11. März 2018

Querdenken als Schulfach

Laut einer Studie des Weltwirtschaftsforums wird Kreativität zur Fähigkeit der Zukunft – auch als Gegenpol zur künstlichen Intelligenz. Höchste Zeit, dass unsere Kinder das lernen, findet Dennis Lück.
Wir sollten Querdenken zum Schulfach machen, NZZaS, 11.3. von Dennis Lück


Mit schier grenzenlosem Eifer und erheblichem finanziellem Einsatz fördern wir die künstliche Intelligenz. Hier ein Startup, da eine Forschung, es ist total zeitgemäss, sich dafür einzusetzen. Künstliche Intelligenz fasziniert uns alle, zu Recht. Aber wo bleibt die menschliche Intelligenz? Oder besser: Wo bleibt die ­kreative Intelligenz? Im Sekundenrhythmus entwickeln sich Technologien nach vorne, alles bewegt sich, alles ändert sich, nichts bleibt, wie es ist. Die Welt ist dynamisch. Müsste das dann nicht auch unser Bildungssystem sein?

Keine Sorge, das soll keineswegs ein Frontalangriff auf die Schule sein. Das Bildungsniveau ist hoch, die Erzieher und Lehrer leisten hervorragende Arbeit. Aber es ist der unmissverständliche Wunsch nach Veränderung und Ergänzung.

Denn wir wissen, dass in Zukunft sogenannte Skills, andere Fähigkeiten als blosses Wissen, immer wichtiger sein werden. Und wir wissen auch, dass kreative Köpfe sich nicht durch künstliche Intelligenz ersetzen lassen. Den Kreativen gehört die berufliche Zukunft. 800 Millionen Jobs, die meist keine Kreativität verlangen, werden weltweit zukünftig von Maschinen und Robotern erledigt. Skills werden wichtiger als Wissen.

Wenn das alles bekannt ist, warum unterrichten wir dann nicht auch Skills? Warum sind kreative Skills noch kein Teil des Lehrplans? Eine gute Fehlerkultur, Teamfähigkeit oder Lösungsorientiertheit werden kaum gefördert. Fehler werden vielmehr durch schlechte Noten bestraft.

Momentan bilden wir unsere Kinder zu Normmaschinen aus. Der Lehrplan ist eine Norm. Noten definieren die Norm. Alles unterwirft sich der Norm. Aber im Job loben wir dann die, die die Norm brechen können. Ist das nicht verwunderlich?

Kreativ sein bedeutet, in komplexen Situationen Lösungen entwickeln zu können. Es bedeutet, experimentierfreudig sein, die Norm verlassen können, um so auf völlig neue Sichtweisen zu kommen. Kreativität ist nicht nur den vermeintlich kreativen Berufsbildern vorbehalten. Kreativität, Eigensinn und Querdenken machen in jedem Beruf erfolgreich.
Seien wir doch einmal kurz offen und versuchen, uns das Einbinden von kreativen Elementen ins Lehrsystem vorzustellen. Mathe, Bio, Deutsch, Englisch, Chemie – das bleibt alles. Aber dann gibt es ein Fach, das heisst «Lösungen». Das Fach umfasst historische Lösungsfinder, Lehreinheiten befassen sich damit, wie wichtig Fehler machen ist, um auf die geniale Lösung zu kommen, es taucht ein in verschiedene Berufsfelder und weist darin auf, wie geniale Lösungen erarbeitet werden. Auf kreative Art Lösungen finden wird permanent mit Übungen geschult. Wir erziehen Lösungsfinder. Das nächste Element: «Kollaboration». 

Das Kollaborationsprinzip, das wir heute überall schätzen, würde auch in Fächern angewandt. Kinder lernen, Probleme in einem Team zu lösen. Sogar Matheaufgaben dürfen auch einmal in der Gruppe gelöst werden. Gehen wir weiter. Das nächste Fach: «Projekt». Jedes Kind soll in einem Zeitraum x ein Projekt auf die Beine stellen. Etwas gestalten. Die Kinder werden so aktiv dazu aufgefordert, sich einem Interessenfeld zu widmen. Sie befassen sich damit, was ihrem eigenen Potenzial entspricht. Darin sollen sie sich einmal festkrallen dürfen. Was auch immer es ist, es wird begleitet, gefördert und in einem realistischen Rahmen zum Leben erweckt. Ob dann jemand einen Stuhl entwickelt, ein Auto entwirft, ein Buch schreibt, ein Lied komponiert oder eine Mauer baut – das spielt fast keine Rolle, es geht um die Verwirklichung.

Ach, übrigens, benotet wird das natürlich nicht. Eine schlechte Note in einem Fach, dass die Selbstverwirklichung fördert, das wäre nun wirklich blöd. Viele weitere kreative Elemente sind denkbar. Kreativitätstechniken wie beispielsweise der «Wechsel der Perspektive» können geschult werden. Bei dieser Technik wird ein Problem gestellt, und es gilt dabei, nicht die eine Lösung zu finden, sondern 20. Wie würde das Problem ein Kind lösen? Wie ein Erwachsener? Wie eine Frau? Wie ein Mann? Wie ein Comedian? Wie ein Rowdy? Wie ein Professor? Und schon öffnet man das Denken. Man schult die Offenheit und das Einnehmen anderer Blickwinkel. Heutzutage arbeiten wir an Schulen immer nur auf die eine richtige Lösung hin, dieses Element würde lehren, dass man Rom über viele Wege erreichen kann. Und das ist nur eine von vielen verschiedenen Kreativitäts-Techniken. Und wenn die Klubschule das unterrichten kann, dann ist es sicher auch im Rahmen der schulischen Erziehung unserer Kinder möglich.

Ist das nun alles utopisch oder gar Quatsch? Vielleicht. Aber zumindest sollte es nachdenklich stimmen und anregen. Wir sollten uns mit der Schule der Zukunft befassen. Skills statt nur Wissen. Wie auch immer wir es tun, dahin müssen wir uns bewegen. Und zwar jetzt.

Dennis Lück, 40, ist Chief Creative Officer bei der Kommunikationsagentur Jung von Matt/Limmat und führt mit dieser Agentur das Kreativ-Ranking der Schweiz an. Lück, der 2017 zum «Werber des Jahres» erkoren wurde, unterrichtet Kreativitätstechniken an diversen Hochschulen. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern.


1 Kommentar:

  1. Artikel, welche eine neugestaltete Bildung verlangen, sind in der Regel seicht, fehlgeleitet oder hoffnungslos idealistisch. Es ist selten, alle drei zusammen zu bekommen.

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