Die Prophezeiungen waren drastisch: Eine «psychometrische Vermessung»
der Kinder sei geplant, Lehrerinnen würden «zu Learncoaches degradiert», und
das alles generiere Millionenkosten «ohne pädagogischen Mehrwert». So deutlich
die Lehrplan-Gegner warnten, so deutlich wurde ihre Initiative «Lehrpläne vors
Volk!» gestern abgelehnt. 76,7 Prozent der Stimmenden sagten Nein zu der
Vorlage, 23,3 Prozent sagten Ja. Die Stimmbeteiligung betrug 49,8 Prozent.
Im Oberland war die Zustimmung leicht höher als im restlichen Kanton Bern.
Der Weg für den Lehrplan 21 ist frei, Bund, 4.3. von Adrian M. Moser
Der bernische Erziehungsdirektor Bernhard Pulver (Grüne) zeigte sich
erleichtert: «Ich freue mich über das Resultat und bin positiv überrascht, dass
es so deutlich ausgefallen ist.» Wäre die Initiative angenommen worden, hätte
der Erziehungsdirektor künftig nicht mehr abschliessend über die Einführung
neuer Lehrpläne entscheiden können. Er hätte sie erst dem Parlament und – im
Falle eines Referendums – auch dem Volk vorlegen müssen. Die Stimmbevölkerung
erachte die heutige Regelung als richtig, sagt Pulver.
Fast alle dagegen
Lanciert wurde die Initiative von einer Gruppe von Eltern aus dem Berner
Oberland. Die Vorlage wollte zwar alle künftigen Lehrpläne vors Parlament und
das Volk bringen, doch sie zielte Primär auf den Lehrplan 21, der im Kanton
Bern ab dem kommenden Sommer eingeführt wird. Dieser hätte bei einem Ja zur
Initiative in einigen Jahren nachträglich von Parlament und Volk genehmigt
werden müssen. Die Initiantinnen erhielten Unterstützung der SVP. Alle anderen
grossen Parteien sowie Lehrer- und Wirtschaftsorganisationen waren dagegen.
Die Gegner interpretierten das Resultat gestern als «Bestätigung des mit
Harmos eingeschlagenen Wegs». Mit dem Harmos-Konkordat wollen die Kantone ihre
Schulwesen harmonisieren. Der Lehrplan 21, der in der ganzen Deutschschweiz
gelten soll, soll einen Teil zu der Harmonisierung beitragen. Mehrere Parteien
zeigten sich zudem erfreut darüber, dass das Stimmvolk darauf verzichtet habe,
die Lehrpläne zu «politisieren». Die Grünen lobten den Lehrplan 21 als
«fortschrittlich».
«Teil eines Prozesses»
Die Initiantinnen reagierten gefasst auf die deutliche Niederlage. «Wir
akzeptieren den Entscheid des Stimmvolks», sagte Rahel Gafner vom
Initiativkomitee. Und: «Wir haben unser Ziel erreicht: Das Volk konnte darüber
abstimmen, ob es sich künftig zu den Lehrplänen äussern können soll.»
Im Berner Oberland, wo der Grossteil des Initiativkomitees herkommt,
erreichte die Initiative mit Ja-Anteilen zwischen 28,3 und 36,2 Prozent eine
grössere Zustimmung als im übrigen Kanton, wurde aber dennoch deutlich
abgelehnt. Dass die Stimmbürger – zumindest im Moment – nicht über Lehrpläne
abstimmen wollen, liest Gafner als «Teil eines Prozesses». Sie wirft den
Gegnern ihrer Initiative vor, sie hätten den Leuten «eingeredet, dass sie nicht
in der Lage sind, über einen Lehrplan abzustimmen». Gafner hofft, dass sich die
Verhältnisse in Zukunft verschieben werden. «Das Volk muss sich erst an den
Gedanken gewöhnen, dass man auch über Lehrpläne abstimmen könnte.»
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