Digitalisierung
bleibt das Thema der Stunde. Erfreulicherweise, muss aus pädagogischer Sicht
hinzugefügt werden, denn mittlerweile nähern sich das Lager der Euphoriker und
das der Apokalyptiker in ihren Positionen zusehends an. Das rechte Maß scheint
greifbar zu sein. Ein Punkt in der Diskussion ist immer noch neuralgisch. Wer
hat die Nase vorn: "Pädagogik vor Technik" oder "Technik vor
Pädagogik"? Oder muss es heißen "Pädagogik und Technik"? Bei
näherer Betrachtung dieser möglichen Zusammenhänge zeigt sich eine Position als
alternativlos: Pädagogik vor Technik.
Technik hat dem Menschen zu dienen, Süddeutsche Zeitung, 24.3. von Klaus Zierer
Dabei lohnt
es sich zu unterscheiden, erstens was technisch möglich ist und was pädagogisch
sinnvoll ist, sowie zweitens was für das Lernen folgt und was für die Bildung
zu beachten ist. Vor diesem Hintergrund lässt sich deutlich machen, wie
"Technik vor Pädagogik", aber auch "Pädagogik und Technik"
in die Irre führen:
Technisch
möglich ist es schon heute, dass ein Gesichtsscan Informationen über den
Gemütsstand von Lernenden liefert. Aber ist es pädagogisch sinnvoll? Wenn
Lehrpersonen eines Tages darauf zurückgreifen müssen, dann liegt bereits (zu)
viel im Argen. In einer pädagogischen Atmosphäre kommen Lernende auf
Lehrpersonen zu, wenn sie Sorgen haben, und Lehrpersonen sprechen Lernende an,
wenn sie merken, dass etwas nicht stimmt.
Technisch
möglich ist es schon heute, Lernprozesse so zu verpacken, dass Kinder und
Jugendliche das Lernen gar nicht mehr bemerken. Aber ist es pädagogisch sinnvoll?
Wer Lernen als Unterhaltung interpretiert, verkennt die Bedeutung des Lernens
für die Bildung und ignoriert die Grammatik des Lernens, die Herausforderung,
Anstrengung und Einsatz ebenso erfordert wie Umwege, Irrwege und Fehler.
Technisch
möglich ist es schon heute, dass Fremdsprachen nicht mehr gelernt werden
müssen, weil ein Computer als Simultanübersetzer fungiert. Aber ist es
pädagogisch sinnvoll? Fremdsprachen sind mehr als Worte. Sie sind Träger von
Kultur, von Werten und Normen, von Geschichte. Nicht umsonst folgert Johann
Wolfgang von Goethe: "Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiß nichts von
seiner eigenen."
Technisch
möglich ist es schon heute, dass ein Laptop dem Lernenden ein Signal gibt, wenn
es an der Zeit ist, eine Pause einzulegen. Aber ist es pädagogisch sinnvoll?
Das Ziel von Bildung kann im mündigen Bürger gesehen werden, der frei ist von
Zwängen und basierend auf seiner Vernunft Entscheidungen fällt. Nicht das, was
man aus mir gemacht hat, ist folglich unter Bildung zu verstehen, sondern das,
was ich aus meinem Leben gemacht habe.
Technik hat
dem Menschen zu dienen - nicht umgekehrt und auch nicht gleichgestellt. Wenn
Technik dem Menschen seine Freiheit und seine Verantwortung nimmt, dann werden
Menschen zu Maschinen - und es offenbart sich eine Situation, über die Albert
Einstein sagt: "Ich fürchte mich vor dem Tag, an dem die Technologie
unsere Menschlichkeit übertrifft. Auf der Welt wird es nur noch eine Generation
aus Idioten geben." Somit ist die Frage nach den Möglichkeiten einer
Digitalisierung immer gekoppelt an die Grenzen der Digitalisierung und
erfordert immerzu, die Chancen für das Lernen den Risiken für die Bildung
gegenüberzustellen. Eine umfassende Medienbildung - bestehend aus Medienkunde,
Mediennutzung, Mediengestaltung und Medienkritik - ist damit der grundlegende
Auftrag einer Digitalisierung im Bildungsbereich.
Klaus Zierer, 41, ist Professor für
Schulpädagogik an der Universität Augsburg.
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