassen in Solothurn. Bild: Sandra Ardizzone
Ein heisses Eisen erledigt: Spezielle Förderung steht jetzt im Gesetz, Solothurner Zeitung, 29.3. von Lucien Fluri
Ein jahrelang höchst umstrittenstes Polit-Geschäft
hat gestern im Kantonsrat sein Ende gefunden. Die Solothurner Volksvertreter
haben eines der heissesten bildungspolitischen Eisen, die spezielle Förderung
und die integrative Schule, jetzt im Gesetz verankert. Das Mammut-Projekt war
in der Vergangenheit in gewissen Gemeinden und politischen Kreisen auf
erbitterten Widerstand gestossen.
Im Gesetz steht jetzt, was eigentlich an den
Schulen schon gilt: Die Einführungsklassen werden ab Sommer auch in der letzten
Gemeinde Geschichte sein. Verhaltensauffällige und lernbeeinträchtigte Kinder
werden nicht mehr getrennt, sondern in den normalen Klassen unterrichtet. Die
Lehrer dort erhalten allerdings Unterstützung von Heilpädagogen. Bezahlt werden
pro 100 Schüler 20 bis 27 (bald 28) Förderlektionen.
Wo wird stigmatisiert?
Nach Jahren des heftigen Streites waren am Mittwoch
allerdings die Fronten verhärtet geblieben. Die SVP wehrte sich nochmals gegen
die Vorlage, die sie seit Jahren bekämpft. Ihr Bildungsmann, Beat Künzli, wäre
lieber bei den Einführungsklassen geblieben. «Einerseits ist nach wie vor nicht
erwiesen, dass das neue Fördermodell einen Mehrwert gegenüber dem bisherigem
Modell mit Einführungsklassen bringt», sagte Künzli. «Die Stigmatisierung der
betroffenen integrierten Schüler ist weit erheblicher, als zugegeben wird. Die
Kosten steigen ins Unermessliche.»
Auf der Gegenseite fasste Franziska Rohner (SP,
Biberist) nochmals zusammen, was die Befürworter der speziellen Förderung all
die Jahre bereits gesagt hatten. «Was bedeutete die frühe Segregation für
unsere Kinder und Familien? Sie erreichte vor allem Druck und Stress bei
Eltern, Lehrern und Kindern», so Rohner. Als «logischen und konsequenten
Schritt» bezeichnete auch FDP-Sprecher Marco Lupi (Solothurn) die
Gesetzesvorlage. «Unsere Fraktion steht zum Systemwechsel, auch wenn nicht
alles perfekt kommen wird.»
Die SVP aber hätte gerne mehr
Gestaltungsmöglichkeiten für die einzelnen Schulen gehabt. «Das Gesetz gibt
aber haargenau vor, wie die spezielle Förderung umzusetzen ist», kritisierte
Beat Künzli. Nur temporär dürfen Schüler aus der Klasse separiert werden. Es
brauche gar keine grössere Wahlfreiheit für die Gemeinden, verteidigte dagegen
Marco Lupi die Vorlage. Sonst habe man bald wieder Gemeinden mit
Einführungsklassen, was nicht im Sinne des Erfinders und für einen kleinen
Kanton auch nicht praktikabel sei. Als zu unpräzise formuliert kritisierte
allerdings Jonas Hufschmid (CVP, Olten) die Möglichkeiten, die Gemeinden nun
haben.
Kritik gab es nicht nur von der SVP, sondern –
trotz allgemeiner Zustimmung – auch von links. Für Felix Lang (Grüne, Lostorf)
werden im Kanton noch zu viele Schüler aus der Regelklasse genommen, nämlich
rund 10 Prozent. In Basel-Stadt liege die Quote bei 4 Prozent. Peter Brotschi
(CVP, Grenchen) und Nicole Hirt (GLP, Grenchen) kritisierten, dass
Augenwischerei betrieben werde, denn spätestens mit dem Übertritt in die
Sekundarschule gebe es eine Separation. «Was vorliegt, ist eine sorgfältig
vorbereitete Gesetzesarbeit, in die viel aus der Praxis eingeflossen ist», warb
dagegen Bildungsdirektor Remo Ankli (FDP) für die Vorlage, die den Kantonsrat
am Ende mit 75 zu 18 Stimmen problemlos passierte.
Keine 20 Mio. im Sack
Zu Diskussionen führten die Finanzen. Das Gesetz
trennt klarer als heute, was der Kanton und was die Gemeinden bezahlen müssen.
Letztere sollen künftig nur noch finanzieren müssen, was die Regelklassen
betrifft, während alles darüber Sache des Kantons sein soll, etwa die
Sonderpädagogik für behinderte Kinder oder die regionalen Kleinklassen. Heute
beteiligen sich die Gemeinden noch mit rund 20 Mio. an den jährlich 80 Mio.
Franken Sonderpädagogik. Der Regierungsrat sieht vor, dass dies noch vier
weitere Jahre der Fall sein wird – mit der Möglichkeit auf vier Jahre
Verlängerung. Denn bevor man den Gemeinden den Budgetposten erlässt, will man
zwischen Kanton und Gemeinden in einem grösseren Kontext anschauen, wer was zu
bezahlen hat.
Hier hätte Kuno Tschumi, FDP-Kantonsrat aus
Derendingen und Präsident des Einwohnergemeindeverbandes, gerne kurzen Prozess
gemacht. Er wollte die Aufgabenentflechtung vorantreiben und dem Kanton quasi
die 20 Mio. Franken per sofort aufbürden.
Der Antrag wurde jedoch zu kurzfristig eingereicht. Tschumi fand keine Mehrheit. Der Grossteil der Kantonsräte
folgte Bildungsdirektor Remo Ankli. Dieser betonte: Es sei nicht die Frage, ob
der Kanton dieses Aufgabenfeld übernehme. «Wir streiten um die Übergangsfrist.»
Er sei guten Mutes, innerhalb dieser Legislatur eine Lösung zu finden. Auf die
Schnelle könne der Kanton aber nicht 20 Mio übernehmen. «Der Finanzdirektor
sieht jedenfalls nicht so aus, als ob er 20 Mio. aus dem Sack nehmen könnte.»
Solothurn hat jetzt nachvollzogen, was in anderen Kantonen bereits gescheitert ist. «Ein Kind hat bessere Chancen, wenn es in einer sehr homogenen, leistungsstarken Gruppe ist», heisst es im neuesten Beobachter. Das ist schon lange bekannt, aber Experten, Reformer und Politiker wussten es besser und haben mit der Totalintegration, altersdurchmischten Klassen sowie Aufhebung der Einführungs- und Kleinklassen usw. Unruhe und Heterogenität in die Volksschule gebracht, so dass die Lehrer kaum mehr im bewährten Klassenunterricht unterrichten können. Damit wurde ein Bildungsabbau eingeleitet, wie man bei Pisa 2012 und 2015 sehen kann.
AntwortenLöschen